VON SINEM S. | 21.12.2012 17:01

Widerstand in Tibet

Aus Protest gegen die chinesische Herrschaft haben sich erst kürzlich wieder vier junge Tibeter selbst angezündet - mindestens drei davon starben. Was bewegt die selbstgewählten „Märtyrer“, wenn sie ihr Leben dem Widerstand opfern? Kann man von Heldentum sprechen, oder läuft die Revolution in Tibet Gefahr, in religiösem Fanatismus zu enden? In den vergangenen zwei Jahren haben sich 80 Menschen auf diese Weise selbst getötet und es droht, eine neue Form des Befreiungskampfes zu werden.

Im September 1950 marschierten die Chinesen in Tibet ein – die chinesische Volksbefreiungsarmee hatte ein monatelanges, intensives Training hinter sich, man war gerüstet, um im kalten Hochgebirge der tibetischen Armee die Stirn zu bieten. Und sie waren erfolgreich: Am 19. Oktober 1950 unterschrieb Ngabö Ngawang Jigme, der örtliche Provinzgouverneur die Kapitulation seiner Truppen. Seit 1913, dem Zusammenbruch des chinesischen Kaiserreichs, hatte sich Tibet die Unabhängigkeit bewahrt, 1914 wurden seine Grenzen auf einer Konferenz im indischen Simla von chinesischen, tibetischen und britischen Diplomaten festgelegt, nur China hatte diesen Plan nie ratifiziert. Kein einziger Staat erkannte Tibet an, Großbritannien unterhielt als einziges Land eine Vertretung in Lhasa. Seit 300 Jahren herrschte in Tibet die buddhistische Vereinigung der „Gelbmützen“, ihr geistiges und weltliches Oberhaupt war der Dalai Lama. In keinem anderen Land spielte das Klosterwesen solch eine große Rolle wie in Tibet, in den 1950er Jahren waren es bereits ungefähr 2700 Klöster. Die Mönche wurden schon als Kinder ausgebildet, von ihren Eltern wurden sie, in der Hoffnung dadurch ein gutes Auskommen zu haben und in der sozialen Hierarchie weiter aufzusteigen, ins Kloster geschickt. Rissen die Söhne aus, wurden sie verprügelt und wieder gezwungen, die Ausbildung fortzusetzen, schließlich lag in dieser Möglichkeit die Hoffnung einer ganzen Familie. 1933 starb der 13. Dalai Lama, seine Reinkarnation wurde zwei Jahre später dank einer „Vision“ des damaligen Regenten gefunden. Der 14. Dalai Lama, der auch heute noch als das geistige Oberhaupt Tibets gilt, wurde im Alter von vier Jahren im Potala inthronisiert.

Verfolgung und Unterdrückung

Töten mit Gottes Erlaubnis

Die Anwesenheit der Volksbefreiungsarmee und der starke Zuzug von Chinesen führte in Tibet zu immer größeren Spannungen in der Bevölkerung. 1956 kam es schließlich zu einem bewaffneten Aufstand in Chamdo, 1959 hieß es, Tibet befinde sich offiziell in der Rebellion gegen China. Am 10.März 1959 musste der Dalai Lama nach einem offenen Aufruhr ins Exil nach Nordindien fliehen, mit ihm gingen 100.000 Anhänger mit. Der Aufstand wurde gewaltsam von der chinesischen Armee niedergeschlagen, es starben mehr als 80.000 Tibeter und ein Großteil der Klöster wurde zerstört. Seitdem kämpft Tibet um seine Freiheit, und China verharrt in seiner Position des Stärkeren. Was hat China auch zu verlieren? Schließlich gehört Tibet bereits der aufsteigenden Weltmacht. Ihrer Ansicht nach wurde Tibet durch den chinesischen Kommunismus befreit. In ihren Augen sei Tibet ein rückständiger, ungerechter Ort gewesen. Seit dem Einmarsch der Volksbefreiungsarmee ginge es den Tibeter besser, ihre Lebenserwartung sei gestiegen, die Kinder könnten zur Schule gehen und die Klassengesellschaft wäre aufgehoben worden. Doch so einfach ist die Sache nicht.

2008 explodierte der Aufstand

Am 10.März 2008, dem 49. Jahrestages des Tibetaufstandes von 1959 und der damit verbundenen Flucht des Dalai Lama, begannen die Proteste. Am Anfang waren es gewaltfreie Demonstrationen der Mönche, die noch von den chinesischen Sicherheitskräften geduldet wurden. Am 14. März jedoch schlugen die Proteste in Gewalt um, die sich gegen die Han-Chinesen und auch die muslimische Bevölkerung richteten. Insgesamt gab es circa 80 Tote, der Dalai Lama forderte beide Seiten zum Gewaltverzicht auf, und drohte andernfalls mit seinem Rücktritt. Die Verzweiflung der Tibeter ist groß - besonders in den Klöstern. Die Religionsfreiheit wird durch Umerziehungsmaßnahmen in den tibetischen Klöstern eingeschränkt, und die jungen Mönche sehen keinen anderen Ausweg mehr, als sich demonstrativ selbst zu verbrennen. Die Mönche und Nonnen werden sogar im Zuge der „Umerziehungsmaßnahmen“ zu Demonstrationen gegen ihr eigenes Oberhaupt - den Dalai Lama gezwungen. Besonders tragisch ist es, dass die chinesische Polizei sehr gewalttätig gegen Demonstrierende vorgeht. Auf die Verbrennungen reagieren die Sicherheitsbehörden mit Verhaftungen und noch mehr Restriktionen, ein endloser Teufelskreis. Das Schicksal von vielen Tibetern, die einfach spurlos von der Bildfläche verschwanden, hinterlässt ein Gefühl der Ohnmacht in der tibetischen Bevölkerung. Von Folter und Mord in den chinesischen Gefängnissen ist die Rede, das Märtyrertum, vor allem unter den jungen Tibetern, die um ihre Freiheit kämpfen, ist eine Konsequenz, wie sie in der Geschichte schon öfter vorkam.