VON JASCHA SCHULZ | 08.07.2015 15:09

Selbstzensur der Medien – Die „Schere im Kopf“

Zensur ist in Deutschland mittlerweile ein Schimpfwort. Die Empörung ist besonders groß, wenn es um staatliche Eingriffe in Medieninhalte geht. Diese gelten als der Versuch, ein existenzielles Grundrecht, die Pressefreiheit, zu beschränken. Die Berichterstattung über die Anschläge auf Charlie Hebdo wirft allerdings die Frage auf, ob eine Zensur mittlerweile nicht von den Medien selbst ausgeht. UNI.DE prüft, welche Folgen eine Selbstzensur haben kann und ob es Fälle gibt, in denen sie gerechtfertigt ist.


Der Anschlag auf die Redaktion von Charlie Hebdo löste unzählige Solidaritätsbekundungen anderer Medien aus. Die Karikaturen der Satirezeitschrift wollten allerdings nur wenige veröffentlichen. Und das, obwohl sie einen unabweisbaren Nachrichtenwert besaßen. Von der New York Times über den Guardian über die Tagesschau, häufig sah man die Mohammed Karikaturen gar nicht oder lediglich verpixelt.

Auch die Nachrichtenagentur Associated Press führte die Cartoons nicht in ihrem Bestand. Hinter diesen stecke keine fundierte Aussage, sie seien reine Provokation. Man nehme seit jeher Abstand, eine solche zu befeuern. Die New York Times begründete ihre Zurückhaltung mit dem Vorhaben, keine „religiöse Gefühle zu verletzen“. Diese beiden Aussagen stehen exemplarisch für sämtliche Reaktionen der betroffenen Medien. Entweder war es die Rohheit der Provokation, oder die Rücksicht auf nicht-fundamentalistische Mitglieder des Islams, der Nachrichtenportale von einer Veröffentlichung der Karikaturen abhielt.

Ohne Angst verschieden sein

Beide Begründungen stießen auf große Kritik. Die Art der Provokation sei aufgrund der Bedeutung des Geschehenen zweitrangig und rechtfertige kein kollektives Schweigen. Die Befindlichkeiten einer religiösen Gruppe dürften außerdem nicht dazu herhalten, die Meinungsfreiheit und damit die Pressefreiheit zu gefährden. Nach dem Verleger und Publizist Wolfgang Weimar hätten die Terroristen sonst zumindest teilweise ihr Ziel erreicht, „weil sie die Koordinaten dessen verschieben, was angeblich religiöse Gefühle verletzen könnte“. Hierin spricht sich die Befürchtung aus, in Zukunft könne die Presse noch zurückhaltender werden, was kritische Religionsberichterstattung angeht. Nach dem Motto: „Wir lassen uns die Pressefreiheit durch den Angriff nicht nehmen, aber man muss ja nicht unbedingt...“ Für viele ist es jedoch gerade diese Unbedingtheit, die die Pressefreiheit ausmacht. Sie sehen jede Vorschrift, wie diese zu nutzen sei, als Einschränkung eines existenziellen demokratischen Guts an.

Was hier verhandelt wird, sind die bekannten Probleme, die der Freiheitsbegriff aufwirft. Für viele gilt die Maxime: „Die Freiheit des einen endet da, wo die des anderen anfängt“. Aber wo ist die Grenze? Wie viel „Respekt vor der Religion“ muss ein Medium haben, wenn es über diejenige berichtet? Und müssen gesellschaftliche Trends in die Entscheidung miteinbezogen werden? Die in Frankreich lebenden Muslime werden häufig als diskriminierte Minderheit angesehen. Einige Stimmen verlangen deshalb von französischen Medien eine besondere Vorsicht, wenn es um Kritik am Islam geht. Andere wiederum sehen auch Kritik an Minderheiten als notwendig an. Jeder solle, notfalls auch bissig-satirisch, zur Selbstreflexion angehalten werden. Dies sei jeder Gruppe zuzumuten, egal in welcher gesellschaftlichen Situation sich diese gerade befände.

Die Problematik kann natürlich nicht durch einen allgemeinen Schiedsspruch gelöst werden. Medieninstitutionen müssen sich stets die Frage stellen, welche negativen Auswirkungen die Veröffentlichung eines bestimmten Inhalts haben könnte und ob diese den Nachrichtenwert desselben übersteigen.

Die Selbstzensur der Medien im Falle Charlie Hebdos wirft das Augenmerk außerdem noch auf eine weitere Problematik. Wenn eine Zensur bezüglich desselben Inhalts derart viele Medien betrifft, scheinen diese ein ähnliches Selektions-Verfahren zu verwenden. Viele sehen die öffentliche Meinung hier als ausschlaggebenden Faktor an. Angst vor der Reaktion der Leser oder Zuschauer sei häufig der Auslöser für die Nicht-Veröffentlichung eines Nachrichteninhalts. Dies birgt jedoch die besagte Gefahr eines kollektiven Schweigens. Die Mehrheitsmeinung bleibt in diesem Fall unkommentiert. Eine demokratische Meinungsbildung ist auf dieser Grundlage nicht möglich.

Es ist schwierig zu messen, wie stark der Einfluss der öffentlichen Meinung tatsächlich ist. Heribert Prantl nannte in einem Kommentar weitere Gründe für eine Selbstzensur der Medien. Diese sieht er zum Beispiel in den politischen Haltungen der Medienverantwortlichen, die den angestellten Redakteuren mit erhobenem Zeigefinger im Rücken säßen. Ebenfalls sieht er den Einfluss von Lobbyisten als „geistige Schere“ an, die bestimmtes Material bereits vorab von einer Veröffentlichung ausschließe.

Einige Experten sehen in der Vielfalt des Internets einen Hoffnungsschimmer. Ob in sozialen Netzwerken, Blogs oder auf kleineren Online-Portalen, irgendwo fände man schon die Information, die einem von anderen Medien verwehrt bliebe. Allerdings besteht hier die Gefahr, dass die Suche - eben aufgrund der Ausdifferenzierung der Medienlandschaft - sehr lange dauern kann.