VON ANGELA SCHWEIZER
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27.03.2015 15:04
Wie aus Fischern Piraten wurden
Die Gewässer des westlichen indischen Ozeans vor Somalia sind international berüchtigt. Militärische Interventionskommandos aus Europa gehen dort gegen somalische Piraten vor, um die Handelsrouten am Horn von Afrika zu sichern. Die Ursachen der Piraterie werden jedoch nicht bekämpft: europäische, asiatische und russische Fischfangflotten fischen dort seit Jahrzehnten illegal, zerstören die Lebensgrundlage der somalischen Fischer und brachten diese schließlich dazu, sich zu bewaffnen und zu versuchen, die ausländischen Schiffe zu vertreiben. Uni.de zeichnet nach, wie aus Fischern Piraten wurden.
„Als unsere Gewässer noch nicht leergefischt waren, besaß mein Sohn keine Waffe. Alles was er besaß war ein Fischernetz“. Hawa Mohamed Saeed ist die Mutter des jungen Somaliers Farhan Mohamed Jaama, der zu lebenslanger Haft verurteilt wurde und bereits seit fünf Jahren in einem Gefängnis in Jemen einsitzt. Mehr als 1300 junge Somalier wurden seit 2005 wegen Piraterie verurteilt und in ausländische Gefängnisse gebracht, die meisten von ihnen lebenslänglich.
Todesursache Umweltverschmutzung
Für die Menschen im Nigerdelta gehört die braune Suppe in den Flüssen zum traurigen Alltag. Wie ein dunkler Fleckenteppich ziehen sich die Erdölspuren den Strand entlang
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Eyl - Vom Fischerdorf zum internationalen Piratenstützpunkt
Auch Farhan stammt aus dem ehemaligen Fischerdorf Eyl, über das in internationalen Medien inzwischen als Welthauptstadt der Piraterie berichtet wird. Wie konnte aus dem kleinen Fischerdorf mit gerade einmal 18.000 Einwohnern ein international gefürchteter Piratenstützpunkt werden? Die Route über den Golf von Aden und den Suez-Kanal ist eine der wichtigsten des Welthandels und verbindet Afrika, Asien und Europa. Angriffe und Entführungen auf Handelsschiffe im Jahre 2012 lösten internationales Entsetzen und militärische Interventionen aus. Etwa 40 Frachtschiffe galten als „gekapert“,
mehr als 1000 Geiseln wurden entführt. Wenig Aufmerksamkeit bekamen jedoch die Ursachen für die Piraterie am Horn von Afrika: Der seit 20 Jahren andauernde Bürgerkrieg in Somalia führte zu einem Zusammenbruch der staatlichen Autorität. Die damit wegfallende Reglementierungsmöglichkeit und der Rückgang der Thunfischbestände im westlichen indischen Ozean machten die somalische Küste
interessant für Trawlerflotten aus Europa, Russland und Asien. Sie begannen, die Meere vor Somalia leer zu fischen. Die Boote der somalischen Fischer waren zu klein, um die Thunfischbestände, die immer weniger wurden, weit vor der Küste zu erreichen. Durch die riesigen Mengen an Beifang, die die internationalen Fischerflotten mit fischten, wurden außerdem auch die küstennahen Fischbestände extrem reduziert und somit die Lebensgrundlage der somalischen Fischerfamilien weitestgehend zerstört. Vorher konnten etwa 70 Prozent der somalischen Bevölkerung durch Fischen ihren Lebensunterhalt bestreiten, heute sind es
nur noch etwa fünf Prozent. Mittlerweile wurden durch militärische Interventionen die Piraten am Horn von Afrika erfolgreich bekämpft und zurückgedrängt. Um Ursachenbekämpfung kümmerten sich die westlichen Interventionsmächte jedoch nicht. Auch das illegale Fischen durch europäische, russische und asiatische Fangflotten vor Somalias Küsten wurde nie rechtlich verfolgt. Anfangs waren die Piraten einfach nur bewaffnete Fischer, die versuchten selbst das Gesetz in die Hand zu nehmen und
gegen die illegale Fischerei vorzugehen.
Wie aus Fischern Flüchtlinge wurden
Bis vor kurzem war die Migration für viele jugendliche Kleinfischer aus Westafrika eine Lösung aus ihrer verzweifelten Lage und eine Alternative zur Piraterie. Doch seit FRONTEX, die „europäische Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen“, die Gewässer hermetisch abriegelt, ist auch dies keine Option mehr. Eine senegalesische Fischersfrau fasst die Lage
gegenüber dem Evangelischen Entwicklungsdienst so zusammen: „Erst raubt ihr unseren Fisch, dann schickt ihr unsere Kinder zurück, für die wir alle zusammengelegt haben, damit sie bei euch arbeiten und uns unterstützen. Wovon sollen wir nun leben?“