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Plätze in Altenpflegeeinrichtungen sind rar und die Belastung für das Pflegepersonal steigt: Während der Dschungel der Bürokratie immer dichter wird, lichtet sich die Personaldecke in Deutschlands Seniorenresidenzen. Immer mehr Angehörige entschließen sich deshalb, pflegebedürftige Verwandte zuhause zu betreuen. Ein Schritt, der aber wohl überlegt sein will. Denn die Verantwortung für einen Pflegefall zu übernehmen, bringt oft eine größere zeitliche Belastung mit sich als ein Ganztagsjob. In der Regel macht deshalb eine schwierige Entscheidung den Anfang: Familie oder Beruf?
Haben Kollegen und Vorgesetzte das Nachsehen, ist eine Kündigung meist unumgänglich. Denn der Chef ist nicht dazu verpflichtet, die Stelle freizuhalten, bis der Arbeitnehmer wieder zur Verfügung steht. Beim beruflichen Wiedereinstieg sollten Arbeitssuchende die Auszeit aber keinesfalls "vertuschen", sondern in ihren Bewerbungsunterlagen darauf hinweisen, was es heißt, sein Leben umzukrempeln, um rund um die Uhr für ein Familienmitglied da zu sein.
Keine ruhige Minute
Hannelore Schmitt weiß das nur zu gut. Monatelang pflegte die Offenbacherin ihre Eltern. Morgens half noch der ambulante Pflegedienst beim Waschen, danach war die ausgebildete Allgemeinmedizinerin auf sich allein gestellt. "Ich musste meine Eltern wickeln, erledigte für sie den Einkauf, besorgte Medikamente, machte ihnen Essen, brachte sie abends ins Bett." Und das an sieben Tagen in der Woche.
Zu diesem Zeitpunkt hatte die einst selbstständige Ärztin ihre Praxis aus gesundheitlichen Gründen bereits an ihre Nachfolgerin abgegeben. Zum Glück - denn ansonsten wäre ihr nichts anderes übrig geblieben, als ihren Eltern einen Heimplatz zu besorgen. "Praktizieren und Pflegen wäre ein Ding der Unmöglichkeit gewesen", sagt sie. "Schließlich musste ich immer abrufbar sein." Dass das kein Einzelfall ist, weiß Hannelore Schmitt aus Erfahrung. Als Ärztin habe sie vielen Patientinnen zur Seite gestanden, die einen Verwandten "auf seinem letzten Weg" begleiteten. "Über kurz oder lang musste fast jede ihren Beruf aufgeben."
Die Rückkehr in den Job? Die sei oft "sehr schwierig" gewesen, erinnert sich Schmitt. "Es ist doch so: Wer seine Eltern pflegt, hat in der Regel selbst die 40 überschritten. Und ein Wiedereinstieg in diesem Alter ist kaum möglich." Deshalb würde die Medizinerin ein Gesetz befürworten, das es Angestellten ermöglicht, eine unentgeltliche Auszeit zu nehmen. "Schwangere Frauen können sich ja auch eine zeitlang freistellen lassen", argumentiert sie.
Forderung nach Pflegezeitgesetz
Damit klinkt sich die 62-Jährige in eine Debatte ein, die der Sozialverband Deutschland (SoVD) jüngst angestoßen hat. Geht es nach dem SoVD, sollen Angestellte künftig bis zu sechs Monate für die Pflege eines Angehörigen freigestellt werden. "Für Angehörige, die die Pflege übernehmen oder diese organisieren, soll der Arbeitsplatz gesichert werden", betont SoVD-Präsident Adolf Bauer. "Sie erhalten dann ein Rückkehrrecht auf den gleichen oder einen gleichwertigen Arbeitsplatz."
Die Idee ist nicht neu, wie der Blick ins deutschsprachige Nachbarland Österreich zeigt. Unter dem Stichwort "Familienhospiz-Karenz" sind Arbeitgeber dort verpflichtet, ihre Angestellten für die Pflege eines Angehörigen bis zu einem halben Jahr freizustellen. Mit der Verabschiedung dieser Gesetzesvorlage betrat Österreich 2002 "sozialpolitisches Neuland", wie Bundeskanzler Wolfgang Schüssel damals betonte. "Die Karenz bietet eine menschliche und würdige Möglichkeit für Angehörige von Sterbenden, diese während ihrer letzten Lebensmonate zu begleiten."
Unternehmen denken allmählich um
In einigen deutschen Unternehmen fällt dieses Gedankengut bereits auf fruchtbaren Boden. Die Commerzbank bietet ihren Mitarbeitern beispielsweise nicht nur eine kostenfreie Beratung an, sondern stellt sie für die Betreuung ihrer Angehörigen auch frei. "Es gibt keine Betriebsvereinbarung, die das explizit regelt", sagt Barbara David, zuständig für Diversity Management. "Jeder Vorgesetzte kann aber - unter Berücksichtigung der betrieblichen Belange - frei über eine Auszeit eines Teammitglieds entscheiden." Damit schützt der Konzern letztlich auch die eigenen Ressourcen. Denn die Erfahrung habe gezeigt, dass dem Unternehmen andernfalls kompetente Mitarbeiter verloren gehen, weil ihnen als Alternative nur die Kündigung bleibt, sagt David.
Noch ist diese Art der Mitarbeiterbindung nicht die Regel. Eine Entwicklung in die richtige Richtung kündigt sich aber an, sagt Karrierecoach Hermann Refisch: "Einige - oft große Unternehmen - gehen dazu über, ihren Mitarbeitern Teilzeitlösungen oder Heimarbeit anzubieten." Refisch rät aber auch Betroffenen in kleineren Betrieben, sich zu informieren, was geht und was nicht. So mancher Vorgesetzte lasse mit sich reden.
Beim Wiedereinstieg Selbstbewusstsein zeigen
Doch der Experte will nichts beschönigen. Nicht jeder Arbeitgeber zeige sich kooperativ. Dann gelte es, den beruflichen Wiedereinstieg ein paar Monate später gut vorzubereiten. Dabei sei vor allem Selbstbewusstsein gefragt. "Wenn ich höre, dass jemand die berufliche Auszeit in seinem Lebenslauf 'kaschieren' will, halte ich das für die völlig falsche Denk- und Herangehensweise." Warum sollten herausfordernde Lebenssituationen nicht benannt werden, fragt der Experte. "Man sollte niemals denken, dass es eine Schwäche ist, einen Angehörigen gepflegt zu haben. Im Gegenteil", betont er. "Auch würde ich das niemals als Lücke bezeichnen. Eine Lücke ist ein Zeitraum, in dem man keine Tätigkeit nachweisen kann. Das trifft hier nicht zu."
Passender sei es von einer "Erfahrung mit Menschen in Ausnahmesituationen" zu reden, meint der Diplom-Psychologe. Und die könne im Lebenslauf benannt werden. "Immerhin zeigt das nicht nur eine außergewöhnliche Belastbarkeit, sondern auch Verantwortungsbewusstsein und soziales Engagement. Und diese Eigenschaften braucht man nun wirklich nicht zu verstecken."
Fortbildungsveranstaltungen nicht vergessen
Doch in welcher Rubrik des Lebenslaufs darauf aufmerksam machen? Dafür eignen sich verschiedene Bereiche, sagt Refisch. Unter der Überschrift "Persönliche Stärken" könne ein Bewerber beispielsweise auf sein "ausgeprägtes Sozialbewusstsein" hinweisen. Der Punkt "Engagements" eigne sich hingegen, die Monate der Betreuung zeitlich in den Lebensweg einzuordnen. Und wer spezielle Fortbildungskurse besucht hat, kann diese im Curriculum Vitae unter dem Punkt "Weiterbildungen" unterbringen.
Um einen beruflichen Neueinstieg muss sich Hannelore Schmitt keine Gedanken mehr machen. Die Diskussion über ein neues Pflegezeitgesetz verfolgt die Medizinerin nichtsdestotrotz mit Spannung. "Es ist einfach nicht fair, sich entweder für Familie oder Karriere entscheiden zu müssen."