VON CLEMENS POKORNY | 27.02.2015 18:09

Judenfeindlichkeit und NS-Regime als Bildungsgegenstände

Auch wenn die jüngsten Anschläge auf jüdische Einrichtungen in Frankreich und Dänemark etwas anderes suggerieren mögen: In Deutschland werden antisemitische Straftaten noch immer vor allem von Rechtsradikalen begangen. Nicht nur deshalb bleibt die Aufklärung über Judenfeindlichkeit als Diskriminierung einer Minderheit ein wichtiger Bildungsgegenstand. Es reicht aber nicht, dieses Thema auf den Nationalsozialismus zu beschränken.

Ein muslimischer Attentäter überfällt am 9. Januar dieses Jahres einen koscheren Supermarkt in Paris und nimmt die Personen darin als Geiseln; vier Menschen sterben, bevor die Polizei den Täter erschießt. Am 15. Februar tötet ein Terrorist einen Ordner vor einer Synagoge in Kopenhagen. Der muslimische Judenhass begegnete auch dem israelischen Journalisten Zvika Klein, als er zehn Stunden lang mit einer Kippa bekleidet durch Paris lief (siehe das Video auf YouTube). Woher rührt diese muslimische Feindseligkeit gegenüber Juden? Sie gründet zwar letztlich auch in uralten Vorurteilen gegenüber diesen als einer Minderheit in den Ländern der Diaspora, entstand aber in ihrer heutigen Ausprägung wohl im 19. Jahrhundert mit dem Aufkommen des arabischen und des jüdischen Nationalismus, was eine geopolitische Konkurrenzsituation im Nahen Osten bedeutete – den Vorläufer des heutigen Nahostkonflikts. Schon der Koran ruft ausdrücklich zum bewaffneten Kampf gegen „Ungläubige“ auf (Sure 8,39). Andererseits ist auch das Christentum nur bedingt durch die vielzitierte „harte Schule der Aufklärung“ gegangen. Und fast alle der in Deutschland erfassten antisemitischen Straftaten werden nicht von Angehörigen des Islam begangen, sondern von Menschen, die am rechten Rand des politischen Spektrums zu verorten sind.

Vergebung: Wege aus der Spirale aus Hass und Rache

Aufklärung über die Geschichte des Antisemitismus tut also not. In Schulen wurde und wird dieses Thema allerdings kaum behandelt. Judenhass bleibt dort auf den Nationalsozialismus reduziert. Über diesen aufzuklären ist natürlich auch eine wichtige Leistung, auch deshalb, weil in vielen Familien etwa die oft unrühmliche Rolle der Groß- und Urgroßväter gerne beschönigt oder gar geleugnet wird. In den 1980er-Jahren etwa kam die NS-Zeit im Unterricht oft noch gar nicht vor. Heute berichten viele Lernende vom Gegenteil: Während etwa in Bayern der Nationalsozialismus offiziell nur Thema im Fach Geschichte in der 9. und 11. Jahrgangsstufe ist, wird er auch in anderen Fächern wie Deutsch oder Ethik immer wieder behandelt – meist ohne interne Absprache untereinander. Es scheint daher heute oft nicht mehr am Umfang der Stunden zu mangeln, die dem Thema NS-Zeit gewidmet sind. Vielmehr wird diese Zeit offenbar nicht sinnvoll genutzt. Andernfalls gäbe es nicht das Klischee vom Schüler, der zu Beginn der neuen Unterrichtseinheit stöhnt: „Nicht schon wieder Nationalsozialismus ...“.

Wie der Bildungsgegenstand NS-Regime vermittelt, wessen gedacht werden und woran wir uns erinnern sollen, darüber gehen die Meinungen auseinander – nicht nur in der Schule. Der derzeit bekannteste Zankapfel ist sicherlich die Zeppelintribüne auf dem ehemaligen Reichsparteitagsgelände in Nürnberg. Die Stadtpolitik steht vor dem Problem, dass die Sanierung des völlig maroden Gebäudes mindestens 70 Millionen Euro kosten würde. Während Oberbürgermeister Maly hinter dem Projekt steht, plädiert der Sprecher eines Architekturvereins für den Abriss. Seine Argumentation geht über Geldfragen hinaus: Wollen wir den Größenwahn der Nazis sichtbar lassen oder uns im Sinne der Opfer des NS-Regimes auf die Erhaltung von KZ u.ä. beschränken? Der Architekturhistoriker Wilfried Nerdinger will auf dem Reichsparteitagsgelände nur erhalten sehen, was tatsächlich aus der NS-Zeit stammt, und würde die vielen späteren Veränderungen am liebsten zurückbauen. Doch bedürfte es nicht z.B. auch – horribile dictu – eines Neubaus des riesigen Hakenkreuzes auf der Tribüne, das die Alliierten nach Kriegsende sprengten, wenn man einen authentischen Eindruck davon vermitteln wollte, was die NSDAP-Mitglieder von 1933 bis 1938 bei den Parteitagen sahen?

Wie immer die gesellschaftliche Diskussion über diesen Gedenken ausgehen mag, zweierlei scheint offensichtlich: Wenn Aggressionen gegen jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger künftig zurückgehen sollen, darf der Unterricht das Thema Antisemitismus nicht auf Nazi-Deutschland reduzieren, sondern muss auch die Rolle des Christentums und des Islam von der Antike bis heute beleuchten. Und wenn wirklich über die NS-Zeit etwas gelehrt werden soll, dürften die verschiedenen Fachlehrkräfte nicht mehr alleine bestimmen können, wann sie welche Aspekte dieses Themas behandeln, sondern Rücksprache nicht nur mit ihren Fachkolleginnen und -kollegen halten – sondern auch mit den Lernenden.