VON ANNBELLA MARTINZ | 07.09.2016 10:36

Schneller und besser bis hin zur Optimierung: Human Enhancement

„Ich bin doch keine Maschine“ hört man heutzutage noch Menschen sagen, die sich mit den ihnen aufgetragenen Aufgaben überfordert fühlen und nicht hinterher kommen. Doch genau das könnte sich bald ändern: Human Enhancement macht es möglich.

Human Enhancement ist die Optimierung des Menschen und dient der Erweiterung der menschlichen Möglichkeiten und der Steigerung menschlicher Leistungsfähigkeit mit Hilfe von Wirkstoffen und Hilfsmitteln. Ob krank oder gesund: Alles kann durch Technologie optimiert werden.

Leistungssteigerung in der Mitte der Gesellschaft

Auf den ersten Blick hört sich das nach weit entfernter Zukunftsmusik an, wenn man genauer hinschaut sieht man allerdings, dass Human Enhancement schon heute in der Mitte der Gesellschaft zu finden ist.

Aufputschmittel wie Kaffee und Energydrinks werden im Volksmund nicht als Enhancement angesehen, trotzdem haben sie dasselbe Ziel. Sie fördern die Leistungsbereitschaft, die Konzentration und testen die Grenzen des Körpers aus. Wo dieser manchmal einfach Stopp sagen würde, arbeitet er mit den gewissen Hilfsmitteln doch auf Hochtouren weiter.

In der Fashion Industrie ist Body Enhancement seit langer Zeit gang und gäbe: Implantate in der Brust, Hyaluron in den Lippen, Botox im Gesicht. Der Schönheit willen legen sich Menschen unter das Messer, um dem Druck (oder Drang?) nach Schönheit gerecht zu werden.

Wenn der Kaffee nicht mehr zieht – Neuro-Enhancement

Da Kaffee und Energydrinks nur noch zum Teil helfen, der Körper sich an den ständigen Konsum gewöhnt hat und eine Tasse Kaffee mehr oder weniger auch nicht zu Höhenflügen verhilft, greifen Menschen, die unter großem Druck stehen, mittlerweile zu chemischen Substanzen.

Eine informelle Studie der Zeitschrift Nature deckte auf, dass ein Fünftel der im medizinischen und naturwissenschaftlichen Bereich Tätigen hin und wieder zu einer leistungssteigernden Droge greifen. Ritalin verspricht die Förderung der Konzentration, wodurch man länger und besser lernen kann. Studierende fühlen sich dem Prüfungsstress oft nicht gewachsen und nicht selten wird auch deshalb zur Pille gegriffen.

Auch im Sport lassen sich seit Jahren Fälle des Neuro-Enhancements finden. Wie es der Wettkampf mit sich bringt, versuchen Sportler ihre Leistungen ständig zu steigern. Doch manchmal werden körperliche Grenzen erreicht und es kommen Aufputschmittel ins Spiel. Die zahlreichen Dopingskandale zeigen, unter welchem Leistungsdruck Sportler stehen und wie viele von ihnen zu Hilfsmittel greifen.

Durch Behinderung zum Vorteil kommen: Body-Enhancement

Neben dem Neuroenhancement, also der Steigerung der Leistungsbereitschaft durch chemische Substanzen, fällt unter den Begriff des Human Enhancement außerdem die Leistungssteigerung durch technologische Hilfsmittel, wie zum Beispiel durch Prothesen.

Primär wurden Prothesen als Nachbildung verlorener Körperteile eingesetzt, die komplette Funktion eines funktionstüchtigen Körperglieds konnte allerdings nicht wiederhergestellt werden. Mit den neuen technischen Mitteln ist es jedoch möglich, dass Prothesen sogar leistungsstärker machen, als natürliche Gliedmaßen.

Für Aufsehen erregte 2008 der Fall des südafrikanischen Leichtathleten Oscar Pistorius. Der unterschenkelamputierte Sportler setzte sich vor dem Sportschiedsgerichtshof durch und erkämpfte sich das Recht, sich an den Olympischen Spielen für Nichtbehinderte qualifizieren zu dürfen. Bei der Diskussion ging es erstmals darum, dass eine Behinderung zum sportlichen Vorteil werden könne. Seine aus Karbon gefertigten Prothesen seien leistungsstärker als menschliche Beine.

Wenn Musik sichtbar wird und Zahlen Farben haben

Auch die Technik der Hörgeräte ist so weit vorangeschritten, dass sie nun nicht mehr nur den durchschnittlichen Hörsinn wiederherstellen kann, sondern das Ohr mit einigen Features ausstattet. Mittlerweile lassen sich mit Hilfe eines Hörgerätes Klänge besser wahrnehmen als mit dem menschlichen Ohr. Sie beinhalten zusätzlich die Wireless-Technologie und lassen sich mit MP3-Playern, Fernsehern oder dem Festnetz-Telefon verbinden.

Dieser Faden lässt sich ohne weiteres noch weiter spinnen: Wenn Prothesen „bessere“, da leistungsstärkere Gliedmaßen darstellen als menschliche Körperteile, wieso dann nicht einfach ersetzen lassen, ohne dass ein vorheriges Problem besteht? Oder ist der altersgeschädigte menschliche Körper an sich schon ein Problem?

Die gesellschaftliche Schere im Wandel

Befürwortende des Human Enhancement argumentieren, dass soziale Gräben überbrückt werden können. Würde es Alterserscheinungen, Krankheiten oder Behinderungen nicht mehr geben, hätten alle Menschen die gleichen Voraussetzungen an sozialer Teilhabe. Behinderungen würden nicht mehr existieren, sondern durch Technik ja gar zum Vorteil umgewandelt werden. Geistige Rückstände können durch Neuro-Enhancement behoben werden und zu einer Gleichstellung führen.

Kritische Stimmen sehen das wiederum von der anderen Seite: Die Ersten, die sich gewisse Vorteile verschaffen könnten, wären wohlhabende Personen. Technische Mittel sind teuer, sodass sie sich ärmere Menschen von Vornherein nicht leisten könnten. Die Schere von Arm und Reich würde sich noch weiter öffnen. Zusätzlich geht es ja um den Wettbewerbskampf, in dem man sich durch Human Enhancement zu behaupten versucht. Das Prinzip des Ausschaltens von Ungerechtigkeit würde gegen das ganze Modell sprechen. Leistung, Leistung, Leistung – was bleibt vom Menschen übrig?

Dass wir in einer Leistungsgesellschaft leben, liegt auf der Hand. Alles und jeder muss immer besser und schneller werden, um überhaupt dem Leistungsdruck standhalten zu können. Das Konzept des Human Enhancement verspricht eine Welt, in der die Wettkampfsituation - fair oder weniger fair, je nachdem, welchem Lager man sich zugehörig fühlt – optimiert wird. Beim Human Enhancement geht es nicht darum, dem Menschen ein glücklicheres Leben zu sichern. Es geht nicht darum, Menschen mit Behinderungen ein normales Leben zu gewährleisten. Die ohnehin schon Gesunden sollen optimiert werden, sodass Führungspersonen noch länger ihren Job ausüben können, Sporttreibende noch schneller laufen oder sich wissenschaftliches Personal noch intensiver dem Forschungsprojekt widmen können.

Die Zukunft als Cyborg

Es gibt nichts, was es nicht gibt: Cyborgs laufen durch die Straßen und fliegende Schiffe bringen die Großstadtmenschen in die Arbeit: Hat man alles in Science-Fiction-Filmen schon gesehen und als unrealistisch abgetan. Doch mithilfe des Human Enhancement scheint die Zukunft der Halbmenschen/Halbcyborgs nicht weit entfernt zu sein.

Es stellt sich die Frage, in welchem Maße die menschliche Optimierung an Interesse gewinnt und inwiefern dies die breite Masse betrifft. Wird Human Enhancement nur betrieben, um sich selbst zu verwirklichen oder kommt es so weit, dass sich einzelne Personen gezwungen fühlen, sich zu optimieren, um dem Leistungsdruck standzuhalten? Eine Optimierung scheint auf den ersten Blick immer positiv zu sein. Doch nicht um jeden Preis, weshalb Folgeerscheinungen mitberücksichtigt und eine genaue Abwägung stattfinden muss, ob sich das Durchsetzen des Human Enhancement für alle Beteiligten lohnt.

Eins steht fest: Falls die nächste Generation Mensch „Cyborg“ heißen sollte, wird das Sprichwort „Ich bin doch keine Maschine“ hinfällig werden.