VON CLEMENS POKORNY
|
01.09.2014 11:49
Agnostizismus: Wider die Transzendenz
Agnostiker glauben weder an Gott noch leugnen sie seine Existenz. Stattdessen enthalten sie sich jedes Urteils in dieser Frage, können aber durchaus an ein höheres Wesen glauben oder dessen Existenz für unwahrscheinlich halten. Sie bezweifeln nämlich die Möglichkeit der Transzendenz, also der geistigen oder gar sinnlichen Erfassung einer spirituellen Sphäre.
Gibt es einen Gott, und wenn ja, was will er? Der Streit um diese Frage hat schon Millionen von Menschen das Leben gekostet, vor allem in den Religionskriegen. Bis heute trägt die katholische Kirche mit ihrer Verdammung von Kondomen zur Verbreitung von AIDS in Afrika bei. Der radikale Gegensatz zur Religion ist der Atheismus, also das Leugnen der Existenz eines höheren Wesens. Agnostiker dagegen bleiben unentschieden: Ob es einen Gott gibt, können sie nach ihrem Selbstverständnis gar nicht wissen.
Der Agnostizismus streitet also nicht Gott ab, sondern bezweifelt die Transzendenz. Das heißt: Wir können wohl nicht in eine Welt hinüber-schreiten (lat. trans-cendere), die wir weder sinnlich noch mit unserem Verstand zu fassen in der Lage sind. Ganz offensichtlich wäre dies aber, so eine weitere Annahme, nötig, um Gott zu erkennen – falls es ihn denn gibt. Denn alle bisherigen Argumente für offensichtliches Wirken Gottes, z.B. Wunder, lassen sich naturwissenschaftlich oder als Täuschungen erklären.
Appell für mehr Freigeist
Haben wir Angst vor dem Ungewissen, oder brauchen wir nur einen Anker im Leben?
[...]»
Schon in der Antike hat der Philosoph Protagoras sich skeptisch über vermeintliches Wissen über die Götter geäußert: „Über die Götter allerdings habe ich keine Möglichkeit zu wissen, weder, dass sie sind, noch, dass sie nicht sind, noch, wie sie etwa an Gestalt sind; denn vieles gibt es, was das Wissen hindert: die Nichtwahrnehmbarkeit und dass das Leben des Menschen kurz ist.“ Sein Landsmann Platon antwortete wenig später auf dieses Problem mit seinem berühmten Höhlengleichnis: Nur wer nach langem, mühsamem Weg wie aus einer tiefen Höhle zum Alles überstrahlenden Licht der Sonne gelange, die bei ihm das Gute schlechthin und damit Gott bedeutet, kann die Welt, wie sie wirklich ist, erkennen. Alles existiert nämlich erst durch das Licht der Sonne, wie alles nur in Bezug zu Gott gedeiht und verstanden werden kann. Gott zu erkennen ist somit wie in die Sonne zu schauen – also nur kurz und mit großer Anstrengung möglich.
Ein Patentrezept für Gotteserkenntnis liefert aber auch Platon nicht, sein Weg zur Erkenntnis des Guten/Gottes bleibt Theorie. Agnostiker dagegen eint die Skepsis bezüglich irgendeiner Form von Transzendenz. Doch die Frage nach einem höheren Wesen
lässt sich noch weiter durchspielen: Wollen wir wenigstens daran glauben, dass es Gott gibt, auch wenn wir es nicht wissen können? Agnostiker, die das bejahen, nennen sich Agnostische Theisten (Theismus: Glaube an Gott aus Vernunftgründen). Ihre Pendants sind die Agnostischen Atheisten, die Gottes Existenz für unwahrscheinlich halten. Besonders unkonventionell denken Apatheisten über transzendente Fragen: Sie interessieren sich nicht für Götter, weil sie ihnen keinen Einfluss auf ihr Leben zuschreiben, sondern sich z.B. ausschließlich an die exakten Wissenschaften halten. Die philosophischsten Denker unter den Agnostikern, die Ignostiker, enthalten sich deshalb jedes Urteils, weil sie darauf hinweisen, dass wir gar nicht verstehen können, was der Begriff „Gott“ überhaupt meint. Über „Gott“, so ihre Argumentation, kann man erst sinnvoll reden, wenn man schon verstanden hat, was man damit meint; ein abstraktes Prinzip aber, das sich unserem Verständnis entzieht, lässt sich nicht begreifen.
So einleuchtend der Agnostizismus theoretisch auch ist, so deutlich
wird er als praktische Option kritisiert, von Seiten der Gläubigen wie der Atheisten. Sowohl Joseph Ratzinger als auch der Evolutionsbiologie Richard Dawkins bringen gegen Agnostiker vor, dass man sich im Leben entweder für (Ratzinger) oder gegen Gott (Dawkins) entscheiden müsse. Ratzinger argumentiert klassisch-theistisch, während Dawkins die Existenz Gottes als sehr unwahrscheinlich ansieht und deshalb zu deren Verzicht aufruft. Der Autor dieser Zeilen lebt allerdings schon seit längerem problemlos nach der Devise eines kleinen frechen Schweinchens, das
bei UNI.DE schon vorgestellt wurde: „Wer Gott nicht kennt, der braucht ihn nicht!“