VON CLEMENS POKORNY | 02.11.2016 16:11

Klimakompensation: CO2-Emissionen ausgleichen

Der weitgehend unumstrittene Emissionsrechtehandel hat eine in den letzten Jahren mächtig gewachsene Schwester: die Klimakompensation. Unternehmen, die viel Kohlenstoffdioxid ausstoßen, investieren zum Beispiel in die Anpflanzung von Wäldern in Entwicklungsländern und erwerben damit das Recht, CO2 in dem Maße zu emittieren wie die Bäume es mittelfristig speichern. Ist das eine zukunftsweisende Idee?

Vielleicht kann der Mensch sein egoistisches Streben nach Vorteilen für sich nicht überwinden. Und wahrscheinlich wird sich unsere Art des Wirtschaftens nicht so bald von ihrer Wachstumsfixierung lösen. Zugleich wissen alle gesellschaftliche Akteure, dass die westliche Produktions- und Lebensweise uns in die Klimakatastrophe geführt hat und wir nur noch deren Folgen abmildern können. Beide Tendenzen – Gewinnstreben und Klimaschutz – lassen sich allerdings nach Auffassung vieler Verantwortlicher aus Politik und Wirtschaft miteinander verbinden.

Die bekannteste Möglichkeit dafür stellt der Emissionsrechtehandel dar. Die Idee: Die Politik legt in Übereinstimmung mit den weltweit vereinbarten Klimazielen Obergrenzen für die CO2-Emissionen der besonders klimaschädlichen Industrien eines Landes oder Staatenbundes (z.B. der EU) fest, die Jahr um Jahr gesenkt werden. An alle Unternehmen der betroffenen Branchen werden Zertifikate ausgegeben, die diese berechtigen, Kohlenstoffdioxid auszustoßen. Wegen ihrer begrenzten und jährlich sinkenden Zahl sind die Zertifikate ein knappes Gut. Da die Firmen nicht mehr emittieren dürfen als ihre Zertifikate ihnen erlauben, müssen sie entweder ihren CO2-Ausstoß schrittweise verringern oder überschüssige Zertifikate anderer Unternehmen kaufen, die selbst weniger Klimagas ausstoßen als sie dürften. So bleibt der Privatwirtschaft selbst überlassen, Strategien zur CO2-Vermeidung zu entwickeln. Staaten oder Staatenbünde geben nur die Gesamtmenge an Kohlenstoffdioxid vor, die auf ihrem Gebiet von den festgelegten Industrien in die Luft geblasen werden darf. In der EU beispielsweise unterliegen so bereits 50% des CO2-Ausstoßes dem Emissionsrechtehandel – und damit der staatlich regulierten Reduktion dieses Klimagases im Sinne des Klimaschutzes.

Die Psychologie nachhaltigen Denkens

Eine neue Strategie zur Verbindung von Wirtschaft und Klimaschutz vermeidet den Umweg über die Einsparung von Kohlenstoffdioxid seitens fremder Firmen, denen ein Unternehmen, das mehr CO2 ausstößt als es darf, ihre Emissionsrechte abkauft (Carbon Offsetting). Bei dieser sogenannten Klimakompensation (auch als Carbon Insetting bezeichnet) bessert vielmehr eine Firma ihre CO2-Bilanz auf, indem sie freiwillig Geld in Projekte investiert, die zur Bindung von Kohlenstoffdioxid führen – typischerweise Aufforstungsmaßnahmen in Asien, Afrika und Lateinamerika. Als sogenannte Kohlenstoffdioxidsenken speichern die Bäume eine zu berechnende Menge an CO2, die sich das investierende Unternehmen zum Verdienst anrechnen kann und für die es – analog zu den Verschmutzungsrechten – Zertifikate bekommt, für deren Wert unabhängige Umwelt- und Klimaschutzorganisationen bürgen und die auch verkauft werden können. Auf diese Weise werden bereits die jährlichen Geschäftsberichte einiger großer deutscher Unternehmen „klimaneutral“ produziert: Allen anfallenden Kohlenstoffdioxidemissionen stehen Investitionen in im entsprechenden Maße CO2-bindende Maßnahmen gegenüber. Vom Carbon Insetting profitieren im Idealfall also mindestens drei Parteien: Erstens das finanzierende Unternehmen, das mit seinen Bemühungen um den Klimaschutz werben oder seine Zertifikate verkaufen kann. Zweitens ein Kompensationsdienst, der für das beauftragende Unternehmen die Carbon-Insetting-Maßnahmen in die Tat umsetzt, also zum Beispiel (Wieder-)Aufforstung betreibt, wo der jeweilige Staat dies nicht selbst tut. Und drittens die Menschen vor Ort, für die Arbeitsplätze bei der Pflanzung der Bäume entstehen; werden Nutzpflanzen wie z.B. Kakaobäume angepflanzt, wird auf diese Weise die lokale Wirtschaft dauerhaft gefördert.

Problematisch bleibt an Emissionsrechtehandel (Carbon Offsetting) und Klimakompensation (Carbon Insetting), dass der CO2-Ausstoß als Tatsache nicht weiter in Frage gestellt wird. Beim Carbon Insetting gibt es, anders als beim Offsetting, noch nicht einmal eine Reduktion der Kohlenstoffdioxidemissionen. Daher bleibt die Frage, ob wir in den reichen Ländern dieser Welt nicht unseren luxuriösen Lebensstil in Frage stellen und gegebenenfalls einschränken sollten. Brauchen wir wirklich Smartphones? Muss eine Familie in der Stadt zwei Autos besitzen? Und sollten wir nicht öfters reparieren statt immer gleich neu zu kaufen?