VON MAXIMILIAN REICHLIN | 02.10.2013 13:14

Vertrieben, verkauft, versklavt – Das Leben der Tharu

Die Tharu sind ein indigenes Volk in Indien und Nepal. Früher als „Menschen des Waldes“ bekannt, wurde ihr Land innerhalb der letzten 160 Jahre beinahe vollständig von Invasoren der umliegenden Kulturen besetzt. Heute leben die Tharu in kleinen Dörfern und arbeiten zumeist als Farmarbeiter, nahe der untersten Stufe der gesellschaftlichen Hierarchie. Viele leben in Umständen, die an Sklaverei erinnern. Trotzdem versuchen sie, ihre Kultur so gut wie möglich aufrecht zu erhalten. UNI.DE über ein geschleiftes Volk.

Ihr Name bedeutet wörtlich übersetzt „Menschen des Waldes“, obwohl sie heute kaum noch in Wäldern anzutreffen sind. Die Tharu leben im Terai, einer Tiefebene südlich des Himalaya, in Nepal und Indien. Mindestens acht unabhängige Stämme existieren in Nepal und Indien, die ebenso viele Sprachen sprechen. In Nepal machen die Tharu etwa 14% der Bevölkerung aus und sind offiziell als Minderheit anerkannt. Im hinduistischen Kastensystem stehen sie nahe der untersten sozialen Stufe, den Pariah oder „Unberührbaren“. Trotzdem bleiben die Tharu, wo sie sind, bestellen ihre Felder und versuchen, ihre Kultur so gut wie möglich zu bewahren.

Ein wirksamer Schutz gegen Malaria

Nicht nur ihre reiche Kultur und ihr nachhaltiges Handwerk macht die Tharu zu einem faszinierenden Volk, sondern die Tatsache, dass sie lange in einem Gebiet lebten, das bis in die 60er Jahre hinein noch als malariaversucht galt. Wissenschaftler gehen heute davon aus, dass die Tharu mit einem genetischen Vorteil ausgestattet sind, der sie vor dem Malariaerreger schützt. Perfekte Voraussetzungen für das frühere Leben im Urwald, sowie für das heutige Leben auf den Feldern des Terai.

Noch vor etwa 160 Jahren gehörte das Land, auf dem die Tharu heute leben, alleine den Tharu. Doch durch geschickte Landnahme und Gesetze wurden die Tharu im Laufe der Zeit quasi enteignet und als Arbeiter auf ihrem eigenen oder fremdem Farmland eingesetzt. In einem an Zwangsarbeit erinnernden System, das als Kamaiya bekannt ist, bestellen die meisten Tharu heute das Land der neuen Besitzer und geben 50% ihrer Erträge an sie ab. Dafür dürfen sie in Dorfgemeinschaften um die Felder herum bauen und leben.

Nicht zu unrecht denkt man an Sklaverei. In vielen Gemeinden der Tharu geht die Kamaiya sogar noch weiter: Hier „verkaufen“ die Tharu-Haushalte ihre eigenen Töchter an die Landeigner. Die fortan als Kamlari bezeichneten Mädchen arbeiten daraufhin im Haus der Besitzer, etwa als Putzkräfte oder Haushaltshilfen. Viele der Mädchen ein Leben unter menschenunwürdigen Bedingungen, werden geschlagen und oft vergewaltigt. Im vergangenen Juni gingen deswegen Tharu-Arbeiter in Nepal zuhauf auf die Straße, um dem Kamaiya-System ein Ende zu setzen. Auslöser war der ungeklärte Tod einer 12 Jahre alten Kamlari namens Srijana, die im Haus ihrer Arbeitgeber unter mysteriösen Umständen zu Tode verbrannte. Die Demonstrationen wurden von Polizisten gewaltsam aufgelöst. Dabei wurde in Nepal bereits 2000 per Gesetz ein Verbot der Zwangsarbeit verhängt.

Viele soziale Projekte und Organisationen übernehmen in Nepal mittlerweile den Schutz der jungen Mädchen und setzen sich auch für die übrigen Zwangsarbeiter ein. Die Nepal Youth Foundation etwa stattet ehemalige Kamlaris mit einer Lebensgrundlage aus und gibt ihnen die Möglichkeit, Schulen und Universitäten zu besuchen. Andere Organisationen und Privatpersonen kämpfen für die Rechte und die Förderung der übrigen Tharu. Obwohl damit viel erreicht werden kann, ist die einzige Möglichkeit auf nachhaltige Besserung eine umfassende Landreform, so der Betreiber eines lokalen Grassamenunternehmens der Tharu: „The Tharu must have land for livelihood.“