VON SUSANNE BREM | 09.11.2016 15:16

Living Planet? Der Mensch im Selbstzerstörungsmodus

Jüngst haben der WWF International und die Zoological Society of London die Ergebnisse einer gemeinsam durchgeführten Langzeitstudie veröffentlicht: Laut Living Planet Index ist der Bestand der Wirbeltiere auf der Erde in den letzten 50 Jahren um über die Hälfte zurückgegangen. Im gleichen Zeitraum hat sich die Weltbevölkerung auf mittlerweile 7,35 Milliarden Menschen verdoppelt. Tiere sterben aus, Ressourcen werden überstrapaziert und ganze Ökosysteme zerstört – mit weitreichenden Folgen für sämtliche Lebewesen auf der Erde. Die Studie dokumentiert die gravierenden Veränderungen in Flora und Fauna; sie beleuchtet dabei auch den hohen Schuldanteil der Menschheit an diesem Dilemma. Ist unser Planet noch zu retten? Was müssen wir dafür verändern?


Der Living Planet Index (LPI) setzt sich auf vier Stufen mit der Erde und der Rolle des Menschen für sie auseinander. Zuerst wird der momentane Zustand unseres Planeten erfasst, um Problematiken und einschneidende Entwicklungen auszumachen. Damit zusammenhängend steht der Einfluss des Menschen auf die Naturwelt im Fokus, d. h. seine (zerstörerischen) Verhaltensweisen und sein unkontrollierter Ressourcenverbrauch. Daraus leiten sich grundlegende Ursachen für die menschlichen Handlungswege etwa auf sozialer oder ökonomischer Ebene ab. Denk- und Entscheidungsstrukturen der Menschen lassen sich so erkennen, damit bessere Wege aufgezeigt werden können. Laut LPI liegen diese in der Herausforderung, zwei Hauptansprüche langfristig angemessen miteinander in Einklang zu bringen: einerseits die Natur in vollem Umfang zu schützen und zu respektieren; andererseits sich als Mensch so zu platzieren und zu agieren, dass für alle ein faires Leben möglich ist – auch in weiterer Zukunft.

Was passiert gerade mit der Erde?

Die Studie hat über viele Jahre Daten zu ca. 14.000 Tierpopulationen von 3.700 verschiedenen Arten gesammelt und den Tierbestand gemessen. Den stärksten Rückgang vermeldet das Forscherteam in Süßgewässern wie Flüssen und Seen: Dort leben mittlerweile 81 Prozent weniger Tiere als noch vor 50 Jahren. Tiere in den Ozeanen sind in dieser Zeit um 40 Prozent zurückgegangen, an Land lebende Wirbeltiere um 38 Prozent. Wie gut oder schlecht es um die Biodiversität gestellt ist, ist dabei ein wichtiger Indikator für den gesamten ökologischen Zustand unseres Planeten. Jede Population, jeder Lebensraum, jede Pflanze ist Teil eines Ökosystems, die wiederum miteinander zusammen hängen und einander bedingen. Wenn Elemente daraus zerstört werden, werden komplette Systeme marode oder gehen kaputt. Bekannte Beispiele sind der Regenwald oder die Mangroven.

Letztere etwa bieten Lebensraum für unzählige Fischarten, stützen Küsten und geben Schutz vor Erosion und Stürmen, produzieren lebenswichtige Nährstoffe für Lebewesen wie Korallen. Mit dem Abholzen von Mangrovenwäldern wird eine Bedrohung für die Tier- und Pflanzenwelt gezüchtet, aber auch für Menschen, die mit diesem Ökosystem zusammenarbeiten oder auf deren Schutz angewiesen sind. Woran liegt das? Der Mensch lebt über seine Verhältnisse, er verbraucht 1,6 mal mehr Ressourcen als ein gesundes Maß für die Natur zulassen würde. Im Living Planet Index prognostizieren die Forschenden daher allzu Negatives: Wildtierebestände werden in den nächsten fünf Jahren um weitere 67 Prozent abnehmen, immer mehr Arten werden komplett aussterben und – eine monumental drastische Folge – das sechste große Massenaussterben der Erdgeschichte läuft an.

Tierschutz: Luxus einer Wohlstandsgesellschaft oder Indikator für Menschlichkeit?

Anthropozän, das menschengemachte Zeitalter: Ära der Zerstörung?

Die Einflüsse auf die Erde, die der Mensch durch sein Handeln und seinen Konsum nimmt, sind so tiefgreifend, langfristig und den ganzen Planeten umfassend, dass in der Forschung bereits von einer neuen „geologischen ‚Erdepoche des Menschen‘“ gesprochen wird: dem Anthropozän. Der Mensch überbeansprucht so viele natürliche Güter und Ressourcen, dass er – unumkehrbar – ganze Ökosysteme überstrapaziert und die Natur überlastet. Ihre Antwort: Kargheit, Krankheit, Ressourcenmangel. Bestimmte Ökosysteme bringen dem Mensch saubere Luft, frisches Wasser, Nahrung, Energie, Arznei, seelische Entspannung. Ohne gesunde Ökosysteme gibt es kein Wachstum oder Regeneration mehr – Tiere, fruchtbare Böden, Mineralien, Wasser und viele andere natürliche Güter, die der Mensch selbst zum Leben braucht, gehen verloren.

Die Hauptursachen verortet der LPI im menschlichen Einfluss: Er jagt und fischt zu viel, betreibt zu viel Landwirtschaft und die auch noch zu großflächig und zu monokulturell. Er nutzt zu viele Chemikalien, bewirkt zu viele Emissionen. Das Problem des Menschen ist seine Maßlosigkeit. Laut WWF sind deshalb grundlegend und umfassend Änderungen in der Energiegewinnung und im Nahrungsmittelanbau nötig – weltweit. Der WWF forscht bereits an neuen Mitteln und Wegen, damit einerseits genug nahrhaftes Essen produziert werden kann, es andererseits aber nicht zu Problemen wie Überfischung und zerstörten Lebensräumen kommt. Regierungen müssen sich die Fragen stellen: Wie kann ein nachhaltigerer Konsum verbreitet und gefördert werden? Wie können zerstörerische Effekte auf die Natur durch den Mensch aktiv und langfristig eingedämmt werden? So laufen etwa bereits Projekte zur Aufforstung der Mangrovenwälder, zum Meeresschutz oder der nachhaltigeren Energiegewinnung. Grundlegend und unverzichtbar ist aber vor allem eines: ein Umdenken und Veränderung der bisherigen Verhaltensmuster in der Bevölkerung, bis hin zum einzelnen Mensch: Wie konsumiere ich und warum? Wie wird mir das ermöglicht? Und ist das gut so?