Mein Name ist Daniel Stoecker. Ich bin im Juli 22 Jahre alt geworden und wohne seit April wieder in Deutschland. Fast zwei Jahre durfte ich Chile mein zu Hause nennen. Eine lange Zeit, eine prägende Zeit.
Ich habe 2008 mein Abitur gemacht. Schon vor meinen Prüfungen hatte ich mich bei verschiedenen Organisationen für den so genannten ADiA, den Anderen Dienst im Ausland als Zivildienstersatz, beworben und war bei dem Verein Contigo e.V. genommen worden. Es sollte in die Hauptstadt Chiles, nach Lateinamerika gehen. Es war immer mein Traum gewesen, diesen fernen Kontinent kennenzulernen. Doch ich wusste wenig und ich konnte nur schwer die Nervosität unterdrücken, die mich kurz vor der Landung im Flugzeug überfiel. Ich erinnere mich noch genau an das erste Mal, dass ich die eisige Luft des chilenischen Winters atmete und im Auto eines inzwischen guten Freundes die Autobahn entlang fuhr, die hohe, schneebedeckte Andenkette immer im Blick.
Ich würde euch gerne von meiner Zeit in Chile erzählen. Von dem Zivildienst und von den neun Monaten, die ich privat an meine Zivildienstzeit anhängte, da ich mich nicht mehr von dem Land trennen wollte. Doch ich weiß, dass ich auch auf zwanzig Seiten nicht gerecht werden würde. Daher möchte ich euch einen kurzen, aber präzisen Einblick in meine Welt gewähren, wie ich sie am Ende meiner Zeit empfand. Den folgenden Text schrieb ich einen Monat vor meiner Abreise aus Santiago und er eröffnet eine kurze Sammlung von Texten, die ich über das Land schreibe, das mich auch nach meiner Rückkehr nach Deutschland nicht mehr los lässt.
„Ein Land mit Namen Chile:
Eineinhalb Jahre lebe ich nun schon in Lateinamerika, in Chiles Hauptstadt Santiago de Chile. Ich arbeite hier, habe Freunde, habe quasi Familie hier in Chile. Das Land mit der Form einer Chili ist nur eins der vielen Länder dieses so großen Kontinents. Ich habe alle Nachbarländer bereist, war in Peru, Bolivien und Argentinien. Ich habe Chiles Süden, die Mitte und den Norden erleben dürfen und bin mit den verschiedensten Eindrücken aus Bergen, Wäldern und Wüsten zurückgekehrt.
Ich lernte auf meinen Reisen Menschen aus der ganzen Welt kennen. Hier die Wege einiger gekreuzt, dort die anderer begleitet. Menschen, die auftauchen, etwas tief in dir verankern und wieder aus deinem Leben verschwinden. Namen, Gesichter, die kommen und gehen. Freundschaften und Lieben, die kommen und für immer bleiben.
Ich habe gesehen, was man als Deutscher als Latino bezeichnen würde; Singende, tanzende, lachende Menschen, froh, leidenschaftlich, das Leben genießend. Doch ich habe auch das erlebt, was man als Deutscher als Dritte Welt bezeichnen würde; Ich habe ein Volk erlebt, das es schwer hat, das hart arbeitet, Tag um Tag, um jeden dieser zu überstehen. Ein resistentes Volk, erhobene Köpfe, schmutzige Hände und wehende Fahnen zwischen Armut und Ungerechtigkeit mit Patriotismus und Entschlossenheit.
Weit zurückreichende Kulturen, Geschichten, Schicksale, so viel Leid, aber auch so viel Stärke, so viel Kraft und Mut in Arm, Kopf und Herz. Ich habe in so viele Augen gesehen und so viele Blicke zurückbekommen. Blicke, die Geschichten erzählen, die Verzweiflung oder Hoffnung beschreiben. Menschen, die sich mir anvertrauen, die Hand schütteln, umarmen, einen Kuss geben. Das Wertvollste aus eineinhalb Jahren Chile sind genau diese Erfahrungen. Begegnungen, die prägen, Menschen und Augenblicke, Momente für die Ewigkeit, für immer in meinem Herzen.
Santiago de Chile, 14. März 2010“