VON CLEMENS POKORNY | 21.03.2012 14:14

Joseph Kony: Das Internet jagt einen Massenmörder

Ein Internetvideo ermutigt zur Teilnahme an einer globalen Jagd auf den Rebellenchef Joseph Kony, der Zehntausende Kinder zwangsrekrutiert hat und für unzählige Kriegsverbrechen verantwortlich ist. Doch die Kampagne „Kony 2012“ wird massiv kritisiert und ist wenig erfolgversprechend.

In Afrika wüten viele Warlords, Befehlshaber paramilitärischer Milizen, die für ihre Macht oder eine Ideologie mithilfe ihrer Privatarmeen über Leichen gehen. Der seit langem bekannteste von ihnen ist der ugandische Kriegsverbrecher Joseph Kony. Seine „Lord's Resistance Army“ (LRA) kämpfte über 20 Jahre lang vom südlichen Sudan aus in Uganda und seit etwa 2008 in der Zentralafrikanischen Republik und in der Demokratischen Republik Kongo für die Errichtung eines christlichen Gottesstaates. Im Laufe der Zeit wurden unter Konys Führung zwei Millionen Menschen vertrieben und über 30.000 Kinder für die Zwecke der Gotteskrieger missbraucht: Mädchen wurden vergewaltigt, Jungen als Kindersoldaten zwangsrekrutiert. Söhne mussten teilweise ihre eigenen Eltern erschießen. Wer nicht gehorchte, wurde verstümmelt oder ermordet. Gegen die Macht der Rebellen kommen die ihrerseits oft wenig gesetzestreuen Regierungen der zentralafrikanischen Länder kaum an. Bis heute konnten die Verantwortlichen nicht zur Rechenschaft gezogen werden, ein Verfahren des Internationalen Strafgerichtshofs 2005 blieb bisher ohne Folgen. In den USA setzt sich die NGO „Invisible Children“ seit mehreren Jahren mit der Problematik auseinander. Als ein Zwischenergebnis veröffentlichte die Organisation am 5. März im Internet das Video „Kony 2012“, das seitdem alleine bei YouTube über 80 Millionen Mal angeklickt wurde. In dem halbstündigen Streifen konfrontiert der Regisseur Jason Russell einige Informationen über die Lord's Resistance Army und ihren Anführer Kony mit der Geschichte eines ugandischen Jungen und den Reaktionen seines eigenen etwa 8-jährigen Sohnes. Außerdem stellt der Film die Kampagne „Kony 2012“ von „Invisible Children“ vor: Unter anderem wurden Abgeordnete des US-Kongresses kontaktiert, was 2011 zur Entsendung von 100 US-Soldaten als Unterstützung des lokalen Kampfes gegen die LRA nach Uganda führte. Aktivisten gegen Kony stellt die Organisation ein „Kit“ mit Poster, Armbändern und Stickern der Kampagne zur Verfügung. Über die Social Media, v.a. Twitter, wurden die Aktionen massiv beworben. Prominente wie Oprah Winfrey und Justin Bieber erklärten öffentlich ihre Unterstützung für das Projekt, das sich die Verhaftung Konys bis Ende dieses Jahres zum Ziel setzt. 


So edel die Absichten von „Invisible Children“ auch sind, die Kampagne „Kony 2012“ erntet massive Kritik von vielen Seiten. Und zwar nicht nur, weil weniger als ein Drittel der Spendengelder in Millionenhöhe in Uganda ankommt. Auch der Film, der das Geld einwerben soll, wird scharf angegriffen: Abgesehen von der unsachlichen Personalisierung des Problems in Gestalt seiner Verengung auf die Person Joseph Kony fällt die enorme Emotionalisierung auf, mit welcher der Film arbeitet: Ständig Bilder von weinenden oder lachenden Menschen, vorzugsweise Kindern, pathetische Worte, schwülstige Geigenklänge. „Kony 2012“ will bewegen, verteidigen die Befürworter das Video, und muss daher die Gefühle ansprechen. Nur: Über die Gefühlsduselei kommen die Information und das kritische Denken zu kurz. „Invisible Children“ stellt eine „Armee“ von Mitmachenden auf, die nach Kritikern viel zu wenig darüber weiß, wofür sie eigentlich „kämpfen“ soll. Außerdem bleibt unklar, was Aktionen wie die für den 20./21. April geplante Plakatierung in den USA überhaupt nützen sollen, solange Joseph Kony irgendwo in Afrika – sein Aufenthaltsort ist unbekannt – ohne handfeste Gegenwehr für seine Ziele kämpft. „Kony 2012“ betreibt überdies Schwarz-Weiß-Malerei: Die Verstrickung anderer Konfliktparteien wie etwa der ugandischen Regierung oder der Sudanesischen Volksbefreiungsarmee in die Verbrechen der vergangenen Jahrzehnte wird verschwiegen, sodass beim Betrachter des Videos ein Zerrbild von den Zuständen in Zentralafrika entsteht. Weil die LRA den Schwerpunkt ihrer Aktivitäten mittlerweile längst in andere Länder verlegt hat, bleibt auch die Fixierung auf Uganda fragwürdig – zumal das Land derzeit ganz andere Probleme hat. In Uganda selbst musste die Vorführung des Videos aufgrund massiver Proteste eingestellt werden. Schließlich bedient der Film westliche Stereotype und Klischees, v.a. das des unzivilisierten Schwarzen, dem von überlegenen Weißen geholfen werden muss – und das, obwohl diese überhaupt keine Ahnung von der Situation in Zentralafrika haben und die Probleme des schwarzen Kontinents bekanntlich vor allem von den sogenannten zivilisierten Ländern verursacht wurden und werden.

Die Kampagne „Kony 2012“ beweist, wie schnell über die Social Media Massen mobilisiert werden können. Das ist einerseits ein wenig beunruhigend – andererseits zeigen die vielen negativen Reaktionen, dass die Internetuser durchaus kritisch reflektieren und differenzieren. Und erkennen: „Kony 2012“ setzt an den Symptomen eines Problemkomplexes an, den sie simplifiziert und für den sie mit fragwürdigen Methoden eine Lösung anstrebt. Die Afrikanische Union hat bereits auf den Film reagiert und einen Militäreinsatz gegen die LRA angekündigt. Eine Truppe von 5000 Soldaten soll den Warlord und seine Rebellen in mehreren Ländern Zentral- und Ostafrikas bekämpfen. Dem Regisseur Jason Russell ist die enorme Resonanz auf sein Video dagegen nicht gut bekommen: Elf Tage nach Veröffentlichung des Streifens wurde er nackt, dehydriert und verwirrt im kalifornischen San Diego von der Polizei auf der Straße aufgegriffen und in eine Klinik eingeliefert – er hatte den hohen medialen Druck nicht mehr ertragen.