VON MAXIMILIAN REICHLIN
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13.07.2016 12:46
Digitaler Ungehorsam – Hackt kaputt, was euch kaputt macht?
Ziviler Ungehorsam beziehungsweise ziviles Engagement finden heutzutage zunehmend in der digitalen Sphäre statt. Um den fragwürdigen Entwicklungen der Internetkultur und der staatlichen Überwachung zu begegnen, formieren sich immer öfter Internetaktivistinnen und -aktivisten, um gemeinsam auf Probleme aufmerksam zu machen und die Hinterleute der „Totalen Internetüberwachung“ zu ärgern. Dafür haben sie unter dem Schlagwort „Digitaler Ungehorsam“ intelligente und kreative Möglichkeiten gefunden – von denen einige allerdings mit geltendem Recht nicht vereinbar sind. Wie ist es möglich, in der digitalen Sphäre ungehorsam zu sein?
Schon seit einigen Jahren verschiebt sich der politische Aktivismus immer weiter in die digitale Welt. Dafür hat sich mittlerweile der Begriff „Digitaler Ungehorsam“ eingebürgert, der in erster Linie von der deutschen Piratenpartei geprägt wurde. Das Lieblingsthema der Netzaktivistinnen und -aktivisten: Der Datenschutz. So schreiben die Piraten: „Es ist heute bereits absehbar, dass die Überwachungsgesellschaft zumindest in Teilen realisiert wird [...]. Es ist zu diskutieren, inwieweit Maßnahmen möglich, gerechtfertigt und wirksam sind, der Pauschalüberwachung Sand ins Getriebe zu streuen.“
Digitaler Ungehorsam in Reinform: Whistleblowing und Aufklärung
Anders als der bekannte „Analoge Ungehorsam“, zielt Digitaler Ungehorsam zunächst nicht so sehr darauf ab, Protest zu üben, sondern kreist vielmehr um die Sphäre der Sichtbarmachung und Aufklärung. Viele Aktionen dienen in erster Linie dazu, zunächst einmal die Probleme aufzuzeigen und die breite Masse für die Möglichkeiten und Gefahren der Datensammelwut zu sensibilisieren. Stichwort: Whistleblowing. Digitaler Ungehorsam in seiner populärsten Art will in erster Linie informieren, die Bürger „aufwecken“ - und schreibt sich die Grundsätze des zivilen Ungehorsams auf die Fahne, nämlich friedlich, öffentlich und moralisch legitimiert zu sein.
Digitaler Ungehorsam als Öffentlichkeitsarbeit ist somit auch die Hauptaufgabe kleinerer und lokalerer Gruppierungen. So diskutiert der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung (kurz: AK Vorrat) etwa Möglichkeiten, die Gefahren der Vorratsdatenspeicherung auf der Straße zu vermitteln. Mit teils kreativen Ideen, zum Beispiel telefonierenden Passanten mit Kreide zu folgen und Anfang und Ende des Gesprächs auf dem Asphalt zu verewigen oder aus großen Containern „Daten“ aus essbaren Buchstaben zu verteilen. Auch das ist Digitaler Ungehorsam.
DoS, Freifunk, Mikrowelle – Wie Digitaler Ungehorsam funktioniert
Andere Maßnahmen sind direkter und erinnern schon stärker an ihre analogen Pendants. Beliebt sind beispielsweise die sogenannten Denial-of-Service-Attacken (DoS), mit denen bei Hacking-Aktionen gezielt fremde Computersysteme lahmlegen werden können, und die in ihrer Funktionsweise einer althergebrachten Sitzblockade ähneln.
We are always listening
Die Aktivisten von „We are always listening“ befestigen Diktiergeräte an öffentlichen Plätzen, um Gespräche aufzuzeichnen. Sie wollen im auf die Abhöraktivitäten der NSA aufmerksam machen und die Menschen zum Widerstand animieren
[...]»
Darüber hinaus kennen Internetaktivistinnen und -aktivisten grundsätzlich zwei Arten, gegen die totale Überwachung im Internet vorzugehen. Die erste ist der Selbstschutz. Surfende sollen demnach Anonymisierungsdienste oder den kostenlosen und unkommerziellen
Freifunk nutzen, um der Datensammelwut entgegen zu wirken. Auch Maßnahmen wie das Verschlüsseln der eigenen Festplatte und absichtliche
Falschangaben bei Registrierungen und Online-Formularen zählen zu beliebten Methoden, um im World Wide Web unter dem Radar zu fliegen.
Auf der anderen Seite stehen die eher aktiven Maßnahmen der Demonstrierenden, die ebenfalls unter dem Schlagwort „Digitaler Ungehorsam“ zusammengefasst werden können. Eine davon kennt Frank Rosengart, Mitglied des berüchtigten Chaos Computer Clubs (kurz: CCC): Er rät beispielsweise dazu, den RFID-Chip des deutschen Personalausweises
in der Mikrowelle zu zerstören. Auf diesem Chip sind seit 2010 Personen- und biometrische Daten über den Besitzer gespeichert, die durch die Behandlung in der Mikrowelle unbrauchbar gemacht werden.
Vorsicht: Auch Digitaler Ungehorsam kann strafbar sein
Weitere Möglichkeiten bestehen beispielsweise darin, gezielt Datenmüll zu erzeugen, etwa indem man spezielle Tools nutzt, die wahllos Suchanfragen bei Google erstellen oder zufällige Internetseiten aufrufen. Mitglieder des AK Vorrat rufen sogar dazu auf,
sich selbst im Internet als Terrorist auszugeben, um Geheimdienste und Polizei zu verwirren – etwa, in sozialen Netzwerken einen Anschlag zu planen, dubiose Seiten aufzurufen oder Emails mit Pseudonymen wie „Anthrax-Ali“ zu unterschreiben.
Digitaler Ungehorsam hat allerdings, wie auch sein analoges Pendant, oft rechtliche Konsequenzen, wenn er auch „moralisch-politisch“ legitim erscheint. So zum Beispiel in Sachen Anthrax-Ali: Die Planung einer Straftat, und sei es auch nur als Protestaktion, ist in Deutschland strafbar und kann eine Freiheitsstrafe von bis zu 3 Jahren nach sich ziehen. Ebenso die absichtliche Zerstörung des Personalausweises, die als Sachbeschädigung ausgelegt werden kann. DoS-Attacken gehören in das Feld der Computersabotage – selbst der Versuch oder die Beteiligung sind strafbar.
Big Data – Internet-Unternehmen wissen mehr als die Stasi
Besonders haben es Netzaktivistinnen und -aktivisten auf die Vorratsdatenspeicherung der Bundesregierung, die von Whistleblower Edward Snowden aufgedeckten Aktivitäten der Geheimdienste, sowie auf die Datensammelwut von Unternehmen wie Google, Facebook oder Amazon abgesehen. Letztere nutzen die gesammelten Personendaten vorrangig zu Marketingzwecken. Targeted Advertising etwa zielt darauf ab, einer Person im Internet gezielt ein auf ihn zugeschnittenes Produktangebot zu machen – abhängig von ihren Vorlieben. Digitaler Ungehorsam hat es sich zum Ziel gemacht, die Sammlung solcher Daten so gut wie möglich zu unterbinden.
„Big Data“ nennen Unternehmen die Masse an Daten, die sie von Nutzerinnen und Nutzern gesammelt haben, um sie für Marketingstrategien nutzbar zu machen. Beispielsweise indem sie das Klickverhalten der Surfenden verfolgen, bereits besuchte Seiten analysieren oder in der Vergangenheit gekaufte Produkte vergleichen. Der Physiker und Netzaktivist Rangar Yogeshwar geht davon aus, dass die Menge an Daten, die von Unternehmen, Suchmaschinen und Sozialen Netzwerken gesammelt werden, heute
bereits die Datenbestände der Stasi zu DDR-Zeiten übersteigt.