VOM LISI WASMER | 26.10.2013 15:09

Die verlorene Tradition der Maori – Wie Integration zur Gefahr wird

Sie sind Meister der Schnitzkunst, ziehen beim Tanzen gern wüste Grimassen und tragen beeindruckende Tattoos – das beschreibt das gängige Wissen über die Maori in der Regel erschöpfend. Es zeugt von einer gutmütigen Ignoranz. Die Ureinwohner Neuseelands, die vor gut tausend Jahren mit Kanus über den Pazifik auf die Insel gelangten, gelten als das wohl am besten integrierte indigene Volk weltweit, sie leben in einer friedlichen Koexistenz mit der restlichen Bevölkerung und werden nicht zuletzt als exotisch anmutende Touristenattraktion geschätzt, in einem Land, in dem der blühende Fremdenverkehr sonst vor allem der atemberaubenden Natur geschuldet ist. Kriminalität, verlernte Tradition und koloniale Altlasten stellen den Gegenpol zur Ureinwohnerromantik dar.

Ein riesiger Fisch, den der Halbgott Maui mithilfe seiner vier Brüder und einer magischen Angel aus dem Wasser zog – das stellt der Legende nach die Nordinsel Neuseelands dar. Die Südinsel wird oft als Kanu-förmig beschrieben. Beides liefert Hinweise auf die Herkunft der neuseeländischen Ureinwohner, der Maori, die vor gut tausend Jahren von Polynesien über den Pazifik auf die Inselgruppe gelangten. Anders als in vielen anderen Teilen der Erde verlief die spätere Kolonialisierung des Landes durch die Briten ab dem 18. Jahrhundert verhältnismäßig friedlich. Und trotzdem werden immer wieder Stimmen laut, die das Ende der Maori prophezeien. Die Integration in die neuseeländische Bevölkerung trage zum Verlust der Maori Tradition bei, schreibt zum Beispiel die Politik- und Sozialwissenschaftlerin Kornelia Matzanke für das Autorennetzwerk „Suite 101“.

Attraktion statt Tradition

Wellness auf Kosten von Natur und Mensch

Von den gut 500.000 derzeit in Neuseeland lebenden Maori spräche etwa nur noch rund ein Viertel die Sprache ihrer Vorfahren Te Reo, so Matzanke. Und das, obwohl die neuseeländische Regierung durchaus nicht müde werde, Fördergelder in den Erhalt des Spracherbes fließen zu lassen. Gerade die jüngeren Generationen interessierten sich aber immer weniger für ihre Wurzeln und die Kultur ihrer Ahnen. Ein weiteres Problem: Die Kriminalitätsrate unter den Ureinwohnern ist immens. Geschätzt die Hälfte aller Maori sitzt derzeit im Gefängnis.

Es scheint, als bestehe die Maori Tradition heutzutage vor allem in den Reiseführern der Neuseeland-Touristen. In regelmäßig aufgeführten Shows zeigen sie ihren Kriegstanz, den Kapa Haka, ihre Schnitzkünste beweisen sie bei der Herstellung kleiner Souvenirs und der Stil ihrer traditionellen Tattoos (Moko) wird von Tätowierern weltweit gerne kopiert.

Auflösung von innen heraus

Aber was ist der Grund für dieses Verschwimmen der Maori Kultur? Kein von den Kolonialisten aufgezwungener Lebensstil, keine oktruierte Verwestlichung des Volkes. Ja, die britischen Siedler brachten ihre Rechtsprechung mit nach Neuseeland. Ja, die Maori unterschrieben 1840 den „Vertrag von Waitangi“, mit dem sie ihr Land veräußerlich machten und von dem viele behaupten, die Maori hätten gar nicht verstehen können, was sie da unterzeichneten - allein aufgrund der Tatsache, dass viele englische Wörter in ihrer Sprache schlicht nicht existierten. Aber ihre Architektur prägt die Städte bis heute ebenso wie die Kolonialbauten, sie haben einen eigenen König, dank politischer Förderprogramme gibt es einen Fernsehsender in Te Reo.

Und trotzdem: Was eigentlich positiv sein sollte, stellt sich als Risiko für das Fortbestehen der Maori Kultur dar. Das Leben auf Neuseeland ist kein friedliches Nebeneinander. Es ist gelungene Integration der Ureinwohner mit den europäischen Siedlern. Und gerade diese Vermischung lässt die Konturen der Maori Tradition (Tikanga) verschwimmen. Sie löst sich quasi von innen heraus auf.

Fortbestehen im Netz

Tendenzen, dieser Entwicklung entgegenzuwirken, sind allerdings ebenso vorhanden. Ein Blick ins World Wide Web verrät schnell, dass ihr Tikanga noch lange nicht verloren ist. Die offiziellen Internetseiten Neuseelands verraten den Stolz, mit dem das Land seine Ureinwohner als Touristenattraktion bewirbt und der mindestens so groß ist wie der über die Erstbesteigung des Mount Everest durch den Neuseeländer Sir Edmund Hillary. Kurios: Zu den Maori gibt es zudem eine weitere Internetseite, die von den Ureinwohnern selbst betrieben wird und von den Machern als „Main Maori Site on the Net“ ausgewiesen wird. Es gibt Informationen zu Sprache und Gebräuchen, wer möchte, kann sich bei der Ahnenforschung helfen lassen, ein eigener Kalender hält wichtige Geschehnisse der „Maori World“ fest. Die gibt es also doch noch. Zumindest im Internet.