VON MAXIMILIAN REICHLIN | 24.06.2015 15:49

Das Dienstleistungsabkommen TiSA – Wie gefährlich ist der „böse Bruder von TTIP“?

Seit 2012 verhandeln insgesamt 50 Staaten unter Ausschluss der Öffentlichkeit über das Dienstleistungsabkommen TiSA. Grundsätzlich soll der Vertrag, sollte er vereinbart werden, Handelshemmnisse zwischen den beteiligten Staaten verhindern, ähnlich wie das heiß diskutierte Freihandelsabkommen TTIP. Doch TiSA birgt auch Gefahren: Unkontrollierter Datenaustausch wider geltenden Datenschutzbestimmung und die drohende Privatisierung ganzer Dienstleistungszweige wie Wasserversorung, Gesundheit oder Bildung könnten die Folge der umstrittenen Vereinbarung sein. Wie gefährlich ist TiSA wirklich?

Das in Verhandlung befindliche Abkommen TiSA (Trade in Service Agreement; dt: Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen) wird bereits jetzt von einigen Kritikern als der „böse Bruder von TTIP“ bezeichnet. Tatsächlich soll TiSA, sollte es von den verhandelnden Staaten unterzeichnet werden, das geplante Freihandelsabkommen TTIP ergänzen – wo TTIP den Austausch von materiellen Gütern zwischen den Partnern regelt, konzentriert sich TiSA auf Dienstleistungen. Dazu gehören neben juristischen oder technischen Leistungen, etwa die Internetversorgung, auch Bereiche wie Medizin, Bildung, Kommunikation und Finanzen.

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Genau hier setzen kritische Stimmen an, wenn sie vor den möglichen Gefahren des Abkommens warnen: TiSA soll Hemmnisse in den genannten und weiteren Dienstleistungsbereichen unterbinden, um die Freiheit von Konzernen innerhalb der Partnerstaaten zu vergrößern. So darf keiner der unterzeichneten Staaten in den Handel eingreifen – etwa auch nicht, wenn es darum geht, dass zum Beispiel Telefonanbieter personenbezogene Daten an andere Konzerne weitergeben, im Ausland verarbeiten oder dort speichern. Netzaktivisten betrachten diese Vereinbarung als massive Bedrohung geltender Datenschutzbestimmungen. Selbst die nicht unumstrittenen Pläne der Bundesregierung zur Vorratsdatenspeicherung sähen vor, Daten der eigenen Bürger ausschließlich in Deutschland speichern zu können. Eine solche Einschränkung wäre mit TiSA allerdings vom Tisch.

Eine weitere Sorge der TiSA-Gegner ist die mögliche Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen wie Wasser- und Energieversorgung sowie Gesundheits- und Bildungswesen. TiSA soll die teilnehmenden Staaten dazu verpflichten, sämtliche Dienstleistungssektoren international auszuschreiben, das heißt: zum Kauf anzubieten. Ein Rückkauf durch den Staat, eine sogenannte Rekommunalisierung, ist durch eine Sperrklausel, die sogenannte „Ratchet Clause“, ausgeschlossen, selbst wenn die Qualität der Leistungen unter der Privatisierung leidet. Einen Fall wie in Berlin, als das Land die Berliner Wasserbetriebe BWB im Jahr 2013 vom französischen Konzern Veolia zurückerwarb, um weitere Preissteigerungen zu vermeiden, gäbe es dann nicht mehr. Einmal privatisiert, immer privatisiert. Dies gilt für alle Dienstleistungssektoren, sofern sie nicht auf einer Negativliste als Ausnahme deklariert werden.

Die Gegner des Handelsabkommens befürchten, dass durch diese Vereinbarungen geltende Bestimmung, etwa zu Umwelt- oder eben zu Datenschutz, unterwandert, die Rechte der Konzerne allerdings verstärkt würden. Das größte Problem an TiSA sei allerdings die bislang mangelnde öffentliche Aufmerksamkeit. Die bekannten Informationen stammen von der Enthüllungsplattform WikiLeaks, die Anfang des Monats einige bis dahin geheime Dokumente veröffentlichte, die den Verhandlungsstand von TiSA betreffen, ansonsten wird die Debatte seit 2012 wie bei TTIP hinter verschlossenen Türen geführt. Erst fünf Jahre nach Abschluss der Verhandlungen sollen die Dokumente offiziell freigegeben werden. Bis dahin könnte es, so die Befürchtung, allerdings bereits zu spät sein, um TTIPs bösen Bruder noch aufhalten zu können. Um diesen Fall zu vermeiden, hat sich mittlerweile eine rege Gegenbewegung gebildet, so beispielsweise das Aktionsbündnis „STOP TTIP“ der OMNIBUS gGmbH für direkte Demokratie, „TiSA stoppen“ über Change.org oder die Petition dazu von Avaaz.org.