VON CLEMENS POKORNY | 09.03.2015 17:05

Gegen den Klimawandel: Boykott der fossilen Energieträger

Um dem menschengemachten Klimawandel wirksam zu begegnen, müssten öffentliche Gelder aus den Industrien abgezogen werden, die ihre Profite mit Kohle, Erdöl und Erdgas machen. Solche sogenannten Desinvestitionen haben schon in der Vergangenheit erfolgreich politischen Druck aufgebaut – etwa gegen das südafrikanische Apartheidsystem. Wenn sich Investitionen in fossile Energieträger immer weniger lohnen, wird Divestment zunehmen – doch bis dahin ist es trotz erster Erfolge noch ein weiter Weg. Und die Zeit drängt.


Als Verbraucherinnen und Verbraucher haben wir Macht, denn mit unseren Einkäufen entscheiden wir nicht nur, was wir konsumieren, sondern auch, wem wir unser Geld geben wollen. Das gilt natürlich auch für die Wahl unserer Stromversorgung. Angesichts des Klimawandels ist es verantwortlich, keine Elektrizität zu nutzen, die z.B. aus Kohle gewonnen wurde. Doch die Entscheidungen Einzelner gegen Kohlestrom reichen nicht aus, um den menschengemachten Klimawandel entscheidend zu verlangsamen.

Denn nach Schätzung von Fachleuten müsste schon eine große, weltweite Bewegung die Freisetzung von CO2 aus fossilen Brennstoffen bremsen. Nicht mehr als 2 °C soll die globale Erwärmung gegenüber den Werten vor Beginn der Industrialisierung betragen – das ist schon seit 1992 in der Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen festgeschrieben. Seit 1850 ist die Durchschnittstemperatur aber schon um 0,8 °C gestiegen. Um einen weiteren Anstieg auf maximal 1,2 °C zu begrenzen, müssen bis 2050 die Treibhausgasemissionen um 50% sinken, in den Industrieländern sogar um 80 bis 90%. Die Chancen dafür stehen schlecht: Die wachsende Weltbevölkerung mit ihrem überproportional wachsenden Energiebedarf und die bisher kaum vorankommende Umsetzung der Verpflichtungen zur Reduktion der Emissionen lassen schon jetzt daran zweifeln, dass das Zwei-Grad-Ziel noch erreicht werden kann.

Dieses bedrohliche Szenario nehmen Menschen weltweit zum Anlass, sich für Desinvestitionen einzusetzen, also den Abzug von Geldern – in diesem Fall aus Firmen, die ihr Geld mit klimaschädlicher Energiegewinnung verdienen, vor allem die Erdöl-, Kohle- und Erdgasindustrie. Da Privatleute in aller Regel keine erheblichen Summen in diese Branchen investieren, wendet sich etwa die Klimaschutzorganisation „350.org“ an Städte, Gemeinden und Staaten, Kirchen und Universitäten, und fordern diese dazu auf, ihre Investments offenzulegen und aus Klimakiller-Firmen abzuziehen. Die Bewegung, an der jede und jeder sich beteiligen kann, wächst rasant – und hat erfolgreiche Vorbilder: Mit internationalen Boykotten wurde z.B. schon das südafrikanische Apartheidsystem in die Knie gezwungen. Dabei kommt es weniger auf die tatsächlichen finanziellen Einbußen an, die durch eine Desinvestitionskampagne entstehen. Viel wichtiger ist der politische Druck, der durch die bestenfalls immer weiter zunehmende öffentliche Diskussion und Positionierung gegen klimafeindliche Geschäftspraktiken auf die Geldgeber von Gazprom, Exxon, Shell, BP oder RWE ausgeübt wird.

Wo keine Blase ist, kann keine platzen

Dabei erhält der Klimaschutz Rückenwind von bisherigen und zu erwartenden politischen Maßnahmen. Wenn abzusehen ist, dass mit schmutziger Energiegewinnung wegen politischen Gegenwinds immer weniger Profit gemacht werden kann, werden auch Investitionen in die Fossile-Brennstoff-Industrie zunehmend schlechter bewertet. Schon jetzt wird im Zusammenhang mit bereits erfolgten Investments in diese Industriezweige von einer „Kohlenstoffblase“ gesprochen: Einer Spekulationsblase, die platzen dürfte, wenn sich aufgrund neuer politischer Einschränkungen für Kohle, Erdöl und Gas herausstellt, dass das Geld in den Sand gesetzt war. Es ist, kurz gesagt, schon heute langfristig unwirtschaftlich, in schmutzige Industrien zu investieren – zumal nach Schätzungen zur Einhaltung des Klimaziels bis zu 80% der derzeit bekannten Vorräte an fossilen Brennstoffen im Boden verbleiben müssten, mit deren Förderung bei Investitionen in die betreffenden Industrien natürlich bisher gerechnet wurde.

Doch vom Divestment müssen die großen Geldgeber der staatlich massiv subventionierten Erdöl-, Kohle- und Erdgasindustrie erst überzeugt werden. Dazu haben wir moralisch das Recht: Schließlich spekulieren Uni, Kirche und Staat in unverantwortlicher Weise mit unseren Steuergeldern, wenn sie diese in Formen der Energiegewinnung investieren, die keine Zukunft haben und vielmehr die Zukunft der Menschheit gefährden. Go Fossil Free, ein auch in Deutschland vertretenes Netzwerk zur Umsetzung der geforderten Desinvestitionen, berät und unterstützt Bürgerinnen und Bürger, die selbst aktiv werden möchten. Zum Beispiel an den Hochschulen: Studierende können nach dem Informationsfreiheitsgesetz verlangen, dass ihre Uni offenlegt, wie sie ihr Vermögen angelegt hat, und am besten über Institutionen wie die Studierendenparlamente fordern, diese Gelder ggf. klimaschädlichen Unternehmen zu entziehen. 181 Institutionen, darunter viele (v.a. US-amerikanische) Universitäten, haben bereits aus der Fossile-Brennstoff-Industrie desinvestiert – insgesamt geschätzte 50 Mrd. US-Dollar. Doch die aktuelle Entwicklung bei den Klimaschutzbemühungen zeigt, dass noch viel Geld umgelegt werden muss, wenn die Desinvestitionskampagne nachhaltige Erfolge zeitigen soll. Jeder kann übrigens einen ersten Schritt machen, indem man zu einem Kreditinstitut wechselt, das keine Gelder an ökologisch oder sozial fragwürdige Unternehmen verleiht. UNI.DE hat bereits zu solchen Banken informiert.