VON JASCHA SCHULZ | 26.06.2015 17:06

Big Brother hört zu – We are always listening

Die NSA hat einen neuen Verbündeten im erklärten Kampf gegen den Terror. Vermeintlich. Die Aktivisten von „We are always listening“ befestigen Diktiergeräte an öffentlichen Plätzen, um Gespräche aufzuzeichnen. Ihnen geht es allerdings nicht tatsächlich um Terrorbekämpfung. Sie wollen im Gegenteil auf die Abhöraktivitäten der NSA aufmerksam machen und die Menschen zum Widerstand animieren.

Zwei Teilnehmende einer Anti-Rassismus Demonstration unterhalten sich in einem Kreuzberger Café über Sexismus in den Songtexten von Peter Fox. Dank den Bemühungen von „We Are Always Listening“ kann die Netzgemeinde das aufgezeichnete Gespräch in voller Länge auf der Website der Aktion anhören. Ein weiterer Meilenstein im Kampf gegen den Terror? Natürlich nicht. Doch dies ist auch nicht das Ziel der Verantwortlichen der Aktion. Trotzdem bezeichnen sie sich als Verbündeter der NSA, der bislang gratis arbeite, aber hoffe, schon bald ein offizielles Mitglied des Geheimdienstes zu werden. Auch ansonsten trieft die Website nur so vor Ironie. Wer Fragen an die Verantwortlichen der Aktion habe, könne diese einfach an einem öffentlichen Ort laut aussprechen. Auch das offizielle Wappen der NSA-Behörde ist humoristisch verfälscht worden. Der Adler hat Kopfhörer auf und am unteren Rand des Wappens sind die Worte „Nos Semper Audientem“ (We are always listening) zu lesen.

Im einem Interview mit der Berliner Zeitung enthüllen zwei Mitglieder der Aktion ihre eigentlichen Motive. Sie zeigen sich erschüttert über die fehlende Empörung der Bevölkerung über die Abhörmechanismen der NSA. Der staatliche Eingriff in die Privatsphäre und in Freiheitsrechte führe zu kaum einer Gegenreaktion seitens der Menschen. Vor allem die Haltung vieler Bürger, sie hätten sowieso nichts zu verbergen und deswegen könne der Staat ruhig ihre Gespräche aufzeichnen, sei Auslöser für die Aktion gewesen. Sie wollen die Bürger aufrütteln und zum politischen Widerstand antreiben.

Kunst kann doch eh nichts bewirken, oder?

Ihr Mittel ist vor allem eins: Provokation. Ob in Restaurants, Cafés, an öffentlichen Plätzen, ob bei Freizeit- oder Bewerbungsgesprächen: „We are always listening“ hört zu. Das ‚Einsatzgebiet‘ wurde dabei bereits auf Deutschland ausgeweitet. Die Mittschnitte werden anschließend auf der Website hochgeladen. Die Leute sollen sich dadurch angegriffen fühlen. Sie sollen die Veröffentlichung ihrer privaten Gespräche als fundamentalen Eingriff in ihre Freiheitsrechte wahrnehmen. Damit sie ihrem Ärger Luft machen können, findet sich ein ‚Wütend‘-Button (im amerikanischen: ‚Angry‘-Button) unter jedem Audiomittschnitt. Dieser linkt in Deutschland zu einer Onlinepetition von Amnesty International, in der Bundeskanzlerin Angela Merkel aufgefordert wird, "das Menschenrecht auf Privatsphäre zu schützen". Die amerikanische Website verlinkt die Homepage der Bürgerrechtsbewegung ACLU. Diese setzt sich seit jeher dafür ein, Abschnitt 215 des Patriot Acts zu streichen. Dieser wurde in einer umstrittenen Auslegung zur Rechtfertigung der massenhaften Kommunikations-Überwachung in den USA herangezogen. Am 01. Juni 2015 wurde dieses Ziel erreicht. Stattdessen trat der USA Freedom Act in Kraft. Nach Datenschützern stelle dieser zwar eine Verbesserung der Lage dar, lasse aber immer noch zu viele Eingriffe in die Privatsphäre zu. Dementsprechend lässt „We are always Listening“ verkünden, dass sie ihre Aktion fortsetzen werden. Ob sie diese auch auf weitere Länder Europas oder gar auf andere Kontinente ausweiten, verraten sie nicht. Denn auch sie kennen das A und O bei der Terrorbekämpfung: Zukünftige Einsatzorte- und Taktiken dürfen nicht verraten werten, um die Mission nicht zu gefährden.

Natürlich liegt es nahe, nach der Legalität der Aktion zu fragen. Darf man so einfach Gespräche aufzeichnen und anschließend veröffentlichen? Sobald die Unterhaltungen nicht auf öffentlichen Straßen erfolgen, lautet die Antwort nein. In Deutschland gelten Privatgespräche in einem Café oder vergleichbaren öffentlichen Räumen als nicht-öffentlich. Ein Mitschnitt und dessen Veröffentlichung sind somit strafbar. Ob die Verantwortlichen sich auf die Kunstfreiheit berufen können, ist zumindest zweifelhaft, denn diese gilt nur in Ausnahmefällen.

Die Authentizität der Aufnahmen ist natürlich für einen eventuellen Rechtsstreit Voraussetzung. Wie die Mitglieder von „We are always listening“ selbst offenlegen, ist die Möglichkeit eines Fakes nicht ganz auszuschließen.

Allerdings ist den Verantwortlichen nichts daran gelegen, die eigenen Aktionen als legal anerkannt zu wissen. Im Gegenteil, wenn die Menschen ihre Vorgehensweise als kriminell ansehen, gewinnen sie. Denn dann – so die Hoffnung – würde endlich auch das Abhören durch Geheimdienste als krimineller Vorgang betrachtet werden und eventuell zum Protest der Menschen führen. "Wir tun nur, was auch die NSA tut", sagt ein Mitglied im Gespräch mit der Zeit, "wenn die US-Regierung zugibt, dass das, was die NSA tut, illegal ist, hören auch wir sofort auf."