VON CHARLOTTE MEYER
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08.03.2016 13:20
Rohstoffe aus der Arktis – wie die Natur dem Menschen ein Schnippchen schlägt
Die Arktis - außer der Antarktis das letzte unerschlossene Gebiet der Erde. Zumindest im Hinblick auf Öl- und Gasreserven. Rohstoffunternehmen reiben sich die Hände bei dem Gedanken daran. Doch ihre Natur ist widerspenstig, ihr Ökosystem empfindlich und die Tiefe ihres Meeresbodens sorgt für Territorialkonflikte zwischen ihren Anrainerstaaten. Das alles macht die Suche nach Öl und Gas sehr teuer. Hat hier die Natur also über den Menschen gesiegt?
24 Stunden Tag und Nacht
Die Arktis ist ein Ort der Extreme. Sie wird im Süden umrandet vom Nordpolarkreis - der Grenze für totale Helligkeit im Sommer und totale Dunkelheit im Winter. Das heißt, ab diesem Breitengrad scheint die Sonne zur Zeit der Sommersonnenwende 24 Stunden oder gibt bei Wintersonnenwende keinen Strahl ab. Da das Sonnenlicht die Arktis die meiste Zeit des Jahres in einem Winkel von viel weniger als 90 Grad trifft, herrschen sehr niedrige Temperaturen und selten sind diese über dem Gefrierpunkt. Im Sommer ist es in der Arktis deshalb nur drei bis zwölf Grad Celsius warm und im Winter im Schnitt bis zu minus 50 Grad kalt. Wegen der Kälte, des geringen Sonnenlichts und Eis und Schnee ist biologische Aktivität gering und deswegen gibt es auch so gut wie keine Menschen in der Arktis. Das hat sich im Laufe des 20. Jahrhunderts allerdings sachte geändert. Mittlerweile leben in der Arktis rund 3,5 Millionen Menschen, wovon die indigenen Völker wie die Eskimos, Jakuten und Nenzen nur einen Bruchteil ausmachen. Viele nicht-indigene Menschen sind wegen der Entwicklung von Öl- und Gasgewinnung sowie der Fischerei gekommen und auch, weil sie den Schwierigkeiten ihrer Heimatregionen entkommen wollten.
Arktisches Ökosystem durch den Menschen gefährdet
Die Arktis ist nämlich im Hinblick auf Ressourcen und Fischfang vielversprechend. Der geologische Vermessungsdienst der USA hat 2008 berechnet, dass rund 22 Prozent der noch unentdeckten und technisch erschließbaren Öl- und Gasvorkommen in der Arktis liegen. Durch den Klimawandel geht das Eis zurück und die Wahrscheinlichkeit wächst, dass diese Vorkommen ausgebeutet werden können. Ebenso werden durch die Klimaerwärmung Fischgründe frei, die vorher von Eis bedeckt waren. Für den kommerziellen Fischfang ist das ein gefundenes Fressen. Greenpeace stellte jüngst in einem Bericht fest, dass mittlerweile Schiffe von globalen Fischereiunternehmen in Gegenden vorgedrungen sind, die vorher von arktischem Eis bedeckt waren. Doch nicht nur durch die Fischerei ist das wenig erforschte Ökosystem der Arktis bedroht, sondern auch durch die mögliche Ausbeutung von Öl und Gas. Schon bei der Suche nach Vorkommen unter Wasser ist es sehr wahrscheinlich, dass zum Beispiel Wale bedroht werden. Die Marine Conservation Research Ltd. führte zu diesem Thema eine Studie durch und fand heraus, dass der Lärm seismischer Untersuchungen bei der Suche nach Öl arktische Wale in ihrer Kommunikation und ihrem Tauchverhalten beeinträchtigen können. Bisher gibt es in diesem Bereich nur wenig Forschung, aber die Wahrscheinlichkeit besteht, dass Lärm unter Wasser das Risiko erhöht, dass Wale stranden oder in Meereis eingeschlossen werden können.
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Nicht nur im Hinblick auf Wale gibt es allerdings Bedenken bei der Ölsuche, sondern hinsichtlich des gesamten Ökosystems der Arktis. Shell hatte zuletzt 2012 sein Ölbohrprogramm eingestellt,
nachdem Pannen passiert waren. Eine Bohrinsel lief auf Grund, ein Ölbohrschiff fiel bei einem Test durch und auch mit einem Eisbrecher, der im Notfall eine Ölpest hätte vermeiden sollen, gab es Probleme. Umweltschützer liefen Alarm, weil durch diese Pannenserie klar wurde, dass zum einen die Bohrtechnik nicht vor Unfällen sicher war und zum anderen die Evakuierung im Notfall nicht richtig funktionieren würde. Und die Verschmutzung der Arktis, etwa durch ein Leck in einer Ölleitung, hätte man nicht verhindern können.
Von Natur aus unnahbar
Umweltschutzorganisationen und anderen Gegnern von Bohrungen in der Arktis spielt indes die Natur selbst in die Hände. Für den Abbau von Öl und Gas in der Region müssten nämlich von den Unternehmen enorm hohe Kosten aufgewendet werden. Der Grund dafür sind die widrigen Umstände jenseits des Nordpolarkreises. Die Technik, um Ressourcen zu finden und auszubeuten, müsste wegen der harten Winter mit niedrigen Temperaturen besonders präpariert werden. Aber das ist nicht das einzige Problem. Eisschollen und extreme Wetterbedingungen könnten Einrichtungen auf offener See beschädigen und den Transport von Personal, Material und der Ressourcen selber erheblich erschweren. Es müssten außerdem hohe Löhne für die Angestellten gezahlt werden, um die Isolation und die unwirtlichen Bedingungen auszugleichen. Und nicht zuletzt kann es passieren, dass selbst in den wärmeren Monaten des Jahres der Abbau an Land in der sumpfigen Tundra nicht möglich ist. Ebenso müssen Rohstofffirmen Umweltschutzprobleme etwa in Form von Gerichtskosten mit einbeziehen. Shell hatte zum Beispiel nach einem Gerichtsverfahren Projekte in Alaska zurücknehmen müssen, nachdem ein örtlicher Verwaltungsbezirk und ein Eskimoverband erfolgreich geklagt hatten. Sie sahen die Bohraktivitäten von Shell als Bedrohung für die Umwelt und die Lebensbedingungen der Eskimos.
Damit nicht genug. Nicht nur die extrem schwierigen Wetterbedingungen sind ein Problem, sondern auch
politische Angelegenheiten. Die Arktis besteht aus acht Ländern: Kanada, Finnland, Island, Norwegen, Russland, Schweden, die USA und Dänemark durch Grönland. Finnland und Schweden sind dabei die einzigen Länder, die nicht an den arktischen Ozean grenzen und keine rechtlichen Ansprüche auf Gebiete darin haben. Zwischen den übrigen Ländern sind zum Teil Gebietsansprüche nicht geklärt und deswegen können Öl- und Gasprojekte nicht umgesetzt werden. Ein Hauptstreitpunkt ist in dieser Angelegenheit die wirtschaftliche Souveränität der arktischen Anrainerstaaten, das heißt die Möglichkeit, wirtschaftliche Entscheidungen unabhängig von den anderen Nationen zu treffen. Das Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen (UNCLOS) von 1982 sieht nämlich vor, dass Länder ökonomische Souveränität einfordern können bis zu 650 Kilometer hinter dem Punkt, wo die Seetiefe über 2.500 Meter hinausgeht. Nun ist die Tiefe des Meeresbodens in der Arktis allerdings so verteilt, dass die Anrainerstaaten konkurrierende Ansprüche für fast alle arktischen Gewässer haben. Und das birgt Konfliktpotenzial.
Die Arktis kann sich niemand mehr leisten
Das Unternehmen
Shell kündigte im September letzten Jahres an, dass es seine Projekte in Alaska zurückfahren wird. Der Grund: keine wesentlichen Funde von Öl und Gas. Derzeit erscheint es bei dem niedrigen Ölpreis unwahrscheinlich, dass sich die hohen Kosten für die Ausbeutung von arktischen Vorkommen tatsächlich rentieren werden. Auch in Russland wurden Kooperationen mit ausländischen Firmen stillgelegt, weil wegen der Sanktionen erforderliche Technik aus dem Ausland nicht mehr geliefert werden kann. Grönland hatte seine Erkundungen in der Arktis 2012 gestoppt und auch Norwegen verringert seine Aktivitäten. Zuletzt ist Shell das einzige Unternehmen gewesen, dessen Jahresbilanz Erforschungen in der Arktis möglich gemacht hat. Doch nun zieht es sich ebenfalls zurück. Wenn der Ölpreis nicht wieder ansteigt, wird es wohl in naher Zukunft keine Bohrungen in der Arktis mehr geben. Die Frage ist ja auch, ob nicht ohnehin der Bedarf an fossilen Brennstoffen zurückgehen wird, wenn das
Klimaabkommen von Paris tatsächlich umgesetzt werden wird. Im Dezember letzten Jahres hatten sich 195 Staaten erstmals verbindlich darauf geeinigt, den Verbrauch von Kohle, Öl und Gas bis zur Mitte des Jahrhunderts zu beenden. Wenn wir das schaffen, brauchen wir uns auch keine Sorgen mehr um das Ökosystem der Arktis zu machen.