VON MAXIMILIAN REICHLIN | 03.06.2013 15:22

Panem et Circensis 2013 – Die Regierung und das Volk im Umgang mit Brot und Spielen

Politische Entscheidungen, vor allem solche, die mit Geld zu tun haben, machen eine Regierung beim Volk nicht immer sehr beliebt – vorausgesetzt, das Volk bekommt von diesen Entscheidungen etwas mit. Aber gerade während Großveranstaltungen, etwa einer Fußball-Meisterschaft oder einem europaweiten Sängerwettstreit, hat der Otto Normalverbraucher andere Dinge im Kopf, als jede noch so kleine politische Debatte zu verfolgen. Für die Herrschenden theoretisch eine gute Zeit, kontroverse Entscheidungen zu treffen. Doch funktionieren Regierung und Gesellschaft tatsächlich auf diese Weise?

Der Ausdruck "Brot und Spiele" (lat. „panem et circenses“) geht auf den römischen Dichter Juvenal zurück, der sich in seiner „Saturae“ darüber beklagt, das römische Volk, ehemals Mitentscheider in politischen Angelegenheiten und somit Träger einer funktionierenden Republik, habe sich mittlerweile darauf beschränkt, nur noch niedere Gelüste zu befriedigen und dadurch das Interesse an der Politik restlos verloren. Mittlerweile sei das Volk mit „Brot“, also ausreichender Ernährung, und „Spielen“, also ausreichender Unterhaltung, zufriedengestellt. Für die Machthaber, wie Juvenal sie zeichnet, ein gefundenes Fressen: Denn sind diese Grundbedürfnisse ausreichend befriedigt, können andere politische Entscheidungen gekonnt am Volk „vorbeigeschmuggelt“ werden.

Kinder - die Konsumenten der Zukunft

Eine clevere Taktik, die auch heute noch Anwendung findet. So scheint es zumindest, ruft man sich noch einmal die politischen Entscheidungen in Deutschland während der letzten Fußballweltmeisterschaften ins Gedächtnis. Während der Träger des demokratischen Systems beim Public-Viewing bei flüssig „Brot und Fußballspiel“ entspannt, können im Bundestag kontroverse Gesetzesentwürfe ihren Weg finden, 2010 etwa die umstrittene Gesundheitsreform mit höheren Kassenbeiträgen und Einsparungen bei Ärzten und Krankenhäusern und 2006 die Erhöhung der Mehrwertsteuer und der vorangetriebenen Handel mit den (im Nachhinein) heiß diskutierten Emissionszertifikaten.

Trotzdem will der Deutsche Wähler mit den folg- und duldsamen Ja-Sagern aus Juvenals Satire nichts mehr zu tun haben. Nach dem kürzlichen „Clown-Ausrutscher“ des Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück, hat das Markftorschungsinstitut "Trend Frage" eine Umfrage gestartet, die ein klares Ergebnis brachte: 90% der Befragten gaben an, sich mehrmals in der Woche mit politischen Themen auseinanderzusetzen, 92% attestierten ihre Bereitschaft, an der nächsten Land- oder Bundestagswahl teilzunehmen. Das ist schön und gut, tröstet jedoch nicht über die Tatsache hinweg, dass die Beteiligung der deutschen Wähler bei der letzten Bundestagswahl 2009 so gering war, wie seit Kriegsende nicht mehr. Nur knapp 72 Prozent der Wahlberechtigten gaben zuletzt ihre Stimme ab. Ein Anzeichen für wachsende Politikverdrossenheit.

Sollte sich in den vergangenen vier Jahren in dieser Hinsicht nicht einiges getan haben, sind diese Ergebnisse höchst paradox. Das gezeichnete Selbstbild der Befragten als politikinteressierte und zu politischen Entscheidungen mündige Menschen kann dann nämlich nicht aufgehen. Ist das Volk also tatsächlich nur noch auf „Brot und Spiele“, oder, wie es der österreichische Künstler Wolfgang Flatz weniger poetisch, dafür prägnanter formuliert, auf "fressen, ficken, fernsehen" konzentriert? Das zumindest ist die Meinung einiger junger Gesellschaftskritiker und "Blogger", die die Slogans von Juvenal und Flatz ebenfalls gerne aufgreifen. Genau können wir es allerdings wohl erst nach der kommenden Bundestagswahl sagen. Bis dahin sollten wir uns jedoch vergegenwärtigen, dass am 25. Mai das Fußball-Champions-League-Finale stattgefunden hat. Vielleicht sollte jemand langsam nachsehen gehen, was sich in der Zwischenzeit politisch getan hat.