VON ANNBELLA MARTINZ | 27.07.2016 14:29

Hobbies, die das Leben kosten können - Was ist dran an Alleycat Races, Parkour-Laufen oder Roofing?

In New York mit dem Singlespeed-Fahrrad auf Hochgeschwindigkeit durch die Straßen düsen ohne jegliche Angst. Manche nennen diese Form der Freizeitgestaltung lebensmüde. So schnell kann es zu einem Unfall mit Verkehrsbeteiligten kommen, wobei die Person, die auf dem Fahrrad sitzt, meistens verliert. Sie nehmen keine Rücksicht auf Verkehrszeichen oder Regeln, schlängeln sich durch den Großstadtverkehr als wäre es ein Spiel. „Es ist wie ein Rennen: Die Stadt gegen mich. Und am Ende gewinne ich!“, erzählt Alfred Bobe, der diesen Extremsport seit Jahren betreibt. Wie eine Wiedergeburt empfindet er das Gefühl, das er nach einem seiner gefährlichen Rennen erlebt.


Alfred ist dabei nicht alleine. Immer mehr junge Menschen sind auf der Suche nach dem wahren Adrenalinkick, den sie sich regelmäßig holen können. Extremsportarten wie Alleycat Races, Parkour-Laufen und Roofing erfreuen sich großer Beliebtheit und Anhängerschaft. Dass die Teilnehmenden mit ihrem Leben spielen, nehmen sie munter in Kauf.

Fahrradrennen unter unkontrollierten Bedingungen

Alleycat Races finden mittlerweile auf der ganzen Welt statt. Über Foren, Whatsapp-Gruppen und Messenger organisiert, finden sich leidenschaftliche Fahrradfahrer zusammen, die keine Scheu vor der Gefahr haben.

Wie ein normales Fahrradrennen mit dem gewissen gefährlichen Etwas: Die Teilnehmenden starten alle am selben Ort, müssen an Zwischenstationen vorbei und treffen sich wieder am Ziel. Das ist der normale Teil. Doch die Bedingungen, unter denen sie fahren, lassen gewisse Zweifel an der Sicherheit offen: Das Ganze findet nämlich in ganz normalen Alltagssituationen statt, ohne dass die Straßen abgesperrt sind. Die Teilnehmer suchen sich ihren eigenen Weg zum Ziel, rasen mit Höchstgeschwindigkeiten durch den Gegenverkehr, halten sich an Motorrädern und Autos fest und schlängeln sich durch das hektische Großstadttreiben. Es gibt keine Regeln und keine Gesetze, welcher Weg zum Ziel eingeschlagen wird und unter welchen Bedingungen die Teilnehmenden sich auf ihrem Fahrrad fortbewegen. Das Einzige, das zählt, ist die Geschwindigkeit.



Die etwas andere Art, eine Stadt neu kennenzulernen

„Man muss seine Ängste kennen und sich ihnen stellen, dann gelangt man zu Freiheit.“, meint Simon Noguiera, der als Hobby Free Running betreibt. Was zählt ist nur das Selbstvertrauen. „Es geht darum, sich in seinem eigenen Körper wohl zu fühlen.“

Er sieht keine Hindernisse, sondern nur Herausforderungen. Kein Weg ist unbestreitbar. In den Trainingshallen gelernt, auf den Dächern großer Städte ausgeübt: Parkour-Runner springen mit Saltos von Dach zu Dach, klettern steile Wände hoch und machen sich die Stadtbauten auf ihre ganz eigene Art und Weise zunutze. Die Stadt wird zum überdimensional großen Spielplatz für Erwachsene. Dass diese Art des Sportes gefährlich ist, bestreitet er.

In Margate (Florida) folgten so viele junge Menschen dem Parkour-Running, dass ein Verbot gegen Parkouring auf öffentlichen Plätzen ausgesprochen wurde. Der Bürgermeister war besorgt um die Gesundheit seiner Bürger und stellte gekennzeichnete Plätze für den Parkourlauf auf, um einen sicheren Rahmen zu schaffen.

Doch genau das spricht gegen das Prinzip des Sports: Es zählt das Freiheitsgefühl. In einer Stadt, in der alles geregelt ist, in der es Vorschriften für alles gibt, wollen Parkour-Läufer aus der Norm ausbrechen. So geht es auch Bradley Garrett, der sich in seiner Freizeit am liebsten in U-Bahn-Schächten aufhält.

Urban Exploring

Bradley Garrett ist studierter Soziologe und ein Urban Explorer. „Wenn du einmal den Adrenalinkick gespürt hast, willst du natürlich mehr davon!“ Mit Maske bekleidet, wagt er sich in Schächte, in denen sonst nur die U-Bahnen verkehren. Was zählt ist das richtige Timing: Sobald ein Zug kommt, muss er in Sekundenschnelle reagieren, sonst war es das mit seinem Hobby - und seinem Leben.

Warum versetzt man sich absichtlich in solche Situationen? Bradley hat das Verlangen auszubrechen: „In unserer Gesellschaft ist alles reguliert. Ständig wird uns vorgeschrieben, was wir zu lassen haben und wo wir nicht hingehen können. Es geht nur noch um Gesundheit und Sicherheit und diese zu pflegen. Doch wenn man einfach mal die ganzen Verbotsschilder missachtet und Tabus bricht, ist es wie ein Befreiungsschlag, wie eine Therapie.“

Davon können auch Anhänger des Roofing sprechen, die die Welt aus einer ganz eigenen Perspektive sehen.

Generation Mainstream

So hoch hinaus wie möglich

Mit einer Profikamera, einem Handy und einem Selfiestick bestückt treibt es Roofer (oder auch Rooftopper genannt) in schwindelerregende Höhen, um ihr Hobby auszuüben. Ganz hoch hinaus wollen sie, um möglichst den besten Blick und auch den besten Shot zu bekommen.

Der Sorge um Sicherheit können die Betreibenden nur ein müdes Lächeln widmen: „Von einer Parkbank fällst du doch auch nicht herunter“, meint Eddie aus Brooklyn, dessen Bilder als Edelware gelten.

Er liebt den Adrenalinkick, wenn er sich an Sicherheitspersonal vorbeischlängelt und an der Außenfassade von Hochhäusern hochklettert. "Jede Sekunde hier oben zählt. Weil man ja überhaupt nicht sein darf, wo man ist." Das Risiko, für den Spaß das Leben zu riskieren, nehmen sie in Kauf.

Zu einem tragischen Ende kam es für den Psychologie-Studenten Conor Cummings, der bei dem Versuch auf das Four Seasons Hotel in New York zu klettern neun Stockwerke herunterfiel. Er war auf der Suche nach dem besten Shot und bezahlte schließlich mit seinem Leben.

Warum sein Leben riskieren?

Für Außenstehende wirken die risikoreichen Extremsportarten als lebensmüder Trend. Bei genauerer Betrachtung fällt allerdings auf, dass sie alles eines gemein haben: Es ist der Versuch, aus einer Gesellschaft, in der alles geregelt ist, auszubrechen. Es geht um freie Entfaltung, um das Bekämpfen von Ängsten und das bewusste Herbeiführen und Erleben von Grenzerfahrungen.

„Ich möchte mich lebendig fühlen. Und das gelingt mir mit dieser Sportart.“, meint Alfred, der Fahrradfahrer und lächelt in die Kamera.