VON CLEMENS POKORNY
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17.10.2013 14:07
Öl aus kanadischem Ölsand: Profit oder Umwelt- und Menschenschutz?
Die Ölvorräte gehen unweigerlich zuneige. Aufgrund des dementsprechend steigenden Rohöl-Preises werden auch unkonventionelle Förderformen wirtschaftlich attraktiv. In Kanada gibt es die drittgrößten Ölvorkommen der Erde, das meiste Öl liegt in Form von sogenannten Ölsanden vor. Um diese abzubauen, wird in der Provinz Alberta Urwald auf riesigen Flächen abgeholzt. Rückstände bei der Aufbereitung des geförderten Bitumens indes versickern unweigerlich und töten Mensch und Tier. Doch Kanada weitet die Produktion der „Athabasca-Ölsande“ weiter aus – auf einer Fläche doppelt so groß wie Irland.
Unter der seit 1971 ununterbrochen regierenden Progressive Conservative Association of Alberta wird im Bezirk Wood Buffalo der konservativsten Provinz Kanadas, Alberta, seit Jahrzehnten Öl gefördert. Doch erst mit den gestiegenen Ölpreisen der letzten Jahre lohnt sich der Abbau im großen Stil. 2006 wurde bekannt, dass im Einzugsgebiet des Flusses Athabasca unter einer Fläche doppelt so groß wie Irland die drittgrößten Ölvorräte der Welt lagern, größer als diejenigen Saudi-Arabiens.
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Die Probleme dabei: Das Öl befindet sich unter dem für Klima und Biodiversität unersetzlichen kanadischen Urwald, und es liegt vorwiegend in seiner Vorstufe
Bitumen vor, kann also nicht direkt aus dem Boden gepumpt werden. Stattdessen muss ein Sand-Bitumen-Gemisch
im Tagebau abgetragen und aufwändig raffiniert werden. Aus vier Tonnen Rohmaterial lässt sich am Ende ein Barrel (159 Liter) Erdöl gewinnen. 170 Milliarden Barrel lassen sich Schätzungen zufolge insgesamt gewinnen, derzeit werden etwa 1,5 Millionen Barrel Rohöl täglich aus kanadischem
Ölsand produziert. Bis 2025 soll die Ölproduktion auf 4,7 Millionen Barrel ansteigen, davon 3,7 Millionen aus Ölsand.
Neben der Waldzerstörung, bislang auf einer Fläche so groß wie England fortgeschritten, stellen die Aufbereitungsrückstände das zweite große Problem dar. Schwermetalle wie Quecksilber, Arsen, Cadmium und Blei sowie
Aromatische Kohlenwasserstoffe werden unter freiem Himmel auf Plastikfolien gelagert, auf einer Fläche von 176 Quadratkilometern. Und obwohl sich Lecks nicht vermeiden lassen, leugnete die Provinzregierung von Alberta jahrelang, dass diese Gifte in die Umwelt gelangten. Dabei liegt mit dem Wood-Buffalo-Nationalpark ein UNESCO-Weltkulturerbe gleich nebenan. Von der Regierung offenbar manipulierte Forschungsergebnisse bescheinigten der Förderung der
Athabasca-Ölsande zunächst, die Natur nicht über die Urwaldvernichtung hinaus zu beeinträchtigen. Ein unabhängiger, anerkannter Forscher von der
Universität Alberta konnte zwar einen erheblichen Eintrag von Giften u.a. im Athabasca-Fluss und vor allem dessen Fischen nachweisen, doch die Regierung schenkte seinen Ergebnissen ungeprüft keinen Glauben.
Ein Arzt, der von den Behörden mit der Betreuung der am Athabasca-Delta lebenden Indianer betraut war, stellte enorm ansteigende Krebsraten und das Auftreten dort bis dato unbekannter Krebsarten fest. Als er seine Beobachtungen meldete und eine wissenschaftliche Untersuchung forderte, versetzte ihn die Regierung in ein anderes Gebiet, versuchte gar, ihm seine Zulassung zu nehmen. Seiner Forderung wurde bis heute nicht nachgekommen, stattdessen wurde die Ölproduktion auf eine Fläche von der Größe Frankreichs ausgedehnt. Die Eingeborenen können das Flusswasser nicht mehr trinken und keinen Fisch mehr essen: ihre Lebensgrundlagen werden zerstört.
Mittlerweile wurden die Forschungsergebnisse
in einer neuen Studie bestätigt, und die Provinzregierung leugnet den schädlichen Einfluss der Ölsandproduktion auf die Umwelt nicht mehr. Doch weil
der Abbau für Vollbeschäftigung in Alberta sorgt und das Öl sich gut in die USA verkaufen lässt, ist kein Ende der Ölsandförderung in Sicht. Schlimmer noch: Die Vereinigten Staaten gieren nach immer mehr Erdöl, das Uncle Sam
schon jetzt zu 17% aus Kanada bezieht, von denen 40% aus Ölsanden raffiniert wurden. Die Einfuhr von Öl aus Ölsanden
widerspricht geltendem US-Recht. Doch derzeit wird sogar eine
neue Mega-Pipeline von Alberta bis zu den Raffinerien in Texas geplant. Kanada hat das Projekt schon abgesegnet, und US-Präsident Obama wird sich angesichts 20.000 möglicher neuer Arbeitsplätze kaum dagegen stellen können. Und auch die deutsche
Helmholtz-Gesellschaft profitierte etwa ein Jahr lang vom „schmutzigsten Öl der Welt“ (Maud Barlow vom Bürgerverband „Council of Canadians“), bevor sie die mit umgerechnet 25 Mio. Dollar an deutschen Steuergeldern finanzierte Kooperation mit der Universität Alberta
aufgrund der zunehmenden öffentlichen Kritik beendete.
Viele der indigenen Einwohner Albertas haben ihre Heimat schon aufgegeben. Einige
klagen vor dem kanadischen Verfassungsgericht, doch dabei geht es nur um mehr Einfluss auf die Förderung, nicht um deren formale Rechtmäßigkeit. So bleibt die Athabasca-Ölsandproduktion in Alberta wohl auch künftig eine der schlimmsten Katastrophen für Mensch und Umwelt, ähnlich wie das
Fracking, aber in den weltweit größten Dimensionen.