VON CLEMENS POKORNY
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14.05.2012 12:22
Die Macht der Werbung
Werbung begleitet uns das ganze Leben lang, manchmal beginnt es schon im Kindergarten. Niemand ist gegen Beeinflussung durch sie gefeit, denn modernes Marketing trickst unser Unterbewusstsein aus. Jenseits individueller Konsumentscheidungen erstreckt sich die Macht der Werbung bis in die politische Meinungsbildung – eine Untergrabung der Demokratie?
Die Idee ist genial: Der Werbespezialist Dr. Bart Kepple fügt in einen Film ein einziges Bild einer appetitlich angerichteten Cola ein, das (bei 24 Bildern pro Sekunde) nur unterbewusst wahrgenommen werden kann. Seinen Geschäftspartner Victor Norris, der von dubiosen Machenschaften Kepples weiß, verwöhnt er vor der Filmvorführung mit salzigem Kaviar. Während der Präsentation des Streifens in einem unklimatisierten Saal reagiert Norris auf die unterschwellige Beeinflussung und verlässt alleine den Raum, um etwas zu trinken. Draußen passt Kepple ihn ab und erschießt den lästigen Mitwisser – während die anderen Zuschauer davon überzeugt sind, der Werbeguru befinde sich noch im Saal.
Das perfekte Verbrechen gibt es bekanntlich nicht und so wird auch dieser Fall („Ein gründlich motivierter Mord“, 1973) von Lieutenant Columbo aufgeklärt. Während dieser Mord also rein fiktiv ist, besteht die Möglichkeit unterschwelliger Werbung tatsächlich, wenngleich ihre Wirksamkeit in der Praxis noch umstritten ist. Werbung arbeitet zwar in der medialen Realität nicht auf diese Weise, doch sie bezieht ihre Macht sehr wohl aus Wirkungen, die Laien sich kaum ausmalen können. Und das Schlimmste daran: Mit Werbung werden wir von klein auf bombardiert – es beginnt bereits im Kindergarten.
Medienethik
Video-Interview mit Prof. Wallacher, dem Präsidenten der Münchner Hochschule für Philosophie
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Anders als in Schulen gilt in Kindertagesstätten kein Werbeverbot. Diese gesetzliche Lücke
nützen Marketingprofis mittlerweile gnadenlos aus: Sie beliefern die Einrichtungen mit pädagogisch nützlichen Materialien wie zum Beispiel Malblocks und platzieren darin Markenlogos oder Maskottchen der sponsernden Firma.
SuperRTL stellt Kitas Broschüren zur Verkehrserziehung zur Verfügung, in denen drei Lokomotiven den kleinen Leser begleiten – genau diejenigen drei Lokomotiven, die in der Vormittag-Serie „Chuggington“ des Senders zu sehen sind. So werden die Kinder früh an die werbenden Marken gewöhnt. Wie der Wirtschaftspsychologe Georg Felser von der
Hochschule Harz weiß, sind derartige frühe Bindungen an eine Marke besonders dauerhaft. In einer Zeit, in der Familien von den Werbern immer schwerer erreicht werden, nutzen Unternehmen diesen Effekt, um potentielle Kunden schon in jungen Jahren zu beeinflussen. Ob die Kinder einen echten Nutzen aus den gesponserten Materialien ziehen können, ist dabei zweitrangig.
Später werden wir über immer mehr Kanäle mit Werbung konfrontiert. Die meisten Qualitätsblätter, aber auch viele Internetseiten
finanzieren sich primär durch Werbung. Manche Zeitung scheint gar nur zu dem Zweck herausgegeben zu werden, Produkte und Marken an den Leser zu bringen. Dabei empfinden viele die Aufdringlichkeit des Marketings, aber auch die optische Beeinträchtigung als störend: öffentlicher wie auch der sachlichen Information dienender Raum wird mit Inhalten überfrachtet, die der Rezipient gar nicht nachfragt. Und auch wer glaubt, gegen Werbung „immun“ zu sein, entgeht ihrer Macht nicht: tief im Unterbewusstsein setzen sich Marken, verbunden mit Bildern und Emotionen, fest und beeinflussen unser Handeln – ob wir wollen oder nicht. Bei einem wissenschaftlichen Blindtest wurde Pepsi von Probanden gegenüber Coca-Cola als schmackhafter bewertet – als man einer Vergleichsgruppe vor dem Test mitteilte, welches Getränk von welchem Konzern stammte, schnitt Coca-Cola deutlich besser ab. Die durchführenden Hirnforscher ermittelten, dass bei dem zweiten Versuch eine positive Erinnerung an die bekanntere Marke für ihr besseres Abschneiden bei den Probanden ausschlaggebend war.
Eine Marketingagentur, die für Coca-Cola arbeitet,
schreibt den Medien, in denen sie Werbung schalten will, vor, wo genau die Anzeigen stehen dürfen – und wo nicht. Hebt sich ein Medium vom Mainstream ab, legt es auf Themen- und Meinungsvielfalt wert, dann droht der Verlust zahlungskräftiger Anzeigekunden. So bestimmen Firmen, die jenseits der demokratischen Kontrolle stehen, über die politische Meinungsbildung wesentlich mit. Werbung beeinflusst also nicht nur unser Konsumverhalten, sondern greift indirekt auch in öffentlich-gesellschaftliche Prozesse ein.
Und ihrer Macht kann man sich heute kaum mehr erwehren.