VON MAXIMILIAN REICHLIN
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26.10.2015 14:56
Der rechte Terror wird stark – Und niemand nennt ihn beim Namen
Die Berichte von Gewaltakten durch Neonazis gegen Pro-Asyl-Anhänger häufen sich immer weiter. Da werden Politiker niedergestochen und Journalisten mit dem Tode bedroht, während sich die Verursacher dieser Gewalt ihre angebliche Rechtfertigung aus sozialen Netzwerken holen. Trotzdem spricht noch niemand aus, was alle längst wissen: Dass es sich hier um rechten Terror handelt, der unbedingt bekämpft werden muss. Ein Journalist plädiert dafür, endlich Nägel mit Köpfen zu machen.
Jetzt ist dieses Land vollkommen verrückt geworden. Es ist noch keine zwei Wochen her, dass die Kölner Bürgermeisterkandidatin Henriette Reker auf offener Straße mit einem Jagdmesser niedergestochen wurde. Der Täter: Frank S., ein 44-jähriger arbeitsloser Neonazi, der mit seiner Tat gegen die Flüchtlingspolitik der Kandidatin vorgehen wollte. Reker ist als Sozialdezernentin der CDU auch für die Unterbringung von Flüchtlingen zuständig. Augenzeugen berichten, der Angreifer habe bei der Tat geschrien. „Ich tue es für eure Kinder!“ Reker überlebte nur knapp. Der Täter hatte ihr das Messer mit voller Wucht in den Hals gerammt.
Neonazis organisieren sich
Man muss eines gleich zu Beginn klarstellen: Bei diesem Angriff handelte es sich nicht um die Tat eines Geisteskranken, zumindest nicht laut psychologischem Befund. Es war auch keine Kurzschlussreaktion, denn S. hatte die Tat minutiös geplant und vorbereitet. In den Neunzigern war er Mitglied der Freiheitlichen Deutschen Arbeiterpartei (FAP) und der Nationalistischen Front, zwei der radikalsten Gruppierungen von Neonazis, die es in diesem Land je gab. Alles zusammengenommen, ergibt sich ein recht klares Bild: Terror. Feiger, menschenunwürdiger, rechtsextremer Terror.
Zivilcourage zeigen
Es müssen gar nicht lebensbedrohliche Momente sein, die ein mutiges und selbstbewusstes Handeln erfordern
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Es ist kein Einzelfall: Berichte von Morddrohungen gegen Politiker und Journalisten häufen sich. Erst vor einigen Monaten trat in der kleinen Stadt Tröglitz in Sachsen-Anhalt der Oberbürgermeister Markus Nieth von seinem Amt zurück, weil er die Anfeindungen durch die Ortsgruppe der NPD nicht mehr ertrug. Der Journalist
Felix Huesmann wurde von Neonazis bedroht. Kommunalpolitiker in
Brandenburg und
Sachsen werden bedroht. Der Hass der Neonazis entlädt sich in sozialen Netzwerken, in E-Mails, Briefen. Angst und Gewalt sind die Mittel der Wahl.
Wo Terror drin ist, muss auch Terror draufstehen
Trotzdem spricht noch niemand von Terror, weder in den Medien noch in der Politik. Woran liegt das? Warum hält man sich zurück, wenn der rechte Terror der Neonazis um sich greift? Verzeiht mir den Pathos, aber: Auf solche Akte der psychologischen und körperlichen Gewalt muss endlich ein klarer Stempel gedrückt werden. Der breiten Masse muss endlich vermittelt werden, wer hier der Feind ist. Das sind nicht die Menschen, die in unser Land kommen um vor dem Krieg zu fliehen und an unserem Wohlstand teilzuhaben, sondern die verabscheuungswürdigen Neonazis, die sich den „Rassenkampf“ auf die Fahne geschrieben haben, und nicht davor zurückschrecken, Menschen zu bedrohen, zu verletzen, zu töten.
Denn eines ist klar: Die Neonazis halten sich nicht zurück, wenn es darum geht, klare Statements zu setzen.
Facebook und Twitter laufen über mit fantasievollen Falschmeldungen über Gewalt unter Flüchtlingen, mit Videos der Gräueltaten, die der IS in Syrien verübt. Der Hass wird geschürt. Und leider geht die Strategie auf: Mit steigenden Flüchtlingszahlen sinkt die Toleranz der Bevölkerung immer weiter. Mittlerweile führe ich die Flüchtlingsdebatte privat auch mit Freunden und Familie, eigentlich klugen und aufgeklärten Menschen, die einem Schreckgespenst der Neonazis aufgesessen sind und ein Feindbild propagieren, das das falsche ist.
Regiert hier bald der Terror?
Man muss diese Geschichte zu Ende denken. Stellen wir uns ein Land vor, in dem Politiker nicht für ihre Überzeugungen eintreten können. In dem diejenigen, die versuchen, Probleme zu lösen und Menschen zu helfen mundtot gemacht werden von Gewalttätern und Hasspredigern. In dem sich keiner traut, offiziell Stellung zu beziehen, weil er Angst haben muss, dass er auf offener Straße getötet wird. Was könnte das für ein Land sein? Syrien? Irak? Afghanistan? Nein. Ein solches Land
wird Deutschland bald werden, wenn wir nicht langsam anfangen, den rechten Terror der Neonazis ernst zu nehmen und ihm einen Namen zu geben.
Möglicherweise ist das auch der Plan von Pegida und Konsorten. Flüchtlingen den Grund zum Kommen zu nehmen, indem sie hier Zustände etablieren wie jene, vor denen sie ursprünglich geflohen sind. Pfiffig, Herr Bachmann und Herr S., sehr pfiffig. Für den Rest von uns bleibt dann allerdings die Frage, ob wir in einem solchen Land wirklich leben wollen, oder ob wir nicht selbst dann unsere Siebensachen packen, um auf prall gefüllten Schiffen über die Nordsee zu reisen und nach einem Land zu suchen, in dem wir keine Angst mehr vor Neonazis und dem Messer im Hals haben müssen. Deutsche, auf der Flucht vor deutschem Terror.
Abendland, wach' auf! Und setze dich zur Wehr gegen Neonazis
Man kann über die Flüchtlingsfrage geteilter Meinung sein. Man kann über Verhältnismäßigkeiten diskutieren oder über einen aktualisierten Verteilungsschlüssel, über Beschleunigung des Asylverfahrens, und so weiter. Aber in einem Punkt darf es langsam unter denkenden deutschen Bürgern keine geteilte Meinung mehr geben: Dass wir Neonazis, die mit fadenscheiniger Rechtfertigung andere Menschen schikanieren, einschüchtern oder sogar angreifen, in diesem Land nicht brauchen. Sie gehören weggesperrt und mit der vollen Härte unseres Rechtssystems bestraft. Nicht als fehlgeleitete Einzeltäter, nicht als unzurechnungsfähige Psychopathen, sondern als das, was sie sind. Terroristen. Und Deutschland verhandelt nicht mit Terrorristen.