VON CLEMENS POKORNY | 01.04.2015 00:03

TTIP: Noch immer viele Fragezeichen

Am geplanten transatlantischen Freihandelsabkommen TTIP werde es nur noch geringfügige Änderungen geben, ließ EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström kürzlich verlauten. Das wäre verhängnisvoll: Denn an den geplanten Schiedsgerichten für den Investitionsschutz soll festgehalten werden, noch immer droht die Absenkung politischer Standards und die Gefährdung demokratischer Errungenschaften, und ein Jobmotor wird TTIP wohl auch nicht sein – weder in Europa noch in den USA.

Seit März diesen Jahres gibt es die wohl wichtigste deutschsprachige Publikation, die vor den Gefahren des geplanten Freihandelsabkommens TTIP (Transatlantic Trade and Investment Partnership) der EU mit den USA warnt: „Die Freihandelslüge“ vom Ex-Greenpeace-Chef und derzeitigen Geschäftsführer der Verbraucherschutzorganisation Foodwatch, Thilo Bode. Neben den Auswirkungen des Abkommens, die er für die europäische Landwirtschaft befürchtet, entsetzt sich Bode vor allem darüber, wie tief TTIP in die Gesetzgebung der beteiligten Staaten eingreifen will.

Ein unrühmliches Beispiel dafür sind die nicht-staatlichen (!) Schiedsgerichte, vor denen Konzerne künftig Staaten verklagen könnten, deren Umwelt- oder Sozialpolitik – um nur zwei Beispiele zu nennen – ihren Profit schmälert. Wohin das führt, zeigt ein Fall in Kanada. Dieses Land hat mit seinen nordamerikanischen Nachbarn USA und Mexiko das TTIP-ähnliche Freihandelsabkommen NAFTA abgeschlossen. Später setzten die Wahlberechtigten in Quebec in einer Volksabstimmung durch, dass die umweltgefährdende Gasförderungsmethode Fracking in ihrer Provinz nicht praktiziert werden darf. Doch dagegen zog ein Unternehmen vors Schiedsgericht, das in Quebec bereits in Fracking investiert hatte. 250 Millionen US-Dollar fordert die Firma nun, weil durch den demokratischen Beschluss der Wählerinnen und Wähler ihr Profit geschmälert wird!

Die amerikanisch-amerikanische Grenze

NAFTA kann auch als Beleg dafür dienen, dass Freihandelsabkommen nicht den Menschen, sondern den großen Konzernen und den Banken nutzen. Durch NAFTA gingen in den USA 700.000 Arbeitsplätze verloren, auch in Mexiko nahm die Armut zu. Kein Wunder: Denn wo nicht überall gleiche Standards z.B. auch bei den Löhnen festgeschrieben werden, drohen sich immer die niedrigsten durchzusetzen. Und manche Ökonomen sagen auch Westeuropa einen massiven Jobverlust voraus, sollte TTIP tatsächlich umgesetzt werden.

Zwar müssen sich die EU und die USA nicht in jeder Branche auf gemeinsame Standards einigen, doch wo keine Übereinkunft erzielt wird, bleiben die jeweiligen Märkte inkompatibel und es findet kaum Handel statt. Und wo gemeinsame Vorschriften erarbeitet werden, schließt man automatisch die nicht an TTIP beteiligten Staaten aus, etwa Entwicklungsländer, die es dann auf dem US-amerikanischen oder dem EU-Markt noch schwerer hätten. Deshalb erwarten Experten entsprechende negative Folgen von TTIP für Mexiko, Niger und Algerien. Und ob sich in der „Wirtschafts-NATO“, wie die geplante transatlantische Freihandelszone auch genannt wird, tatsächlich die jeweils strengsten, d.h. für die Menschen besten Regeln durchsetzen, ist alles andere als sicher.

Vereinfacht lässt sich sagen, dass Europa deutlich höhere Standards in Landwirtschaft, Datenschutz und bei den Arbeitnehmerrechten setzt, während die USA die Banken stärker regulieren. Wirtschaftsvertreter beider Seiten haben bereits angekündigt, dass sie nicht bereit seien, strengere Regeln zu befolgen. Und die Konzerne haben Macht: Die Personen, die im Zuge der geheimen und somit jenseits von demokratischer Kontrolle erfolgenden Verhandlungen über TTIP zur Beratung der Politik herangezogen werden, kommen fast ausschließlich aus der Wirtschaft – für wessen Belange sie sich einsetzen, lässt sich also leicht erraten. So steht zu befürchten, dass auf die eine oder andere Weise die bislang geltenden Gesetze und Vorschriften doch entgegen den Interessen der Bürgerinnen und Bürger abgeschwächt werden.

Das gilt auch für die Regulierung von Dienstleistungen. Seit 2012 wird nämlich auch über deren Vereinheitlichung innerhalb der USA, der EU und 21 weiteren Staaten im Rahmen des geplanten Abkommens „TISA“ verhandelt, natürlich ebenfalls geheim, aber unter genauso massivem Einfluss der Konzernlobbyisten. Diese versuchen unter anderem durchzusetzen, dass einmal beschlossene Privatisierungen von Staatseigentum nicht mehr rückgängig gemacht werden können. Das wäre verheerend, wenn man bedenkt, wie viele deutsche Städte in den letzten Jahren ihre öffentliche Daseinsvorsorge – z.B. die Strom- und Wasserversorgung – rekommunalisiert haben, weil sie deren Privatisierung als Irrweg erkannt hatten.

Die Zivilgesellschaft beobachtet daher die weiteren Entwicklungen bei TTIP und TISA wachsam. Das ist auch dringend nötig, erklärte EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström doch kürzlich, die Zeit für substanzielle Änderungen an TTIP sei bereits vorbei. Immerhin so viel ist über den Stand der geheimen Verhandlungen bekannt, was Spitzenpolitiker im Übrigen gar nicht skandalös finden – SPD-Vorsitzender Gabriel spottete im vergangenen Jahr über 470.000 Unterschriften, die ihm die Initiative Campact überreichen wollte, weil sich diese gegen etwas wendeten, das es noch gar nicht gebe (!). Und Malmströms Vorgänger Karel de Gucht verhöhnte eine ähnliche Unterschriftenkampagne mit den Worten, er vertrete 500 Millionen Menschen (also nicht nur ein paar Hunderttausend, die gegen TTIP unterschrieben hatten). Die Arroganz der Politik bekam allerdings Anfang dieses Jahres gleich zwei Dämpfer: Bei einer öffentlichen Konsultation der EU-Kommission im Januar wandten sich satte 97% der Angehörten gegen die Schiedsgerichte im Rahmen des Investitionsschutzes – EU und USA halten aber weiterhin daran fest. Und die neue griechische Regierung hat bereits erklärt, TTIP nicht ratifizieren zu werden. Noch gibt es also Hoffnung darauf, dass TTIP gestoppt oder zumindest stark abgeändert wird.