VON NORA GRAF
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23.12.2015 11:12
Ausgebeutet: Die Orangensaft-Herstellung und ihre Folgen für Mensch und Natur
Eier, Speck, Käse und Wurst, dazu Orangensaft mit oder ohne Sekt: Das macht für viele Deutsche ein gutes Frühstück aus. Was für eine vegetarische, wenn nicht gar vegane Alternative zu den tierischen Produkten spricht, ist mittlerweile auch jedem klar. Doch was spricht gegen den beliebten Orangensaft?
Deutschland liegt weltweit auf Platz zwei der Länder, die Orangensaft importieren. Warum auch nicht. Orangensaft ist gesund, enthält viel Vitamin C und kann auch noch mit einigen Alkoholika gemischt werden. Aus gesundheitlicher Sicht ist der Saft für den Verbraucher also weniger bedenklich. Umso erschreckender sind dafür die Auswirkungen auf die Plantagenarbeiter und die Folgen für die Umwelt.
80 Prozent des in Deutschland konsumierten Orangensaftes kommt aus Brasilien, neben den USA der weltweit größte Orangensaftproduzent und -exporteur. Und in Brasilien gibt es nur drei Firmen, die das Geschäft mit dem Saft dominieren: Cutrale, Citrosuco und Louis Dreyfus Commodities. Die Studie „Ausgepresst: Hinter den Kulissen der Orangensaftindustrie“ beleuchtet die Machenschaften der Hersteller und die Rolle, die die importierenden Länder in diesem Bereich spielen.
Die Autoren der Studie, die Christliche Initiative Romero (CIR) und Global2000, werfen den drei Konzernen unter anderem vor, ihre Arbeiter auszubeuten, die Umwelt massiv zu belasten und überdies auch noch die Kleinfarmer zu vernichten.
Laut Berichten setzte Cutrale die Orangenfarmer massiv unter Druck: Wenn diese nicht ihr Land an das Unternehmen verkauften, so würde Cutrale auch keine Orangen mehr von ihnen abnehmen. Überdies würden die Konzerne durch ihre faktische Monopolstellung den Einkaufspreis der Orangen sogar unter die Produktionskosten drücken. Ihnen gehören nicht nur die Plantagen in der Region São Paulo mit etwa 200 Millionen Orangenbäumen, sie kontrollieren auch fast die komplette Verarbeitungskette: Angefangen von eigenen Reedereien für den Transport nach Europa und in die USA bis hin zu eigenen Terminals zur Lagerung des Orangensaftes, von wo aus sie per LKW zu den Abfüllern transportiert werden.
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In der EU gibt es
ebenfalls nur drei bis vier Unternehmen in jedem Land, die 80, manchmal sogar 90 Prozent des Handels gestalten und dadurch noch einmal die Preise senken. Wie so oft gehen die geringen Preise vor allem zu Lasten der Arbeiter auf den Plantagen und in den Fabriken. Zehn bis elf Stunden täglich arbeiten sie auf den Farmen, bis zu 30 Kilogramm schwere Körbe tragen sie bis zu 60 mal am Tag. Schlimm genug, doch zum Teil sind die Arbeiter noch weit von der Volljährigkeit entfernt. 15 Prozent der Kinder, die rund um São Paulo arbeiten, sind jünger als 14 Jahre alt.
Neben einer körperlichen Schädigung, kann die Arbeit für Kinder und Erwachsene auch schwere gesundheitsgefährdende Folgen haben, da die Orangen oft mit gefährlichen Pflanzenschutzmitteln behandelt werden. Pestizidvergiftungen haben sich seit 2007 verdoppelt auf 4.537 Fälle. Gesetzliche Maßnahmen zum Schutz der Arbeiter, wie etwa die Entsorgung leerer Pestizidkanister, werden in der Praxis nicht umgesetzt, Schutzkleidungen gibt es auch keine. "Es wäre besser, wenn die Menschen gar nicht arbeiten würden, bevor sie diese Arbeit ausführen", so Alcimir Antonio de Carmo, ein brasilianischer Gewerkschaftsvertreter.
Damit noch nicht genug: Auch abseits der Arbeit sind die Bedingungen katastrophal. 20 Menschen schlafen auf 20 Quadratmetern. Einkaufen müssen sie in den kleinen Geschäften der Anwerber, in denen die Produkte doppelt so teuer sind wie im herkömmlichen Supermarkt. Ausbeutung in jeglicher Hinsicht. Auch was die Natur betrifft: Durch die giftigen Pestizide werden auch die Wildbienen schrittweise vernichtet, die wichtig für die Bestäubung sind.
José Luís Cutrale, der Chef von Cutrale, liegt laut dem Forbes Bericht auf Platz 737 und besitzt ein geschätztes Vermögen von 2.5 Milliarden Euro. Er ist einer der reichsten Männer Brasiliens. Immerhin haben sich die brasilianischen Hersteller und die europäischen Abnehmer im Mai zu einer menschenwürdigen und nachhaltigen Fruchtsaftproduktion verpflichtet: Auf freiwilliger Basis natürlich.