VON ANNETTE JOCHEM
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27.02.2015 17:15
Auf geht’s nach Bielefeld!
Laborschule Bielefeld: Das hört sich erst mal trocken an, klingt nach weißem Kittel und Sterilität. Doch genau das Gegenteil ist der Fall. Wie Hartmut von Hentig mit seinen Ideen das Verständnis von Lernen auf den Kopf stellt.
Als der damalige Bildungsminister Jürgen Möllemann 1989 mit der schlechten Ausstattung der Münchner Universitäten konfrontiert wurde, riet er den aufbegehrenden Studentinnen und Studenten, doch einfach zum Studium nach Bielefeld zu gehen. Möllemann wurde ausgelacht, und sein Spruch wurde auf den Demos skandiert. Vielleicht wäre das aber gar keine so schlechte Idee gewesen. Die Universität Bielefeld ist bekannt für ihre Interdisziplinarität und ihre gut ausgestattete Bibliothek. Und für ihre Laborschule. Laborschule deshalb, weil sie als eine Art Labor für die Erziehungswissenschaftliche Fakultät der Universität dient. In ihr lernen Kinder von der 1. bis zur 10. Klasse, aber zugleich wird sie wissenschaftlich begleitet, und die Erfahrungen aus der Praxis können in die Theorie einfließen – und umgekehrt.
Universität Bielefeld
In Bielefeld wird der ganz besondere Charakter der forschungsintensiven Reformuniversität gepflegt. Die Universität im Portrait
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Bielefeld ist eine vergleichbar junge Universität. Erst 1966 wurde sie gegründet, und
Hartmut von Hentig war fast von Anfang an mit dabei. Er selbst war kein studierter Pädagoge, promovierte in den USA als Gräzist. Als Schüler lernte er unterschiedlichste Lehr- und Lernorte kennen: Eine Dorfschule in der Uckermark; die deutsche Schule in Bogota, das Progymnasium in Partenkirchen, das französische Gymnasium in Berlin, ein College in Pennsylvania. Aufmerksam verfolgte er an sich selbst, welche Methoden und Haltungen ihn zum Lernen motivierten und als Person stärkten, und welche ihn eher abschreckten. Die Pädagogik faszinierte ihn. Zurück in Deutschland wählte er den Lehrerberuf und setzte sich vehement für eine neue Pädagogik ein, die sich an den Kindern und nicht am Lehrstoff orientiert. Als Helmut Schelsky von Hentig an die Uni Bielefeld holte, sagte er zu, unter der Bedingung, dass er dort eine Schule nach seinen Ideen aufbauen könne.
Kinder kommen mit Lust am Lernen auf die Welt: Die Beharrlichkeit, mit der sie sich vom Krabbeln zum aufrechten Gang kämpfen und ihre Freude über die ersten eigenen Schritte, das ausdauernde Üben der komplizierten Laute und Zungenstellungen, bis das erste verständliche Wort kommt - all das funktioniert ohne Stundentafel und Lehrplan, weil Kinder Spaß am Lernen haben und neugierig sind, weil sie sie mit allen Sinnen und ihrem gesamten Körper die Welt erfahren. Diese Haltung zu bewahren ist in Bielefeld Programm. Kinder werden in ihrer Unterschiedlichkeit wahrgenommen und angenommen. Es geht nicht darum, zum gleichen Zeitpunkt auf dem gleichen Stand zu sein, sondern jedem Kind seinen eigenen Rhythmus, seinen eigenen Weg und sein eigenes Ziel zuzugestehen. Dabei sind die Kinder nicht nur Einzelwesen, sondern werden auch als Gruppe wahrgenommen. Sie sollen in die Lage versetzt werden, aufmerksam anderen Menschen gegenüber zu sein, und ihre Angelegenheiten fair miteinander zu klären. Dass das funktioniert, belegen sowohl
Studien als auch
Erfahrungsberichte. Kaum eine Schule wird so intensiv
evaluiert, keine stellt sich so der Herausforderung. In der Laborschule wird nicht gezaubert. Auch hier sind Menschen am Werk, die fehlbar sind, es gibt Kritik und
Auseinandersetzungen. Aber sie legt Wert auf eine respektvolle Haltung jungen Menschen allen Alters gegenüber. Das ist viel wert.