VON Marie-Thérèse | 05.01.2015 14:27

Syrien: Von der Wiege der europäischen Kultur zum Land ohne Menschen

Seit 2011 tobt in Syrien Krieg und Terror und seit diesen drei langen Jahren sieht die westliche Welt dabei zu, wie die verschiedenen Kriegsparteien Hunderte von Kulturdenkmälern zerstören und Millionen von Menschen in die Flucht treiben. Bashar al-Assad, der die Nachfolge seines Vaters angetreten hat und seit 2000 an der Macht ist, wurde im Sommer 2014 in seinem Amt bestätigt. Das ihm anvertraute Land wird jedoch inzwischen nicht mehr von ihm, sondern von Guerillakämpfern, Terror und Angst regiert. Das Ergebnis ist erschreckend: Das einst so blühende Land Syrien verkommt zu einem Land ohne Menschen.


Das Land, das heute offiziell Arabische Republik Syrien heißt, war in der Antike und zur Zeit des jungen Christentums für seinen ungeheuren kulturellen Reichtum, seine mehrsprachigen Gelehrten und seine kultivierte Lebensart weit über die Grenzen des Nahen Ostens hinaus bekannt. Die syrische Hauptstadt Damaskus hat heute im Stadtbereich etwas mehr als die Einwohnerzahl Münchens (rund 1,5 Millionen), mit seinen Einzugsgebieten rund 4 Millionen Einwohner, was der Größe Berlins mit seinem Umland entspricht. Bis in das beginnende 21. Jahrhundert hinein war Damaskus weithin bekannt als eine weltoffene, lebendige Stadt, in die man sich als Westeuropäer oder Amerikaner aufmachte, um dort ausgezeichnete Arabischkurse, herrliche Märkte und Moscheen und das rege Straßen- und Kaffeehausleben zu genießen.

Vergebung?

Menschen auf der Flucht: Ein altes Völkergemisch stirbt

Das alles scheint nun in weite Ferne gerückt. Von den rund 22 Millionen Einwohnern Syriens haben seit März 2011 3,5 Millionen ihr Land verlassen, weitere 6,5 Millionen Menschen sind im Land selbst auf der Flucht und gelten in der offiziellen Sprache der Vereinten Nationen im Gegensatz zu den erfolgreich außer Landes geflohenen “Flüchtlingen” als “Vertriebene”. Syrien war lange Zeit ein orientalisches Paradies, in dem zahlreiche ethnische Minderheiten friedlich miteinander lebten. Kurden, Turkmenen, Armenier, Palästinenser, Libanesen, Jordanier und Iraker waren hier ebenso zu Hause wie die gebürtigen Syrer. Mit anderen Worten: In Syrien lebte seit biblischen Zeiten ein altes Völkergemisch. Man liebte sich vielleicht nicht, aber man ließ sich gegenseitig in Ruhe. Mit dem neuen Aufblühen eines radikalisierten Islam neigen sich die Zeiten des friedlichen Nebeneinanders von Kulturen und Religion im Nahen Osten nun dem Ende zu.

Schwächung und Vertreibung

Wie konnte es zu einer derartigen Veränderung des Gesellschaftsgefüges innerhalb so kurzer Zeit kommen? Angefangen hatte es, wie in anderen arabischen Ländern auch: Die Bevölkerung hatte sich von der Aufbruchsstimmung in anderen Ländern der Region, insbesondere in Tunesien und Ägypten, anstecken lassen und hoffte im Frühjahr 2011 mit Hilfe von Protesten ein Ende des Baath-Regimes erreichen zu können. Das hat sich die Regierung nicht bieten lassen und ist mit brutaler Gewalt gegen die eigene Bevölkerung vorgegangen. In den Folgejahren 2012 und 2013 kam es zu blutigen Auseinandersetzungen zwischen der offiziellen syrischen Regierung und der Opposition, die nach wie vor auf eine Revolution hoffte. 2014 haben sich die terroristischen Truppen des so genannten Islamischen Staates in das Staatsgebiet des geschwächten Landes vorgewagt und weiteren Unfrieden gestiftet. So kommt es, dass sich aktuell nahezu die Hälfte der syrischen Bevölkerung auf der Flucht befindet – rund 10 Millionen von 22 Millionen Menschen. Allein 2 Millionen davon drängten in den angrenzende Libanon, der mit der Aufnahme dieser Menschen an seine Kapazitätsgrenzen stößt: Im unruhigen, durch die Schwierigkeiten im Süden des Landes in seinen Lebensmöglichkeiten stark eingeschränkten Libanon leben nur rund 4 Millionen Menschen, die Mehrheit der Libanesen lebt im Exil.

Land ohne Menschen

Syrien steht nun ein ähnliches, jedoch bei weitem drastischeres Szenario für die Zukunft seiner Bevölkerung bevor. Eine friedliche Ablösung des Assad-Regimes durch die von den westlichen Regierungen gestützte (und von 130 Staaten weltweit als legitime Vertreter Syriens anerkannte) so genannte Interimsregierung scheint in weite Ferne gerückt. Das junge Land Syrien, das im Herbst 2011 das 70jährige Jubiläum seiner Unabhängigkeit von den französischen Mandatstruppen feierte, scheint zu einem Land ohne Menschen zu verkommen.

Informationen über die Situation in Syrien und die internationale Nothilfe für Syrien:
- Aktion Deutschland hilft
- Syrienhilfe.org
- Caritas International
- Welthungerhilfe