MAXIMILIAN REICHLIN | 09.04.2013 14:29

Der Preis der Ehrenrunde – Wie sinnvoll ist das Sitzenbleiben?

Einer Bildungsstudie der Bertelsmann-Stiftung von 2009 zufolge, kosten die Klassenwiederholungen von Schülern den Steuerzahler pro Jahr beinahe eine Milliarde Euro. Und dabei werden, so die Studie, noch nicht einmal die erwarteten Erfolge erzielt. Viele Pädagogen pochen nun darauf, das Sitzenbleiben ganz abzuschaffen. Andere wollen dagegen am ihrer Meinung nach bewährten System festhalten.

Etwa 250.000 der 9 Millionen Schüler in Deutschland erhielten im Schuljahr 2007/2008 nicht die Erlaubnis zum Vorrücken in die nächste Klasse und mussten ein Jahr wiederholen. Damit ist zwar nur jeder 40. Schüler betroffen, trotzdem summieren sich die Kosten für die "Ehrenrunden". Die zusätzlichen Personalausgaben, Sachaufwendungen und die nötigen Zusatzinvestitionen für die Wiederholer beliefen sich in der Studie auf etwa 931 Millionen Euro.

Lernziel "Emotionale Sicherheit"

Der pädagogische Erfolg des Sitzenbleibens scheint dabei, trotz seines hohen Preises, allerdings auszubleiben. Auch darüber gibt die Studie Aufschluss. Tatsächliche Leistungsverbesserungen stellten sich bei den Schülern höchstens im wiederholten Jahr ein. Sobald sie allerdings die Klasse im zweiten Durchlauf abschließen konnten, sanken die Leistungen im darauffolgenden Jahr wieder ab. Durch das Sitzenbleiben würden die Probleme nur um ein weiteres Jahr verschoben und nicht gelöst, sagte zum Beispiel der OECD-Koordinator Andreas Schleicher im Interview mit Spiegel Online.

Deswegen soll mit dem Sitzenbleiben in Zukunft auch Schluss sein. Zumindest, wenn es nach der nordrhein-westfälischen Schulministerin Sylvia Löhrmann gehen soll. Wie viele andere Pädagogen und Politiker betrachtet sie das Sitzenbleiben als überflüssige Maßnahme und will das darin investierte Geld sinnvoller nutzen. Etwa zur individuellen Förderung der Problemschüler, um das Sitzenbleiben von vornherein zu verhüten. Ähnliche Modelle existieren in Japan oder den skandinavischen Ländern, deren Schulsystem hier als Beispiel genutzt werden soll.

Doch diese Entwicklung steht auch in der Kritik. Der Präsident des deutschen Lehrerverbandes, Josef Kraus, will das Sitzenbleiben nicht aufgeben. Zwar lege auch er wert auf individuelle Förderung, allerdings ist er auch der Meinung, dass das Wiederholungsjahr prophylaktisch als Abschreckung, beziehungsweise im Nachhinein als Sanktionsmaßnahme für „Leistungsverweigerer“ sinnvoll ist. Es dürfe zumindest durch die individuelle Förderung nicht dahin kommen, dass es eine „Vollkaskogarantie“ für einen bestimmten Abschluss gebe.

Viele Bundesländer in Deutschland folgen allerdings bereits jetzt dem Weg der individuellen Förderung. Außer in Nordrhein-Westfalen laufen auch in Rheinland-Pfalz Bemühungen, die die Quote der Sitzengebliebenen durch erhöhte individuelle Förderung drücken sollen, in Hamburg wurde das Sitzenbleiben in einer umstrittenen Schulreform bereits ganz abgeschafft.