VON SINEM S. | 04.10.2012 16:51

Töten mit Gottes Erlaubnis: Wieso Religionen soviel Gewaltpotenzial zu haben scheinen.

Du sollst nicht töten. So lautet das sechste Gebot im Dekalog des Alten Testaments, welches sowohl Grundlage des Judentums als auch des Christentums ist. Und dennoch sind vor allem die drei großen monotheistischen Weltreligionen immer wieder im Zentrum heftiger gewalttätiger Konflikte. Aber auch der Hinduismus und selbst der als so pazifistisch geltende Buddhismus sind nicht resistent dagegen, Kriege zu schüren. Woher rührt jenes enorme Konfliktpotenzial der Religionen, welche sich im Kern doch meist dem Frieden verschrieben glauben?

Ein wesentlicher Grund für das Konfliktpotential der Religionen ist sicherlich in der eschatologischen Ausrichtung vieler Religionen zu suchen, welche die Menschen in Gläubige und Ungläubige einteilt und die Welt in Gut und Böse. Michael Schmidt-Salomon verweist beispielsweise auf die grausamen Strafen, welche Ungläubige laut Koran und Bibel zu fürchten hätten. So heißt es mustergültig in den zehn Geboten: „Denn ich, der Herr, dein Gott, bin ein eifersüchtiger Gott: Bei denen, die mir feind sind, verfolge ich die Schuld der Väter an den Söhnen, an der dritten und vierten Generation; bei denen die mich lieben und auf meine Gebote achten, erweise ich Tausenden meine Huld.“ (vgl. Exodus 20, 1-21).

Vertrauen ist gut…

Ein solcher Wahrheitsanspruch kollidiert notwendig mit etwaigen Toleranzambitionen. Dabei ist dennoch zu bedenken, dass Religion natürlich nicht gleich Religion ist. Zu mannigfaltig sind die verschiedenen Interpretationen, Entwürfe und Ausprägungen weltweit, um alle in einen Topf werfen zu können. Von aufgeklärten Spielarten bis fundamentalistischen Konzeptionen reicht die Bandbreite religiöser Weltdeutungen, was die Brisanz der Konflikte befeuert.

Religion ist dabei auch deshalb so umkämpft, weil sie äußerst stabile und langlebige Identitätsmodelle anzubieten hat. Der slowenische Philosoph Slavoj Zizek verweist in seinem Werk „The Sublime Object Of Ideology“ diesbezüglich auf die bedeutungs- und sicherheitsstiftende Funktion eines Lebens im Dienste einer höheren Sache, wie z.B. Gott. Hartnäckigkeit gewinnt das Individuum dabei auch durch die Irrationalität des Glaubens, welcher eben nicht mithilfe der Erkenntnis und argumentativ erschlossen wurde, sondern stets der religiösen Erfahrung oder Erleuchtung entspringt.

Der Gläubige glaubt nicht an Gott aufgrund einer stichhaltigen theologischen Beweisführung, sondern umgekehrt an die Argumente der Theologie, weil er bereits an Gott glaubt. Kombiniert mit widrigen sozialen und ökonomischen Umständen wie sie beispielsweise in vielen arabischen oder asiatischen Ländern anzutreffen sind, entsteht so ein explosives Gemisch, welchem schwierig mit Vernunft beizukommen ist. Die vielen Religionskriege des Abendlandes sind das beste Beispiel für die Langwierigkeit der Ausdifferenzierung toleranterer Positionen. Um so wichtiger ist es, die mühsam erkämpften Freiheiten zu schützen, zu nützen und auch anderen zu gewähren.