VON CLEMENS POKORNY | 02.01.2015 14:14

Studieren gegen oder in die Arbeitslosigkeit?

„Studieren“ kann man heutzutage immer mehr Fächer, die einst in dualen Ausbildungen vermittelt wurden. Das liegt auch daran, dass immer mehr Menschen berechtigt werden, ein Studium aufzunehmen. Die Rekord-Immatrikulationszahlen zum Wintersemester 2014/15 legen nicht unbedingt nahe, dass die wirtschaftliche Entwicklung demnächst einen kräftigen Schub bekommt – sondern dass der Wert eines Studiums immer mehr abnimmt. Vor Arbeitslosigkeit schützt es so immer weniger.

Bewahrt ein Studium vor künftiger Arbeitslosigkeit? Das hängt gerade heute von mehreren Faktoren ab. Wer lange und die „falschen“ Fächer – z.B. Geistes- und Sozialwissenschaften – studiert, wenig praktische Erfahrung in Praktika sammelt, keine Fremdsprachen vertieft und keine Netzwerke aufbaut, dem droht auch bei sehr guten Abschlüssen, keine adäquate Anstellung zu finden. Und wer einmal eine Tätigkeit aufgenommen hat, für die er überqualifiziert ist, dem gelingt erfahrungsgemäß auch dauerhaft der Einstieg in die eigentlich gewünschten Tätigkeitsbereiche nicht.

Auf Stipendiensuche

Die genannten Faktoren, die den beruflichen Erfolg nach dem Studium sichern sollen, lassen sich nur bedingt beeinflussen. Beruflich sichere Fächer wie Human- oder Zahnmedizin stehen qua NC und Kosten nur wenigen offen – und nicht jeder mit einem Einserabitur will auch Arzt werden. Praktika lassen sich nur machen, wenn das Studium genügend Zeit dafür lässt, das Gleiche gilt für das Erlernen oder Vertiefen von Fremdsprachen. Viele Studenten müssen freilich viel von ihrer freien Zeit damit verbringen, Geld zu verdienen. Den wenigen, aber umso lieber zitierten Vorbildern, die es aus einfachen Verhältnissen etwa bis zum erfolgreichen Medizin-Staatsexamen geschafft haben, steht ein graues Heer gegenüber, deren Leistungen oder Studiengeschwindigkeit vom Faktor Geld gehemmt wurden.

Das gilt insbesondere für Deutschland, wie die OECD jüngst wieder mahnte, und beschränkt sich natürlich nicht nur auf die Gruppe der Studenten an sich, sondern auf Menschen zwischen 16 und 29 Jahren insgesamt. Noch immer hängt der Bildungserfolg in Deutschland erschreckend eng mit der finanziellen Ausstattung durch das Elternhaus zusammen. Heino von Meyer, Leiter des Berliner OECD-Centers, beklagt denn auch, dass zwar bundesweit mittlerweile bei der Bildungsbeteiligung viel erreicht worden sei, andere Länder Deutschland aber voraus seien. Ein akademischer Abschluss, das zeigen die Zahlen, schützt noch immer am besten vor Arbeitslosigkeit.

Doch erstens sind die im ersten Absatz vorgenommenen Einschränkungen zu beachten – man kann auch geradewegs in die Arbeitslosigkeit studieren. Zweitens werden die Arbeitslosenstatistiken seit Jahren mit verschiedenen Mitteln geschönt. Und welcher Akademiker möchte sein Dasein als Sklave von Zeitarbeitsfirmen fristen, oder von einem befristeten Job zum nächsten bangend? Drittens und vor allem aber verlieren die akademischen Abschlüsse an Wert, je mehr Menschen sie erlangen. „Studiere, dann wirst du nicht arbeitslos“ wird so zunehmend zur sich selbst zerstörenden Prophezeiung. Die Entwertung der akademischen Bildung beginnt schon an den Schulen. Wo fast jede(r) die Hochschulreife gleichsam hinterhergeworfen bekommt, obwohl das Leistungsniveau tendenziell sogar sinkt, bleibt von der „Reife“, die das Abitur eigentlich bezeugen sollte, eben wenig übrig.

Auf die Schulen jenseits des Gymnasiums verteilen sich dann junge Menschen mit immer schlechteren Perspektiven. Es ist daher kein Wunder, dass zunehmend Handwerksberufe akademisiert werden: Weil nur die sogenannten „Abiturienten“ noch das nötige Mindestmaß an den nötigen Kompetenzen mitbringen. An der Fachhochschule in München zum Beispiel kann man seit 2010 „Augenoptik/Optometrie“ studieren – Berufsziel: Optiker. Braucht es dafür einen Hochschulabschluss? Der Philosoph Julian Nida-Rümelin fragt sich in diesem Zusammenhang, wann der „Bachelor of Haareschneiden“ eingeführt werde.

Durch den „Akademisierungswahn“ (Nida-Rümelin) wird die klassische duale Berufsausbildung ebenso desavouiert wie das Studium abgewertet: Wenn man alles „studieren“ kann, verändert sich der Begriff des Studiums zum Negativen; und wenn die Inhalte bisheriger Ausbildungsberufe akademisiert werden, erscheint eine duale Berufsausbildung demgegenüber mitunter als geradezu minderwertig – was sie nicht verdient.