VON JASCHA SCHULZ | 29.07.2016 12:37

Adbusting – Angriff auf die Konsumgesellschaft

Adbuster rebellieren gegen die permanente ‚visuelle Beschallung‘ durch Werbung. Sie gestalten Werbeplakate um, verfremden Marken und entwerfen selbst eigene Werbungen. Während häufig der Vorwurf des Vandalismus laut wird, betonen Adbuster die moralische Integrität ihrer Ziele. Sie möchten den Angriff der Werbung auf unser Selbstbild in einen Angriff auf die Werbenden selbst umwandeln. UNI.DE präsentiert einige Beispiele für gelungenes Adbusting und skizziert einen Überblick über die Szene.



Außenwerbung trifft jeden. Und genau das ist für viele das Problem. Sogenannte Adbuster haben der Außenwerbung, der sich scheinbar kein Mensch entziehen kann, den Kampf angesagt. Sie gestalten Werbung aus dem öffentlichen Raum um oder entwerfen völlig neue Werbungen, die aber visuell auf den Originalen aufbauen. Auch sehr beliebt ist das Verfremden von Markenlogos und das anschließende entwerfen eigener Plakate mit den entsprechenden Logos. Es versteht sich von selbst, dass die jüngste, erfolgreiche Kampagne des Fachverbands Außenwerbung selbst Ziel der Adbuster geworden ist. Unter den Slogan „Außenwerbung trifft jeden“ haben sie folgende zwei Sätze geklebt: Soweit ist das Problem bekannt. Aber was tun wir jetzt dagegen?

Adbusting setzt sich aus den englischen Wörtern ad (Kurzform von advertisement = Werbung) und dem Verb bust (zerschlagen, zerstören) zusammen. Ein bekannter Unterstützer des Adbustings ist kein geringerer als Street Art Künstler (oder eventuell Street Art Künstlerin/Künstlerkollektiv) Banksy. Ein Statement, das ihm zugeschrieben wird, fordert die Menschen auf, sich gegen den täglichen Angriff durch Werbung zu wehren. Werbung sei darauf ausgerichtet, den Menschen zu schikanieren und zu suggerieren, er sei nicht gut genug. Ob auf Bussen oder auf Plakaten, die Werbung schaue auf dich herab und lasse „deine Freundin sich schlecht fühlen“. Die Werber hingegen säßen strafrechtlich unantastbar in ihren Hochhäusern und lachen über einen. Banksys Ansicht: Jede Werbung, die dich nicht fragt, ob du sie sehen willst oder nicht, gehört dir. Seine Anweisung: It’s yours to take, to re-arrange, and re-use. Vorher zu fragen sei unangebracht, schließlich werde man selbst auch nicht gefragt.

Bekannte Adbuster-Kollektive, bei denen die Einzelpersonen aus strafrechtlichen Gründen zumeist anonym bleiben, teilen Banksys Einstellung. Sie beklagen, dass es kaum noch Lebensbereiche gebe, in denen man sich Werbung entziehen könne. Die Art und Weise, wie Werbung dabei das Denken manipuliere, sei fatal. Ein Ex-Werber, nun Adbuster, erklärt in einem Videobericht, wie Werbung künstlich Bedürfnisse erzeugt und die Menschen auf diese Weise unglücklich macht: „Werbung möchte, dass du unglücklich bist, denn glückliche Menschen kaufen nichts. Sie wollen dir einreden etwas zu wollen, etwas zu brauchen, so erschaffen sie eine künstliche Leere. Diese Leere soll mit dem Produkt gefüllt werden. Allerdings kommt immer das nächste und das nächste. Du wirst am Ende niemals glücklich, denn es kommt immer etwas Neues.“ Der Perfektionsanspruch, der in vielen Werbungen dargestellt wird, sei so gut wie nie zu erreichen. Werbung sage ständig: Du bist nicht ok, dir fehlt etwas. Auf diese Weise wird nicht nur das Denken, sondern auch das Verhalten der Zielpersonen von den Werbern gesteuert. Der frühere Werber stiehlt aus diesem Grund Plakate von Models, und verwandelt diese mit gekonnter Maltechnik in Zombies. Seine Schöpfungen zeigen von der Modewelt und falschen Schönheitsidealen geleitete, abgemagerte und eingefallene Kreaturen – niemand möchte mehr so aussehen, wie die Models auf seinen Plakaten.

Des Weiteren wird öffentliche Außenwerbung von Adbustern häufig als visuelle Umweltverschmutzung angesehen. Sie wollen deshalb den öffentlichen Raum zurückerobern, ihm aus dem sogenannten Konsumpf ziehen. Wem gehört das Stadtbild, den Werbern oder den Menschen? Das ist dabei die entscheidende Frage.

Kalle Lasn ist ein weiterer ehemaliger Werber, der nun die Seiten gewechselt hat. Er beschreibt das Prinzip des Adbustings nicht als einfachen Gegenangriff, sondern als Weg, die Richtung des Angriffs mit häufig relativ geringen Mitteln umzukehren. Die Werbekampagnen der Konzerne werden kreativ umgewandelt und damit gegen die Konzerne selbst gerichtet. Die ganze Energie der teuren Kampagne wechselt häufig durch einfaches Überkleben oder Übermalen die Richtung.

So wird aus H & M durch den Eingriff von Adbustern Hager und Mager. Auf einem weiteren Werbeplakat eines Kleidungskonzerns wurde der Preis wird mit dem vermeintlichen Herstellungspreis (0,09 Euro) überklebt. Und der dazugehörige Text - normalerweise das selbstbewusste Zitat einer taffen Frau, die ihr Selbstbewusstsein gerade durch das Tragen solcher Kleidung transportiert - wird durch den Hilferuf eines Zwangsarbeiterkindes ersetzt.

Wachstumsrücknahme – Weniger Konsum für ein besseres Leben?

Allerdings richtet sich der Angriff der Adbuster nicht nur auf die Modebranche. Sie üben außerdem Kritik an Tabakkonzernen, Kinderarbeit, Umweltverschmutzung und insgesamt der Konsumbranche. So heißt der neue Lufthansa Slogan nach einer kleinen Bearbeitung durch Adbuster: Kurz das Klima killen, einfach so. Aus dem Marlboro Slogan You Decide, wird durch das Ausstreichen von drei Buchstaben mal eben: You die. Auch sehr schön: Im Vereinigten Königreich platziert jemand ein Bildbearbeitungsmenü auf ein Werbeplakat für Bademode: Direkt neben das Bild einer Frau mit scheinbar perfekter Bikinifigur. Der Kampf gegen Sexismus ist allgemein großes Thema bei Adbustern. In Berlin wurden zwei nackten Frauen auf einem Werbeplakat von Ad Bustern Norweger-Pullis gegen die Kälte ‚angemalt‘. In Paris propagiert ein Adbuster Kunst statt Konsum und überklebt Werbung mit alten Gemälden.

Natürlich macht Adbusting auch vor der Politik nicht halt. Mit der Aktion „No Christmas for Merkel“ macht das Peng-Kollektiv auf die ihrer Ansicht nach inhumane Abschiebung von Flüchtlingen in sichere Herkunftsländer aufmerksam. Zu sehen ist das Jesuskind mit Josef und Maria im Stall. Um den Stall versammeln sich verzweifelt aussehende Menschen, die Einlass begehren, allerdings nicht reindürfen. Stattdessen werden sie von den Hirten sogar erstochen oder mit der Harke beiseitegeschoben.

Auch Adbusting gegen Fast Food ist sehr beliebt. In vielen Orten in Deutschland werden unter Burger King und McDonalds Plakate Rezepte von gesungen Gerichten geschrieben. Aus dem eingängigen Slogan eines Dosen-Chili Herstellers: Manch mögen’s heiß, wird durch eine kleine Veränderung: Manche mögen Scheiß.

Es gibt jedoch auch aufwendigere Formen des Adbustings. 11 Designstudenten der Fakultät für Gestaltung an der Hochschule Mannheim haben sich eine Woche lang mit dem Thema Flucht beschäftigt und in einem Urban Hacking Workshop urbane Interventionen entwickelt, um Passanten für das Thema zu sensibilisieren. Dabei haben sie eigenständig neue Plakate entwickelt, die allerdings bekannte Marken imitieren und parodieren. So bietet auf einem Plakat nun Schleppermann (Anspielung auf Neckermann) Mittelmeer „Adventures“ an. Zu sehen ist ein sinkendes Boot, das mit hunderten von Flüchtlingen beladen ist, von denen viele bereits im Wasser gelandet sind. Unterschrift: Viele neue Leute – Vintage Style – Open End. Es bleibt einem förmlich die Luft weg. Ein anderes Plakat zeigt ein Flüchtlingscamp und ist überschrieben mit: „Für alle die Zelte lieben“. Für 79 Euro kann man laut Plakat ein solches Zelt der fiktiven Marke Desolation (Decathlon) ersteigern.

Eine interessante Initiative ist auch der „No Ad Day“. Die Verantwortlichen wollen den Menschen eine visuelle Auszeit geben, Zeit, um sich selbst zu finden. Deshalb hängen sie öffentliche Plakate einfach ab, und hinterlassen eine leere Fläche. Die Initiative hat sich mittlerweile zu einer weltweiten Bewegung entwickelt.

Adbusting ist jedoch kein neues Phänomen. Bereits die 1970er Jahre können mit einer interessanten Geschichte zum Thema aufwarten: Eberhard Schulz, ein Anästhesist, ist wütend, dass selbst im Krankenhaus die Kollegen rauchen und damit sich selbst und andere eher kränker, als gesünder machen. Nachdem er dann noch die Werbung auf den Magazinen im Wartezimmer sieht, die das Rauchen anpreisen, kommt ihm die Idee. Man könnte das ganze doch umgestalten, um auf die fatalen gesundheitlichen Folgen des Rauchens aufmerksam zu machen. Sogleich geht er an die Arbeit und entwirft eigene Plakatwerbungen: Er macht aus ‚Rot Händle‘ ‚Tod Händle‘; die Zigarettenmarke HB steht bei ihm für Husten und Bronchialkrebs. Einer Werbung für die Marke Reval, die ein glücklich rauchendes Pärchen zeigt, fügt er einen Fötus in den Bauch der Frau hinzu - eingehüllt in Zigarettenstummel. Seine Neuentwürfe klebt er über die Plakate der Stadt, signiert mit seinem Vor- und Nachnamen. So dauert es auch nicht lange, bis er wegen Sachbeschädigung angezeigt wird. Dass nun, nach über 40 Jahren, tatsächlich offiziell Schockbilder auf die Zigarettenpackungen kommen, freut ihn. Allerdings findet er den Ausdruck Schockbilder unpassend. Schließlich dienen die Bilder nach ihm „vor allem der Information“.

Ist Adbusting nun moralisch gerechtfertigt? Eine hehre Form des zivilen Ungehorsams? Auf der einen Seite gibt es da die Werber, die das politische und wirtschaftliche System nutzen, um im rechtlich erlaubten Rahmen ihr Produkt zu promoten. Auf der anderen Seite stehen diejenigen, die das Ganze als Angriff auf die persönliche Freiheit, als Manipulation des Denkens sowie als visuelle Umweltverschmutzung wahrnehmen. Vielleicht muss man sich gar nicht unbedingt für eine Seite entscheiden. Öffentliche Werbung ganz verbieten: Schwierig. Aber ein bisschen kreative Umgestaltung können die Konzerne schon verkraften.

Bild: "Vermibus" von -lucky cat- via Flickr.com. Von UNI.DE zugeschnitten und mit ©-Hinweis versehen.
Lizenz: CC BY-NC-ND 2.0.