VON LISI WASMER | 24.03.2014 15:35

Eigenwilliger Schrebergarten – das Flüchtlingslager am Oranienplatz

Es klingt schon sehr „deutsch“, wenn sich Politiker gegen Flüchtlingscamps aussprechen, weil die dort errichteten Holzhütten nicht dem Grünanlagengesetz entsprächen. Gemeint ist der Streit um das Protestcamp auf dem Oranienplatz in Berlin, Kreuzberg, wo sich derzeit mehrere hundert Flüchtlinge aufhalten, die auf Asyl in Deutschland hoffen. Seit Wochen wird über eine friedliche Räumung des Camps verhandelt. Stattdessen bauten die Flüchtlinge ihr Lager systematisch aus - und provozierten damit nicht nur die Politik. Nun scheint Bewegung in die Sache zu kommen.

Die Geschichte der Flüchtlinge auf dem Oranienplatz in Berlin, Kreuzberg ist eine lange, auch abgesehen vom Verlassen ihrer Heimat bis zum Eintreffen in Deutschland. Hier beginnt sie im September 2012, als in Würzburg der „Marsch der Würde“ aufbricht. Daran beteiligt: Etwa 20 Flüchtlinge, die am Zielort Berlin gegen die Residenzpflicht kämpfen wollen, gegen Gemeinschaftsunterkünfte und für einen Abschiebestopp. Nach 28 Tagen und knapp 600 Kilometern kamen sie im Oktober 2012 in Berlin an. Die Unterstützerzahl war inzwischen stark angestiegen, laut Sprechern der Protestbewegung auf über 300 Teilnehmer. Am Oranienplatz wurden provisorische Zeltunterkünfte eingerichtet. Daraus ist inzwischen ein komplettes Protestcamp entstanden, das neuerdings auch durch bereits 40 Holzhütten ergänzt wird.

Aus der Hölle in die Hölle: Asylsuchende in der EU

Erst Duldung, jetzt Ungeduld

Hier wohnen derzeit gut 70 Flüchtlinge. Weit mehr, circa 130 Asylsuchende, sind vorübergehend in anderen Unterkünften untergebracht, wobei die durch das Kältehilfeprogramm bestimmte Frist für eine derartige Unterbringung bereits abgelaufen ist. Die Politik tut sich schwer, eine Lösung für die Flüchtlingsproblematik in Kreuzberg zu finden, die scheinbare Untätigkeit der zuständigen Personen steht schon länger öffentlich in der Kritik: Integrationssenatorin Dilek Kolat (SPD) steht seit Wochen in Verhandlungen mit den Camp-Bewohnern, während sich die Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann (Grüne) bislang eher in Zurückhaltung übte, um die Verhandlungen mit den Asylsuchenden nicht zu torpedieren, so die „Berliner Morgenpost“.

Inzwischen scheint ihre Geduld aber ein Ende gefunden zu haben: „Ich will wissen, was Sache ist. Aber meine Anrufe werden von der Senatorin leider ignoriert“, wird sie Ende Februar von der Bild-Zeitung zitiert. Im bereits erwähnten Artikel der „Berliner Morgenpost“ von Mitte März warnt sie die Flüchtlinge vor einer Zwangsräumung, sollten diese nicht auf die Angebote Kolats eingehen: Es werde für sie und ihre Unterstützer schwierig, würden sie ablehnen, was der Senat ihnen vorschlage.

Erste Schritte

Wieder vergeht Zeit, Wochen, in denen die Situation in der Schwebe bleibt. Und jetzt? Herrmanns Worte muten im Rückblick geradezu prophetisch an. Denn Kolats endlich aufgestelltes Angebot an die Flüchtlinge wird von einer Vielzahl der Betroffenen rundheraus abgelehnt. Die Integrationssenatorin versprach jedem der knapp 500 namentlich geführten Flüchtlinge eine Einzelfallprüfung. Im Gegenzug soll das Lager am Oranienplatz geräumt werden, friedlich und freiwillig. Die lang ersehnte Lösung? Es scheint nicht so: Der Flüchtlingsrat, mit dem Kolat so lange in Verhandlungen stand, kritisiert das Papier. Zu wenige der Flüchtlinge würden von einer solchen Regelung profitieren, das Angebot sei unzureichend und nicht transparent genug. Auch mehrere Sprecher der Platzbesetzer lehnten das Angebot unvermittelt ab, Konrad Litschko von der Tageszeitung „taz“ nennt es in einem Kommentar einen „vergifteten Deal“.

Was ist das Problem? Das Angebot lohnt sich nicht für alle Flüchtlinge am Oranienplatz, wie auch Bezirksbürgermeisterin Herrmann im Interview mit der „taz“ einräumt. Es lohnt sich vielmehr nur für diejenigen, die überhaupt ein Interesse an einer Einzelprüfung haben. Ihnen stehen jene gegenüber, die in anderen Städten bereits einen Ablehnungsbescheid bekommen haben und denen somit die Abschiebung droht. Und auch erstere können sich nicht sicher sein, ob die Einzelprüfung in ihrem Fall positiv ausfällt. Somit sind die Campbewohner in zwei Gruppen gespalten, die einen dafür, die anderen gegen das Angebot Kolats.

Neuesten Berichten zufolge scheinen nun aber auch die Flüchtlinge einen Schritt auf die Politik zuzugehen: Wie es in der „Berliner Zeitung“ heißt, steht Kolat inzwischen wieder im Dialog mit den einzelnen Flüchtlingsgruppen. Die Zahl der Unterstützer des Abkommens steigt demnach an. Nun geht es um die Frage, wo die Personen bis zu ihrer jeweiligen Einzelfallprüfung durch die Ausländerbehörde untergebracht werden.

Das große Ganze

Endlich scheinen sich also alle Parteien einander anzunähern. Bis die Abmachungen tatsächlich umgesetzt werden, bleiben die Hütten auf dem Oranienplatz aber ein unübersehbares Symbol für den Widerstand der Flüchtlinge gegen die für sie zuständigen politischen Stellen. Und doch sind nicht diese Hütten das grundlegende Problem, das hier in Berlin in den letzten Wochen so deutlich zu Tage getreten ist. Auch die mit ihnen einhergehenden Verstöße gegen Bauordnung, Bundesbaugesetz und Grünanlagengesetz, wie sie der Verwaltungsrechtsexperte Hans Paul Prümm gegenüber der sozialistischen Tageszeitung „Neues Deutschland“ moniert, berühren nicht den Kern der Sache. Es sind noch nicht einmal die zahllosen Vorfälle im Zusammenhang mit dem Protestcamp, sei es die im Raum stehende Veruntreuung von Spendengeldern, der Brandanschlag auf den dortigen Toilettenanhänger, oder die miserablen Hygienezustände.

Natürlich besteht dringender Handlungsbedarf, wobei das bereits erwähnte Angebot Kolats dem von Innensenator Frank Henkel (CDU) noch vor Kurzem geforderten harten Durchgreifen der zuständigen Behörden vermutlich vorzuziehen ist (auf der Website von „Neues Deutschland“ bezeichnete er den fortgesetzten Hüttenbau am Oranienplatz als „Affront“). Dass auch er damit, den Kern der Sache, das große Ganze, nur streift, scheint offensichtlich und für das tagespolitische Geschäft wohl auch verständlich.

Nichtsdestoweniger liegt das eigentliche Problem darin, dass der Fall Oranienplatz deutlich zeigt, wie überfordert die Politik mit den Asylsuchenden ist: Zuständigkeiten sind nicht geklärt, Ultimaten werden aufgestellt und folgenlos überschritten, Angebote werden derart schlecht kommuniziert aufgestellt, dass Unverständnis und Uneinigkeit scheinbar zwangsläufig zur Ablehnung führen. Was fehlt, ist eine klare Linie im Vorgehen der Politik, mit Verstand und Augenmaß.