VON MAXIMILIAN REICHLIN | 01.09.2016 16:41

Stille SMS und Staatstrojaner – Wenn Überwachung zum Alltag wird

Nach Informationen die der Plattform netzpolitik.org zur Verfügung stehen, ist die sogenannte „Stille SMS“ ein beliebtes Werkzeug zur digitalen Überwachung. Datenschützerinnen und Datenschützer sprechen sich gegen die Methode aus und betonen die Verfassungswidrigkeit der Überwachung. Auch andere eingesetzte Werkzeuge, wie IMSI-Catcher, Funkzellenabfragen oder der umstrittene Staatstrojaner verstoßen demnach gegen die Verfassung. Gleichzeitig plant die CDU/CSU, die digitale Überwachung weiter auszuweiten, und staatliche Behörden mit zusätzlichen Rechten auszustatten. UNI.DE informiert.

Mitte August veröffentlichte die Plattform netzpolitik.org aktuelle Zahlen zur Nutzung von Überwachungswerkzeugen durch staatliche Behörden. Demnach ist eine der beliebtesten Überwachungsmethoden derzeit die sogenannte „Stille SMS“. Solche wurden im ersten Halbjahr 2016 auf Bundesebene eklatant oft verschickt: Über 90.000 Mal von der Bundespolizei (BPOL), 70.000 Mal vom Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) und 45.000 Mal vom Bundeskriminalamt (BKA). Damit hat sich die Anzahl der verschickten heimlichen Textnachrichten bei der Bundespolizei verdoppelt. Im Falle des Verfassungsschutzes lag der Zuwachs bei rund 60 Prozent.

Was sind Stille SMS und wie werden sie genutzt?

Eine Stille SMS dient dazu, beim Mobilfunkanbieter eines Handys Verbindungsdaten abzufragen, die anschließend ausgewertet werden können. So lässt sich der Standort eines Handybenutzers oder einer Handybenutzerin bestimmten, oder – mit vielen SMS – ein Bewegungsprofil erstellen. „Stille SMS“ sind solche Textnachrichten deswegen, weil sie nicht auf dem Display des betroffenen Telefons angezeigt werden, und auch kein akustisches Signal auslösen. Der Überwachte merkt also nicht, dass sein Standort gerade abgefragt wird.

Stille SMS werden oft nicht oder nur unzureichend in den jeweiligen Ermittlungsakten dokumentiert. In einer Ende August veröffentlichten Pressemitteilung äußerte sich die Berliner Datenschutzbeauftragte Maja Smoltczyk kritisch zu der Überwachungspraxis: In über 80 Prozent der stichprobenartig geprüften Ermittlungen sei aus den Akten nicht erkennbar, dass überhaupt Stille SMS als Überwachungswerkzeug zum Einsatz kamen. Zudem seien in der Mehrheit der Fälle die Überwachten nicht informiert worden – entgegen der gesetzlichen Vorgaben.

Kritische Stimmen verteufeln die Stille SMS

Die Datenschutzbeauftragte fordert die Schaffung klarer Rechtsnormen für den Einsatz der Stillen SMS, sowie eine Dokumentierungspflicht für alle Behörden. Smoltczyk wörtlich: „Der Einsatz von Stillen SMS in strafrechtlichen Ermittlungsverfahren ist ein tiefer Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung, weil er ohne Kenntnis der Betroffenen erfolgt und die Erstellung präziser Bewegungsprofile ermöglicht. Es bedarf daher hierfür klar definierter gesetzlicher Grenzen sowie einer sorgfältigen und nachprüfbaren Durchführung der Maßnahmen.“

Rechtlich gesehen ist der Einsatz von Ortungsimpulsen umstritten. Andrej Hunko von der Linksfraktion des Bundestages hält Stille SMS schlichtweg für unrechtmäßig: „Die heimlichen Textnachrichten sind rechtswidrig, denn Polizei und Geheimdienste dürfen nur passiv abhören. Die ‚Stille SMS‘ ist aber ein aktiver Vorgang. Handys sind zum Telefonieren da, nicht um deren Besitzer heimlich zu verfolgen.“ Hunko fragt die Zahlen zum Einsatz Stiller SMS und anderer Überwachungsmethoden halbjährig von der Bundesregierung ab. Nun zeigt er sich empört darüber, dass das Bundesinnenministerium den Anstieg der Zahlen nicht erklären will.

IMSI-Catcher, Funkzellenabfrage, Staatstrojaner – Diese Überwachungswerkzeuge gibt es

Stille SMS sind nur eine von vielen Möglichkeiten der Überwachung, die regelmäßig von staatlichen Behörden genutzt werden. Andere sind beispielsweise die sogenannten IMSI-Catcher, die einem Mobiltelefon vorgaukeln, ein gewöhnlicher Funkmast zu sein. Dadurch ist nicht nur die Standortbestimmung, sondern auch das Abhören von Gesprächen möglich. Beliebt sind auch Funkzellenabfragen, durch die sich ermitteln lässt, wann ein bestimmtes Handy an einem bestimmten Ort war.

Hackt kaputt, was euch kaputt macht?

Solche Ermittlungsverfahren bewegen sich aktuell oft noch in rechtlichen Grauzonen. Ähnlich verhält es sich mit dem umstrittenen Staatstrojaner, der seit Februar dieses Jahres im Einsatz ist. Dessen Einsatz zur Quellen-Telekommunikationsüberwachung (Quellen-TKÜ) und zur Online-Durchsuchung verdächtiger Computer soll nun eine Rechtsgrundlage erhalten – so fordert es zumindest die CDU/CSU in der sogenannten „Berliner Erklärung“. Demnach sollen Polizei und Verfassungsschutz „schnellstmöglich“ den Staatstrojaner nutzen können, um die digitale Kommunikation zu überwachen und Daten aus der Ferne auslesen zu können.

Datenschützende betonen: Digitale Überwachung verstößt gegen die Verfassung

Gegen eine Verschärfung der Sicherheitsgesetze und die Ausweitung der digitalen Überwachung sprechen Kritikerinnen und Kritiker sich vehement aus. Der Chaos Computer Club (CCC), der bereits 2011 mit einer Klage gegen den Einsatz eines frühen Staatstrojaners vorging, fordert, den Einsatz der Schadsoftware eher zu beschränken, anstatt ihn noch weiter auszuweiten. Mit dem Einsatz des Trojaners seien Risiken verbunden, die in keinem Verhältnis zum Nutzen stünden: „Durch den aktiven Eingriff in ein überwachtes Gerät wird die Integrität des Systems zwangsläufig verletzt. Welche Seiteneffekte die Installation einer Schadsoftware im Zielsystem anrichten kann, ist nicht mit Sicherheit vorhersehbar“, so die Stellungnahme des CCC.

Die Bundesdatenschutzbeauftragte Andrea Voßhoff schließt sich dieser Meinung an und betont in einer eigenen Stellungnahme die Wichtigkeit der durch die Verfassung geschützten Werte: „Wenn wir unsere Grundrechte, das heißt auch den Datenschutz, verfassungswidrig einschränken, verlieren wir das, was unsere Demokratie auszeichnet“, so Voßhoff. Auch Oliver Süme vom Verband der deutschen Internetwirtschaft (eco) stellt sich gegen die geplante Ausweitung der Überwachung und betont, dass die Befürworter der Berliner Erklärung „wesentliche Grund- und Freiheitsrechte offenbar komplett aus den Augen verloren haben.“