VON CLEMENS POKORNY | 12.06.2013 10:59

Freizeitbeschäftigung Einkaufen – Ladenöffnungszeiten

In den meisten Bundesländern dürfen Geschäfte unter der Woche rund um die Uhr geöffnet sein. Das war nicht immer so: Bis 1996 schrieb das Ladenschlussgesetz vor, dass Läden nur zwischen 7 und 18:30 Uhr verkaufen dürfen. Die tatsächlichen Öffnungszeiten richten sich natürlich nach der Nachfrage – kaum ein Laden schöpft den gesetzlichen Rahmen voll aus. Das ist gut so, denn die Freizeit der Einkaufenden ist zugleich die Arbeitszeit der Verkaufenden, die als abhängig Beschäftigte leicht gezwungen werden könnten, auch mitten in der Nacht zu arbeiten. Doch die Liberalisierung der Ladenschlusszeiten in den vergangenen 20 Jahren hat für alle Menschen auch Vorteile.

Des einen Freizeit ist des anderen Arbeitszeit – das gilt für die Tourismusbranche und alle, die sonstige Freizeitangebote verkaufen, vor allem aber auch für den Einzelhandel. Seit 1996 können wir zunehmend später einkaufen gehen, in den meisten Bundesländern unter der Woche sogar rund um die Uhr. Wie kam es dazu, wie sieht es in Deutschland und anderen europäischen Ländern aus und was sind die Vor- und Nachteile langer Ladenöffnungszeiten?

Die Geschichte des Konsums...

Einkaufen können wir mittlerweile weltweit zu jeder Tages- und Nachtzeit – nämlich im Internet. Die Händler, die hinter den Online-Angeboten stehen, können selbst entscheiden, wann sie sich an die Erfüllung von Kaufverträgen machen, ob sonntags, an Feiertagen oder mitten in der Nacht. So weit, so unproblematisch! Doch vor dem Internetzeitalter sah die Arbeits- und Berufswelt bekanntlich anders aus als heute. Als mit der Industrialisierung die bäuerliche Subsistenzwirtschaft zurückging und der Einzelhandel aufblühte, stellte sich erstmals die Frage nach gesetzlichem Schutz der arbeitenden Bevölkerung vor unzumutbaren Arbeitszeiten. Erholungs- oder Freizeit wurde den Menschen vom Gesetz nur sehr bedingt gewährt: Prinzipiell konnten alle Geschäfte, auch die seit 1879 in Deutschland aufkommenden Warenhäuser, jeden Tag von 5 bis 23 Uhr öffnen – auch feier- und sonntags. Erst im Jahr 1900 wurde die Sonntagsruhe eingeführt, für jüdische Geschäfte als Samstagsruhe. Freiwillige Vereinbarungen unter den lokalen Kaufleuten sowie weitere gesetzliche Maßnahmen reduzierten die Ladenöffnungszeiten in den kommenden 38 Jahren weiter bis zur sogenannten „18:30-Regelung“: werktags durften Läden nur zwischen 7 und 18:30 Uhr geöffnet haben, samstags nur bis 14 Uhr. Von der Einführung langer Donners- und Samstage abgesehen hatten diese Vorschriften fast sechzig Jahre lang Bestand. Ab dem 1. November 1996 galten Montag bis Freitag von 6 bis 20 Uhr und Samstag von 6 bis 16 Uhr (ab 1. Juni 2003: bis 20 Uhr) als neue Ladenöffnungszeiten. Mit der Föderalismusreform im Jahr 2006 erhielten schließlich die Länder die Gesetzgebungskompetenz in Sachen Ladenschlusszeiten. Bis auf Bayern nutzten alle Bundesländer diese Möglichkeit, sodass man heute in zwölf von ihnen unter der Woche rund um die Uhr einkaufen kann – wenn die Ladenbesitzer das denn ermöglichen: Denn tatsächlich werden die erlaubten Ladenöffnungszeiten erfahrungsgemäß nur selten und wenn überhaupt in Großstädten voll ausgeschöpft.

Andere Länder in Europa handhaben die Ladenschlusszeiten weit liberaler. Während die Geschäfte bundesweit sonntags grundsätzlich (d.h. von gelegentlichen Ausnahmen abgesehen) geschlossen sind, kennen viele unserer Nachbarn solche Beschränkungen nicht, darunter auch so katholische Nationen wie Polen oder Irland. Die christliche Prägung Deutschlands ist ein historischer Hauptgrund für die gesetzlich verordnete Sonntagsruhe. In anderen Ländern dienen ähnliche Regelungen dem Verbot des Verkaufs alkoholischer Getränke wenigstens am Sonntag Vormittag. Inwieweit solche Gesetze in einem zunehmend säkulareren Europa noch Bestand haben werden, bleibt abzuwarten.

Freies Einkaufen für freie Bürger? Des einen Freizeit ist des anderen Arbeitszeit – und wie leicht lassen sich abhängig Beschäftigte unter Druck setzen, wenn sie zögern, den Abend oder Sonntag, der eigentlich mit der Familie verbracht sein wollte, ihrer Anstellung zu opfern! Die seit 1996 verabschiedete Aufweichung der Ladenöffnungszeiten hat aber auch jenseits marktradikaler Bestrebungen ihre Berechtigung. Die alten Ladenschlusszeiten gehörten in eine Zeit, da die meisten Frauen sich „nur“ um den Haushalt kümmerten und so auch für den Einkauf zuständig waren. Dadurch, dass immer mehr Menschen als Singles oder zusammen mit einem ebenfalls berufstätigen Partner leben, wurde die Verlängerung der Ladenöffnungszeiten zunehmend dringlicher. Der Preis dafür sind zunehmende Nachtarbeit im Einzelhandel sowie wohl auch eine Beschleunigung des Sterbens kleiner Geschäfte, die nicht so lange geöffnet sein können wie ihre großen Konkurrenten.