VON MAXIMILIAN REICHLIN | 22.09.2016 10:55

Schwarze Null, rote Null – Was ist dran am Märchen des ausgeglichenen Haushalts?

Der Etatentwurf der Bundesregierung für die Jahre von 2017 bis 2020 zeichnet ein eindeutiges Bild: Finanzminister Wolfgang Schäuble will die „schwarze Null“, den ausgeglichenen Haushalt, bis 2020 halten. Demnach sollen auch in den kommenden Jahren keine neue Kredite aufgenommen werden, die Schuldenlast auf Deutschland soll sinken. Kritische Stimmen betonen jedoch, dass dadurch dringend benötigte Investitionen in die Infrastruktur in die Zukunft ausgelagert würden – in der die Rahmenbedingungen für den Haushalt nicht mehr so rosig aussehen könnten, wie es jetzt der Fall ist.


Anfang September begannen im Bundestag die Beratungen über den Etatentwurf der Bundesregierung. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble zeigt sich darin zuversichtlich, die sogenannte „schwarze Null“ - also einen ausgeglichenen Haushalt – bis 2020 beibehalten zu können. Das bedeutet konkret: Es sollen keine neuen Schulden gemacht werden, um den Haushalt in den kommenden Jahren zu unterstützen. Im Jahr 2020 soll die Schuldenlast zum ersten Mal seit über 10 Jahren wieder unter 60 Prozent des Bruttoinlandsproduktes fallen. Ein ehrgeiziges Ziel.

Die schwarze Null ist mittlerweile zu Schäubles Markenzeichen geworden. Der Finanzminister ist sichtlich stolz auf seine Leistung. Zurecht: Zum ersten Mal seit 1969 kam der Bundeshaushalt im Jahr 2015 ohne zusätzliche Kredite aus. Möglich geworden war diese Entwicklung durch hohe Steuereinnahmen und niedrige Zinsen. Nun gibt sich der Finanzminister optimistisch, auch in den kommenden Jahren ohne Kredite auszukommen und stellt gleichzeitig Steuererleichterungen ab 2017 in Aussicht. Ein „Meilenstein“, wie die Koalition den Haushaltsausgleich nannte. Über Vor- und Nachteile der schwarzen Null sind Fachleute derweil geteilter Ansicht.

Reiches Land – arme Kinder

Pro: Keine zusätzlichen Schulden, Vertrauen der Investoren

Befürworter für die schwarze Null gibt es viele. Wirtschaftskorrespondentin Brigitte Scholtes sieht im ausgeglichenen Haushalt in erster Linie ein prestigeträchtiges Symbol für zukünftige Geldgeber. „Solides Haushalten schafft Vertrauen bei Investoren. Dieses Vertrauen brauchen wir.“ Zudem sei ein Staat wie Deutschland in der Lage, Investitionen auch ohne zusätzliche Schulden zu tätigen – wenn dabei klug vorgegangen werde. Auch Michael Hüther, Leiter des Instituts der deutschen Wirtschaft in Köln, äußerte sich dem ausgeglichenen Haushalt gegenüber positiv: „Die Bundesregierung zeigt damit Verantwortung und Glaubwürdigkeit. Der Verzicht auf weitere unkontrollierte Kreditaufnahmen ist ein entscheidender Schritt, um künftig handlungsfähig zu bleiben.“

Contra: Fehlende Investitionen, kein Schuldenabbau

Andere Stimmen sind da ganz anderer Ansicht. Auch sie betrachten die schwarze Null als „Prestigeprojekt“ der Bundesregierung, allerdings als ein leerläufiges. Zu hoch seien demnach die Risiken der schwarzen Null, zu niedrig die dringend benötigten Investitionen in Autobahnen und das IT-Netz. „Heute an Investitionen zu sparen bedeutet, eine Kostenexplosion in vielleicht zehn Jahren zu riskieren“, so Journalist Michael Braun. „Dann muss man weit mehr Geld in die Hand nehmen, als jetzt – und das nur, damit heute eine schwarze Null unterm Strich steht.“ Der Haushaltsaugleich des Finanzministers sei zum Selbstzweck verkommen, zu einem „falschen Fetisch“.

Wo die einen Schäubles schwarze Null also als den besten „Beitrag zur Generationengerechtigkeit“ feiern, „den wir für die Jungen, die Kinder und Enkel leisten können“ - so zu hören von Bundeskanzlerin Angela Merkel – sehen die anderen dagegen die „rote Null“, die Investitionen und Schuldenabbau auf Morgen vertagt und somit zusätzlichen finanziellen Druck auf kommende Generationen ausübt. Rainer Holznagel, Präsident des Bundes der Steuerzahler, hält die günstigen Rahmenbedingungen für die schwarze Null für eine „temporäre Situation“. Auch er sieht in der schwarzen Null keinen Nutzen, solange sie nicht benutzt würde, um Schulden abzubauen. Bald könnte es dafür nämlich wieder zu spät sein. „Insgesamt haben wir noch über zwei Billionen Euro Substanzschulden und irgendwann werden die Zinsen wieder steigen. Und dann kommt auch der Zahltag“, so Holznagel.