VON CLEMENS POKORNY
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16.03.2015 12:18
Die Zukunft der Landwirtschaft
Immer mehr Menschen bevölkern die Erde, zugleich nimmt die Zahl der bäuerlichen Betriebe bei uns immer mehr ab. Schon jetzt überfordert die industrielle Agrikultur Böden, Grundwasser und Klima. Die traditionelle Landwirtschaft, in Deutschland „biologisch“ genannt, könnte auch neun Milliarden Menschen locker ernähren – vorausgesetzt, diese verzichteten darauf, den verantwortungslosen Lebensstil der heutigen nordamerikanischen und europäischen Bevölkerung zu führen.
Die Weltbevölkerung wird weiter wachsen, vielleicht auf acht Milliarden Menschen bis zum Jahr 2025 und auf über neun Milliarden bis 2050. Wie sich die größere Menschheit dann über den Globus verteilen wird, ist – mit Ausnahme der ungebremsten Landflucht – nicht ausgemacht. Doch in jedem Fall stellt sich die Frage: Wie sollen all diese Menschen satt werden?
Schon jetzt wird die Erde von uns überbeansprucht. Insbesondere der übermäßige, ungesunde, klimafeindliche und tierquälerische Fleischhunger der Bevölkerung der Industrie- und Schwellenländer überfordert Böden, Wasserreservoires und das Klima. Gleichzeitig sterben in den armen Ländern jeden Tag 20.000 Menschen an Hunger. Eine Milliarde Menschen sind unterernährt, eine weitere Milliarde hungert „still“, d.h. sie hat nur quantitativ, nicht aber qualitativ genug zum Essen, ihr fehlen also wichtige Nährstoffe. Wie konnte es zu diesen krassen Unterschieden kommen?
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In den reichen Ländern wurde die traditionelle Landwirtschaft seit dem 19. Jahrhundert
zunehmend optimiert. Die Entwicklung des Kunstdüngers und motorbetriebener Landmaschinen legte die Grundlage für die zwischen 1920 (Nordamerika) und 1950 (Europa) einsetzende Industrialisierung des Ackerbaus. Die Gesetze des freien Marktes zwangen die in der Landwirtschaft tätigen Menschen, die Veränderungen mitzumachen oder ihr Gewerbe aufzugeben. Immer größer, immer schneller, immer mehr – das galt und gilt auch für die Nutztierhaltung, mit den bekannten Folgen für Tiere und Klima. In den sozialistischen Staaten scheiterten ideologisch motivierte Projekte zur Sicherung der Ernährung der Bevölkerung auch an fehlender wissenschaftlicher Absicherung. Die heutigen Entwicklungsländer hingegen wurden schon zu Kolonialzeiten zum großflächigen Anbau von zum Export bestimmten Produkten ausgebeutet. Das behindert bis heute die bäuerliche Subsistenzwirtschaft.
70% der Hungernden sind Mitglieder bäuerlicher Familien, die für den Export produzieren müssen, um finanziell über die Runden zu kommen, und denen in ihrer Heimat die Preise von aus den Industrieländern importierten, hoch subventionierten Produkten kaputt gemacht werden. Zudem geraten sie oft in Abhängigkeit von den wenigen weltweit agierenden Saatgutkonzernen. Missernten hatten und haben dann z.B. in Indien oft massenhaften Suizid unter der ländlichen Bevölkerung zur Folge.
Diese Tatsache sollte alle jene warnen, die in der Grünen Gentechnik die Zukunft der Ernährung sehen. Gentechnik auf dem Acker nutzt zuallererst den Saatgutkonzernen, die die Patente auf Gensorten haben und gleich doppelt an bäuerlichen Betrieben verdienen, weil sie ihnen zusätzlich zu den Samen die auf die jeweilige Sorte zugeschnitten Pestizide verkaufen. Das augenfälligste Beispiel für die Profitgier der Gentechnik-Branche lieferte der Konzern Monsanto: Er verklagte 1998 den kanadischen Bauern
Percy Schmeiser, weil dieser gentechnisch verändertes Saatgut verwendet hatte, mit dem seine Felder vermutlich durch Windverwehung kontaminiert worden waren, das er aber selbst nie erworben hatte. Auch
die zu erwartende weitere Automatisierung der Landwirtschaft dürfte das Problem der zunehmend schwierigeren Versorgung der Menschheit mit Nahrungsmitteln nicht lösen – schon allein wegen der hohen Kosten für Ernte- und sonstige Roboter, die nur für einige Betriebe in den Industrieländern erschwinglich sein dürften.
Aussichtsreicher könnten dagegen
Bemühungen zur Stärkung der traditionellen bäuerlichen Agrikultur in Entwicklungsländern sein, die ohne chemische Pflanzenschutzmittel auskommt und auf alte, widerstandsfähige Sorten setzt. So wirtschafteten wir seit Jahrhunderten, und so arbeitet auch jetzt wieder die biologische Landwirtschaft, die
sogar eine weiter zunehmende Bevölkerung mühelos ernähren könnte. Zwei Probleme ließen sich allerdings nur durch einen entsprechenden Sinneswandel in der Bevölkerung der reichen Nationen in den Griff bekommen: Zum einen dürften nicht mehr so viele Lebensmittel weggeschmissen werden – sowohl von den Konsumentinnen und Konsumenten als auch vom Einzelhandel, dessen verwöhnte Kundschaft aus dem Überangebot an Nahrungsmitteln nur frischeste und absolut makellose Ware akzeptieren. Zum anderen müssten wir unseren Fleischkonsum (
derzeit 60 Kilogramm pro Kopf und Jahr in Deutschland) auf ein für alle Beteiligten gesundes Maß – etwa ein Drittel – herunterfahren und verstärkt auf Arten setzen, die ihr Futter quantitativ besser verwerten als Rind, Schwein und Huhn – z.B. Fische aus Aquakulturen oder Insekten. Ob die Menschen in den wohlhabenden Ländern dieser Erde aber bereit sind, ihre ebenso luxuriösen wie für unsere Erde ruinösen Gewohnheiten im Sinne ihrer eigenen Gesundheit, kommender Generationen und der Umwelt zu ändern, bleibt abzuwarten.