VON CLEMENS POKORNY | 16.07.2013 15:51

Jura-Staatsexamen - nicht bestanden?

Die Examina in Rechtswissenschaften gelten als die schwierigsten überhaupt. Zwischen 20 und 55% der Kandidaten fallen beim ihrem ersten Versuch durch; die Zahlen schwanken je nach Bundesland und Universität. Wer beide Staatsprüfungen überdurchschnittlich gut besteht, wird von Arbeitgebern mit teilweise sechsstelligen Einstiegsgehältern hofiert. Die große Masse der durchschnittlichen Absolventen muss sich mit mäßig bezahlten Jobs begnügen. Und was können die nicht wenigen Prüflinge tun, die das erste oder zweite Staatsexamen endgültig nicht bestanden haben?


Quereinsteiger - Wer nicht mehr will, der muss nicht

Er hatte alles getan, um sein Studium erfolgreich zu beenden: Ein Jura-Student, nennen wir ihn Ralf, hatte acht Semester erfolgreich alle nötigen Veranstaltungen in seinem Fach besucht, Praktika in Anwaltskanzleien absolviert, danach knapp ein Jahr lang für's Examen gepaukt – unter anderem mit Hilfe eines privaten Repetitionskurses, für den er einen Kredit über 3.000 Euro aufnehmen musste. Im ersten Versuch dann der Schock: Der Durchschnitt aus allen seinen Prüfungen betrug 3,1 von maximal 18 Notenpunkten – durchgefallen. Vier Monate hatte Ralf Zeit, sich auf die Wiederholungsprüfung vorzubereiten, diesmal in einem Lernteam mit einem Kommilitonen, dem es ähnlich ergangen war. Mit einem Ergebnis von 3,8 bestand Ralf das juristische Staatsexamen in Deutschland endgültig nicht. Er war verzweifelt: Fünfeinhalb Jahre hatte er scheinbar sinnlos vertan, stand mit Mitte zwanzig ohne Berufsabschluss da und ohne nicht-juristischen Erfahrungen in der Arbeitswelt – sowie mit mehreren Tausend Euro Schulden.

Ralfs Schicksal ist kein Einzelfall. Im Jahr 2005 bestanden 27% der Prüflinge das 1. Staatsexamen in Rechtswissenschaften nicht. Dabei gibt es große regionale Unterschiede: Während 2006 in Sachsen-Anhalt 54,8% der Kandidaten scheiterten, waren es im gleichen Jahr in Hessen nur 19,9%. Zur Zahl derjenigen, die ihre 1. Staatsprüfung endgültig nicht bestehen, lassen sich nur schwer Zahlen finden, auch deshalb, weil viele gar nicht erst zu einem 2. Versuch antreten; in Bayern dürfte die Zahl jedoch bei etwa 15% liegen. Erfasst ist allerdings, dass etwa 30% der Jura-Studenten ihr Studium schon vor dem Examen abbrechen.

Dabei erlebt das Fach seit Jahren einen Boom: Über 20.000 Studenten schreiben sich jedes Jahr an einer der vielen Universitäten mit juristischer Fakultät in Deutschland ein, etwa die Hälfte beendet ihre Ausbildung erfolgreich. Bereits im Jahr 2007 zählte die Bundesrechtsanwaltskammer etwa 140.000 Mitglieder – doppelt so viele wie noch 1994 bei mittlerweile bekanntlich leicht rückgängiger Gesamtbevölkerungszahl.

Die fertigen Juristen zerfallen in eine Zweiklassengesellschaft: Das obere Viertel der Berufseinsteiger verdient mit durchschnittlich 3250 Euro brutto deutlich mehr als etwa junge Gymnasiallehrer, das untere Viertel muss dagegen mit 1250 Euro monatlich auskommen. Traumjobs in Großkanzleien oder internationalen Unternehmen mit z.T. sechsstelligen Jahres-Einstiegsgehältern sind 10% derjenigen vorbehalten, deren Gesamtnote mindestens „vollbefriedigend“ (10 - 12 Punkte) lautet und die nicht in den sicheren, aber weniger attraktiv bezahlten Staatsdienst gehen, für den 10 Punkte meist ebenfalls Voraussetzung sind. Zum Vergleich: Im 1. Staatsexamen erreichten 2005 bundesweit nicht einmal 16% der Kandidaten diese oder eine bessere Punktzahl.

Und auch die können sich mit ihrem 2. Staatsexamen noch verschlechtern, das am Ende des zweijährigen Referendariats steht. In einem Internetforum klagt ein fertiger Referendar darüber, das 1. Staatsexamen noch mit „Prädikat“ – also mit einer Note von mindestens „vollbefriedigend“ – bestanden zu haben, im 2. Staatsexamen hingegen gescheitert zu sein. Etwa ein Fünftel der Bewerber bestehen die 2. Staatsprüfung in Jura nicht auf Anhieb, und das, obwohl sie ihre Eignung für Rechtsberufe eigentlich bereits mit ihrem überdurchschnittlich guten Bestehen des 1. Staatsexamens unter Beweis gestellt hatten.

Für Ralf war der Traum vom juristischen Beruf bereits nach dem ersten Teil der Jura-Ausbildung beendet. Für gescheiterte Jura-Studenten wie ihn gibt es, anders als für „Halbjuristen“ – also solche, die nur das 1. Staatsexamen erfolgreich abgelegt haben –, keine direkte Verwendung. Allerdings können seine Kenntnisse in Rechtswissenschaften ihm helfen, in andere Berufe einzusteigen: Zum Beispiel im Rahmen eines FH-Studiengangs, der zum „Wirtschaftsjurist“ ausbildet, oder in Ausbildungen zum Rechtsanwaltsgehilfen oder Steuerberater.