VON SUSANNE BREM | 14.09.2016 15:40

Tierschutz: Luxus einer Wohlstandsgesellschaft oder Indikator für Menschlichkeit?

Hart umkämpfte, längst überfällige Notwendigkeit für die einen; für die anderen Ausdruck einer zu wohlständigen Gesellschaft ohne schwerwiegende Probleme für den Mensch – das Thema Tierschutz führt immer wieder zu hitzigen Debatten in Bevölkerung und Politik. Diskussionen um Massentierhaltung, geschredderte Küken und Tierversuche finden regelmäßig Einzug in die Medien und erhitzen die Gemüter. Die Palette an Meinungen ist breit: Die geforderte Gleichstellung des Tiers zum Mensch findet sich ebenso wie die Ablehnung jeder gröberen Änderung im aktuellen Gesetz. Ist der bisherige Tierschutz ausreichend? Oder sind mehr und bessere Regelungen zum Wohl von Vierbeinern und Co. notwendig?


„Intelligente Wesen mit einem reichen und vielschichtigen sozialen und emotionalen Leben“ – eine Beschreibung, die auf den Mensch passt, aber auch auf Menschenaffen. Diese Parallelen haben Wissenschaftler, Philosophen und Andere Anfang der 90er Jahre zur Gründung des Great Ape Projects bewogen. Sie möchten, dass den Großen Menschenaffen personale Grundrechte rechtlich zugestanden werden. Dann hätten Orang Utans, Gorillas, Schimpansen und Bonobos ebenso wie der Mensch ein Recht auf Leben, auf individuelle Freiheit und auf körperliche und psychische Unversehrtheit. Befürworter des Projekts sehen darin die sinnvollste Möglichkeit, Jagd, Wildfang, Zirkusse und die Vernichtung von Lebensräumen der Affen aufzuhalten und zu unterbinden. Gerade im Hinblick auf kognitive, soziale und kommunikative Fähigkeiten seien sich Mensch und Menschenaffe sehr ähnlich – was ihnen zum selben „Status“ wie dem des Menschen verhelfen soll.

Der Umgang des Menschen mit Tieren

Dennoch ist 2014 eine Petition abgelehnt worden, nach der die Großen Menschenaffen als Rechtspersonen anerkannt werden sollten. Kritiker und Skeptiker wie Alexander Ecker von der Uni Tübingen halten dagegen, dass Menschenrechte und Tierrechte nicht gleichermaßen durchsetzbar sind: Menschen haben sich ihre Regeln für ein friedliches Zusammenleben erschaffen; sie beruhen auf Gegenseitigkeit, jeder Einzelne steht in der Pflicht ihrer Einhaltung. Wenn man also anderen körperliche Unversehrtheit zugesteht, kann man sich auch sicher sein, sie selbst gewährt zu bekommen. Gewalttätige Rangkämpfe und ungleiche Hierarchieordnungen sind unter Tieren aber gängig und wohl kaum zu unterbinden. Wenn auch Ecker Tierschutz befürwortet: Wo er sich auf eine völlige Gleichstellung von Tier und Mensch bezieht und diese Forderung als undurchführbar kritisiert, ist eher nur der Umgang des Menschen mit dem Tier gemeint (nicht aber umgekehrt): Gorillas und Co. soll Unversehrtheit vom Mensch verbindlich und uneingeschränkt zugestanden werden – mehr nicht. Es geht um die Rolle und Funktion des Tiers als Nutztier für den Menschen und die Frage, ob und wie viel das stärker wiegt als der Wert dieser Lebewesen. Mit den Grundrechten auf Freiheit und Unversehrtheit würde sich diese Abwägung zugunsten der Menschenaffen erübrigen.

Die moralische Verantwortung liegt beim Mensch

Auch der Direktor des Nürnberger Zoos, Dag Encke, sieht den Mensch als Verantwortungsträger: Als Lebewesen mit (selbst)reflexivem Bewusstsein ist er fähig, aktiv auf seine Umwelt einzuwirken. Jede Ausbeutung geht daher auf sein Konto, jede Rücksichtnahme muss also genauso von ihm ausgehen; aus seiner Fähigkeit zu reflektiertem Handeln speist sich quasi seine moralische Verantwortung. Encke sieht das gegebene (deutsche) Tierschutzgesetz als ausreichend, v. a. im Hinblick auf das Übereinkommen zum Artenschutz und Erhalt der Lebensvielfalt (getroffen von der Staatengemeinschaft als globale Vereinbarung auf der Biodiversitätskonvention 1992). Im Sinne des Artenschutzes sieht er auch die Populationsregulierung in Zoos als notwendig und unvermeidbar – der Fall der Giraffe Marius, die wegen Platzmangel getötet und an Löwen verfüttert wurde, war 2014 in den Schlagzeilen. Encke beruft sich auf das Naturargument, dass es stets Schwächere und Stärkere gebe, Gewinner und Verlierer, Überlebende und Getötete. Die grundlegende Frage, in der die Meinungen differieren, bleibt aber auch hier: Darf der Mensch eingreifen und nach seinen eigenen Wünschen (wie etwa Freizeit und Unterhaltung) regulieren oder steht ihm diese „Machtausübung“ über die Tierwelt nicht zu? Insofern führen die Diskussionen stellenweise aneinander vorbei: Die einen reden darüber, wie mit Tieren als Nutzgegenstand für den Mensch umzugehen ist; die anderen darüber, dass sie überhaupt nicht als solcher angesehen werden dürfen.

Die Intelligenz unseres Fleisches oder:

Was bleibt: die Doppelmoral

Nicht zuletzt wurde im Fall des Kopenhagener Zoos an vielen Stellen auch auf die widersprüchliche Doppelmoral der Menschen verwiesen. Einerseits landen jedes Jahr im Schnitt beinahe 60 kg Fleisch pro Kopf auf den deutschen Tellern, andererseits drängt die Tötung einer einzelnen Giraffe viele zu Protest und Empörung. „Tierschutz, ja, aber…“ formuliert Martin Huth (Messerli Forschungsinstitut) die Zerrissenheit der Bürger und Bürgerinnen. Tiere sollen nicht leiden und nicht umgebracht werden – solange man zusehen muss; so handhabt der durchschnittliche Mensch dieses Thema. Einzelne Haustiere mit Namen und Identität stehen kleinen anonymen Kälbchen, die gegessen werden, gegenüber. Dabei verbindet alle derselbe Gedanke: Tiere sind wertvolle Lebewesen und schützenswert; Leid soll für sie ebenso vermieden werden wie für den Mensch. Was unterschiedlich ist, sind die Definitionen von Wertschätzung und wo Leid anfängt.