VON MAXIMILIAN REICHLIN
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20.02.2015 12:54
Was Hänschen nicht lernt – Wie wichtig ist die frühkindliche Bildung?
Frühkindliche Bildung wird für die deutsche Politik immer wichtiger. Studien haben ergeben, dass die Bildung der Kleinkinder zwischen null und sechs Jahren signifikante Auswirkungen auf den späteren Lebensweg hat. Deshalb soll nun, nach dem quantitativen Ausbau der Kindertagesstätten, auch die Qualität der Leistungen angehoben werden. Dies dürfe aber nicht zu einer Art jungen Leistungsgesellschaft führen, sagen viele Fachleute und warnen vor der Überforderung der Kleinen.
Am 6. November vergangen Jahres trafen sich die zuständigen Minister und Ministerinnen zusammen mit den Vertreterinnen und Vertretern von Bund und Ländern in Berlin, um über neue Qualitätsstandards in Kindertagesstätten zu diskutieren. In einer Mitteilung werden die Bereiche genannt, die nun stufenweise ausgebaut werden sollen. Hauptsächlich geht es um länderübergreifender verpflichtender Standards für das Betreuungspersonal. „Bildung beginnt in der Kita und stellt die Weichen für die weitere Entwicklung. Deshalb brauchen wir gute Kinderbetreuung, sie ist eine Investition in die Zukunft für mehr Chancengleichheit von Kindern,“ sagte Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig bei der Konferenz.
Die Kinderkrippe ein Kindheitstrauma?
Die Idee der Entschleunigung, welche z.B. schon seit einigen Jahren im Bildungs- und im Nahrungssektor kursiert, erscheint auch im Hinblick auf die zukünftige Pädagogik immer angebrachter
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Sie spricht damit ein Thema an, das gerade in den letzten Jahren immer relevanter wird: Die frühkindliche Bildung. Schon seit 2012 nehmen Bildungsbeauftragte die Erziehung der null- bis sechsjährigen immer stärker ins Visier, denn: Nationale sowie internationale Studien haben gezeigt, dass gerade dieser Lebensabschnitt der Kinder signifikante
Auswirkungen auf spätere Lern- und Lebenserfolge hat. So begleitete das sogenannte Perry Preschool Project seit den 60er Jahren eine Gruppe von Kindern, denen schon früh eine qualitativ hochwertige Vorschulbildung gewährt wurde und verglich die Stichprobe mit einer Kontrollgruppe ohne Förderung.
Die Ergebnisse sind frappierend und schlagen sich in allen Lebensbereichen nieder: So konnte ein größerer Prozentsatz der Geförderten mit 27 Jahren einen Schulabschluss, ein höheres Einkommen und Wohneigentum vorweisen, während die Kontrollgruppe öfter mit dem Gesetz in Konflikt kam und deutlich öfter Sozialleistungen in Anspruch nehmen musste. Eine
vergleichbare Studie der Bertelsmann-Stiftung in Deutschland brachte ähnliche Ergebnisse, hier wurden Kinder, die eine gewöhnliche Kindertagesstätte besucht hatten, mit denen verglichen, denen eine Frühförderung fehlte. Für den Durchschnitt der Kinder wirkte sich der Krippenbesuch schließlich deutlich positiv auf die Wahrscheinlichkeit aus, ein Gymnasium zu besuchen.
Nachdem nun der Ausbau der Kindertagesstätten in Deutschland in den letzten Jahren immer weiter vorangeschritten ist, soll nun, nach der Quantität, auch die
Qualität der angebotenen Leistungen erhöht werden. So ist zumindest der Plan der erwähnten Berliner Konferenz. Angebote wie das „
Haus der kleinen Forscher“, eine vom Bund unterstützte Initiative für die größtenteils naturwissenschaftliche Bildung von Kleinkindern, schießen überall in Deutschland aus dem Boden. Hier hagelt es jetzt allerdings wieder Kritik. Pädagogisches Personal warnt davor, die Kleinen schon in der Kindertagesstätte
mit Fächern wie Physik oder Chemie zu überfordern.
Auch eine Einschulung mit drei oder vier Jahren, wie etwa die ehemalige Bildungsministerin Annete Schavan sie gefordert hatte, halten viele Fachleute für übertrieben. „Kinder haben in der Schule keine Möglichkeit, zu spielen,“ erklärt etwa
Grundschullehrerin Sybille Benabderrahman aus Offenburg im Gespräch mit der SZ. Spielen sei jedoch ein Grundbedürfnis der Schulkinder, ebenso wie das selbstständige neugierige Entdecken. Die Konzentration auf frühkindliche Bildung dürfe nicht in einer Art junger Leistungsgesellschaft gipfeln, findet auch Entwicklungspsychologin Sabine Pauen von der
Universität Heidelberg. „Wenn es unser treibendes Motiv als Gesellschaft ist, das Maximale aus dem Einzelnen herauszuholen, dann sind wir ohnehin fehlgeleitet.“