VON CLEMENS POKORNY | 21.05.2013 12:51

Ai Weiwei und die Freiheit der Kunst

Der chinesische Konzeptkünstler Ai Weiwei polarisiert, und zwar weniger mit seinen Installationen, die auch in vielen westlichen Ländern wie Deutschland oder den USA ausgestellt sind, sondern vor allem mit der politischen Dimension vieler seiner Werke. Mit seiner Kunst übt Ai vielfach Kritik am chinesischen Regime und erlitt dafür, gerade in den letzten zwei Jahren, wiederholt massive Einschränkungen seiner Bürgerrechte. Mit fingierten Vorwürfen und unrechtmäßigen Verurteilungen versucht die chinesische Justiz, den Künstler mundtot zu machen – doch der denkt gar nicht an Exil, sondern will sich weiterhin für die Freiheit der Kunst in seiner Heimat einsetzen. Seine Erlebnisse der jüngsten Vergangenheit hat er nun auf einem Heavy-Metal-Album verarbeitet.

80 Jahre sind seit den Bücherverbrennungen unter dem Hakenkreuz vergangen, doch die Freiheit der Kunst ist bei weitem nicht überall selbstverständlich. Als Symbolfigur dafür kann der gerade mit Deutschland eng verbundene chinesische Künstler Ai Weiwei (* 1957) dienen.

Pussy Riot

Mit seinen Konzeptkunstwerken bezieht sich Ai sowohl auf traditionelle chinesische Kunst als auch auf den europäischen Dadaismus, vor allem in seiner Ausprägung durch den Franzosen Marcel Duchamps. So überzog er für verschiedene Installationen jahrtausendealte chinesische Vasen mit moderner Farbe oder versah sie mit dem Logo einer weltbekannten Firma für Erfrischungsgetränke. Auch mit „Template“, seinem Beitrag zur documenta 12 in Kassel, überwindet Ai Altes – in diesem Fall abgerissene chinesische Tempel, die das Holz für seine Skulptur lieferten –, um Neues zu schaffen. Manche seiner Werke wurden ebenso kontrovers diskutiert wie einst die ready-mades eines Duchamps, der ein abmontiertes Rad seines Drahtesels kurzerhand zu Kunst erklärte. Als im Juli 2010 ein Felsbrocken aus China auf dem Gipfel des Dachstein in der Steiermark aufgestellt werden sollte, protestierte die österreichische Sektion des Alpenvereins dagegen: wieder eine Großinstallation auf einem Alpengipfel, wieder eine unnötige Beeinträchtigung der Bergwelt durch den Transport des Steins per Hubschrauber über ein Schutzgebiet. Das steirische Festival „Regionale X“ ließ sich davon nicht beirren und führte wie geplant die Aufstellung des Felsens durch, der sich zwei Jahre zuvor bei einem Erdbeben in der chinesischen Provinz Sichuan gelöst hatte und nun als Mahnmal für die rund 9.000 verstorbenen Kinder unter den Bebenopfern dienen soll.

Diese Kunstaktion im öffentlichen Raum hatte aber auch jenseits der Frage „Freiheit der Kunst oder Schutz der Bergwelt?“ eine politische Dimension. Laut Ai solle sie daran erinnern, dass 80% der bei der Erklimmung des Dachstein verwendeten Bergschuhe in China und Indonesien hergestellt werden. Vor allem aber wendet sich der Künstler immer wieder gegen das „kommunistische“ Einparteienregime in seiner Heimat. Schon sein Vater Ai Qing, avantgardistischer Dichter und eigentlich überzeugter Kommunist, musste wegen allzu ungenierter Kritik am Staatsapparat im Rahmen der „Hundert-Blumen-Bewegung“ Ende der 1950er-Jahre ins Exil in entlegene Regionen Chinas gehen. Dort wuchsen auch seine beiden Söhne auf. Doch während sich der ältere, Ai Xuan, mit der Regierung zu arrangieren wusste und bis heute zu den auch kommerziell erfolgreichsten Malern seiner Zeit gehört, wandte sich Ai Weiwei schon früh gegen die Einschränkung der Menschenrechte und für Freiheit in seiner Heimat. In seiner Version des „Gangnam Style“ (Oktober 2012) etwa tritt er mit Handschellen auf, die seine Unterdrückung durch die chinesischen Behörden symbolisieren soll, und tauft das Lied in (auf Englisch) „grass mud horse style“ um: ein Wortspiel, denn die chinesischen Worte dafür klingen genauso wie eine obszöne Beschimpfung, die er schon 2009 als Bildunterschrift eines photographischen Selbstportraits benutzt und dabei eindeutig an das Zentralkomitee der Kommunistischen Partei adressiert hatte. Einen Tag nach seiner Veröffentlichung löschte die chinesische Zensur das Video vom Server; bis heute kann es in China nicht angesehen werden.

Schon 2011 hatte die Polizei Ai mit dem Vorwurf angeblicher Steuerhinterziehung verhaftet und monatelang rechtswidrig an einem geheimen Ort und ohne Kontakt zu einem Rechtsbeistand festgehalten. Als der Künstler nach einem langen Verfahren mit seinem Einspruch gegen eine Verurteilung gescheitert war, spendeten Unterstützer vor allem aus China das Bußgeld in Höhe von umgerechnet fast zwei Millionen Euro. Auch in einem nicht nach rechtsstaatlichen Standards abgelaufenen, weiteren Verfahren wurde Ai Mitte 2012 wegen angeblicher „Bigamie, illegalem Devisenhandel und Verbreitung von Pornografie“ verurteilt.

Die eingeschränkte Freiheit kritischer Künstler in China wird von staatlicher Seite sogar ausdrücklich gerechtfertigt. Zu Ais Verhaftung im Jahr 2011 erklärte der Sprecher des Außenministeriums, Hong Wei: „Provokante Menschen wie Ai Weiwei muss man im Zaum halten.“ Die Reaktionen aus Deutschland sahen anders aus: Noch während seiner Haft wurde Ai in die Akademie der Künste zu Berlin aufgenommen und erhielt eine Gastprofessur an der Berliner Universität der Künste. Angetreten hat er sie bisher noch nicht, da die chinesischen Behörden ihm noch immer eine Ausreisegenehmigung verweigern. Doch selbst wenn er wieder eine bekäme, will Ai nicht dauerhaft in Deutschland oder einem anderen westlichen Staat leben – stattdessen will er sich weiterhin für die Freiheit Andersdenkender und der Kunst in seiner Heimat einsetzen.