VON MAXIMILIAN REICHLIN
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15.04.2014 15:51
Nicht immer gern gesehen: Graffiti – Kunst oder Vandalismus?
Bunte Bilder auf Hauswänden oder Bahnwaggons, große grelle Schriftzüge an Autobahnbrücken oder einfach nur kleine Krakeleien. Graffiti gehören zum Bild einer modernen Großstadt einfach dazu, sind bereits Alltag geworden. Umso befremdlicher ist es, sich daran zu erinnern, dass diese Straßenkunst im Grunde illegal ist und als Sachbeschädigung geahndet wird. Schon wollen Politik und Polizei härter gegen die „Sprayer“ vorgehen, doch es gibt auch einen Gegentrend: Konzerne bezahlen für groß angelegte Graffiti-Projekte zu Werbezwecken, Städte richten freie Räume zum Sprühen ein. Vandalismus oder Kunst?
„Taggen“ heißt es, wenn ein Sprayer sein Graffiti-Pseudonym auf einer Wand, einem Bahnwaggon oder einem Brückenpfeiler hinterlässt. Die Beweggründe dafür sind verschieden: Der Sprayer betrachtet sich als Künstler und will, dass seine Werke gesehen werden, oder er möchte ein politisches oder gesellschaftliches Statement verbreiten. Oft geht es um den Kick, den das „bombing“, also das illegale Sprühen, ihm verschafft. Es geht also darum, gezielt fremdes Eigentum mit der eigenen Malerei zu verschandeln, oder eben zu verschönern. Nicht jeder sieht das gern. Erst in der vergangenen Woche wurde beispielsweise in Duisburg wieder gegen mehrere Jugendliche ein Strafverfahren eingeleitet, weil sie in der Altstadt Häuserwände verziert hatten.
Kunst kann doch eh nichts bewirken, oder? Vom Einfluss der Kunst auf die Politik
Ist Kunst per se etwas Unpolitisches? Darf Kunst sich nicht mehr einmischen?
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Das Problem: Das Entfernen der Graffiti ist für Privatpersonen und Firmen aufwändig und teuer, die Farbe bleibt oft selbst nach dem „buffen“, also dem Reinigen, noch sichtbar und hinterlässt ein sogenanntes Geisterbild. Der Zentralverband deutscher Haus- und Grundeigentümer bezifferte die Kosten für die Entfernung illegaler Graffiti im Jahr 2005 mit über
500 Millionen Euro. Aufgrund der hohen Kosten werden die Sprayer auch politisch wieder zum „
Riesenproblem“, so der sächsische Innenminister Markus Ulbig (CDU) in einer Presseerklärung. Zusammen mit der FDP unternimmt deswegen die CDU im Landtag nun auch den Versuch, härter gegen Graffiti und deren Verursacher vorzugehen. Reines „Wahlkampfgerassel“ sagen dagegen die Redner der Oppositionsfraktionen. Mit verschärfter Strafverfolgung käme man nicht weiter, man müsse viel mehr das Gespräch mit der Szene suchen.
Auch das ist ein Trend, der in den letzten Jahren boomt. Sprayer und ihre Kunst werden heute gezielt gefördert und sogar von den Städten selbst unterstützt. Da gibt es finanziellen Zuschuss für Graffiti-Festivals, eigene Räume, sogenannte „Halls of Fame“, werden eingerichtet, um den Sprayern eine legale Möglichkeit zur Verbreitung ihrer Graffiti zu bieten. Selbst Firmen beschäftigen für Werbeaktionen beizeiten junge Sprayer für groß angelegte Werbeprojekte. Doch nur legal malen, das ist für viele Sprayer ein fremdes Konzept. „
Zum Graffiti gehört beides“ sagt beispielsweise Tomasz, ein Sprayer aus Jena. „Eine Stadt ist ein öffentlicher Raum. Wieso darf sie allein durch teuer erkaufte Werbeplakate gestaltet werden?“ Graffiti werden hier zum demokratischen Ausdrucksmittel, es geht um Partizipation und um das Gehörtwerden bzw. Gesehenwerden.
Von der öffentlichen Meinung, die sich zum Phänomen Graffiti gebildet hat, fühlen viele Sprayer sich beleidigt. Schätzungen zufolge stammt die Kerngruppe der Sprayer aus völlig unterschiedlichen Milieus und ist zwischen 25 und 40 Jahren alt. Das Bild der gelangweilten, gewaltbereiten Jugendlichen geht deswegen nicht auf. Viel mehr ist es eine verschworene Gemeinschaft, die sich hier zusammengefunden hat, eine Subkultur mit festen Regeln, die jeder Sprayer kennt. So zeugt es von Respektlosigkeit, fremde Graffiti zu „crossen“, also zu übermalen, solange sie noch nicht fertiggestellt sind, oder wenn sie schon lange Zeit vorhanden sind. Wer dabei erwischt wird, muss zahlen – mit Sprühdosen, die wie eine teure Währung funktionieren. Manche Graffiti-Künstler bezahlen für ihre Kunst sogar mit ihrer Gesundheit, im schlimmsten Fall mit ihrem Leben – die Berichte über Sprayer, die
beim Sprühen ihr Leben lassen, häufen sich jedes Jahr.