VON CHARLOTTE MEYER | 26.10.2015 14:26

Die World Indigenous Games – rein spiritueller Natur?

Ein Fest der Indigenen Völker der Welt – das sind die ersten World Indigenous Games in Brasilien. Nach jahrelanger Arbeit finden sie in der Mitte Brasiliens statt und gelten als Errungenschaft für die indigene Bevölkerung des Landes. Sie sind ein nicht-kommerzielles und Sponsoren-armes Fest der Kulturen. Welchen Nutzen Brasilien trotzdem daraus zieht und warum zwei Stämme gegen die Spiele protestieren, hat UNI.DE hier nachrecherchiert.




Fußball und Baumstammstaffellauf

Aus 22 Nationen reisen indigene Völker an einen Ort auf der Südhalbkugel. Die Rede ist von den ersten World Indigenous Games 2015 in Palmas in der Mitte von Brasilien. Die Stadt ist die Hauptstadt des Staates Tocantins und beherbergt rund 10.000 Angehörige indigener Völker. Sie leben in 82 Dörfern in Tocantins und haben ihre eigenen Kulturen und Traditionen. Es handelt sich hierbei um die globale Version der brasilianischen Nationalen Indigenen Spiele. Diese finden seit 1996 statt und vereinten beispielsweise 2013 circa 1.500 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus 48 brasilianischen Ethnien. In diesem Jahr wird es nun global: Vom 23. Oktober bis zum 1. November versammeln sich indigene Völker aus Tocantins und von der ganzen Erde, um sich in internationalen und traditionellen, indigenen Sportarten zu messen. Doch das Hauptaugenmerk liegt gar nicht nur auf Wettbewerb, sondern vor allem auf Repräsentation. Im Kanufahren und Bogenschießen gibt es Wettkämpfe, in Xikunahity und Baumstammwettlauf zum Beispiel gilt nur die Teilnahme. Xikunahity ist eine Art Fußball, bei der die Mannschaft krabbelnd den Ball nur mit dem Kopf stoßen darf und beim Baumstammstaffellauf gilt es als Sieg, die Ziellinie überhaupt zu erreichen. Neben Teams aus Brasilien kommen außerdem Sportler und Sportlerinnen zum Teil aus Russland, der Mongolei, den USA, Neuseeland oder dem Kongo nach Brasilien.

Maßvolle und günstige Alternative zu Sportgroßveranstaltungen

Nachdem Brasilien letztes Jahr die FIFA-Weltmeisterschaft ausgerichtet hat, sind die World Indigenous Games nun die nächste Herausforderung – so zumindest laut offizieller Internetseite der Spiele. Im Gegensatz zur WM und den Olympischen Spielen nächstes Jahr in Rio de Janeiro allerdings sollen die Indigenen Spiele anderen Charakter haben: Sie sollen nicht durch Werbung und Fernsehübertragung aufgeblasen werden, sondern eher eine maßvolle und günstige Alternative zur sonstigen Sportkultur sein. Jeder und jede bekommt eine Medaille unabhängig vom erreichten Platz und auch Sponsorenverträge wird es nicht geben. Ein Rahmenprogramm wird angeboten mit Vorlesungen, Ausstellungen, Foren und Aktivitäten für indigene Frauen. Im Vordergrund stehen die spirituellen Feierlichkeiten, die viele Völker mit ihren Sportarten verbinden. Jede Nation kann maximal 50 Athletinnen und Athleten entsenden ab einem Alter von 16 Jahren. Es werden insgesamt 2.200 Teilnehmende in Tocantins dabei sein. Bei so vielen unterschiedlichen Kulturen, Sprachen und Bräuchen kann man sich jedoch nur schwer vorstellen, dass tatsächlich Wettkämpfe zustande kommen - benutzen doch die Völker unterschiedliche Arten von Bögen, Speeren, Kanus und dergleichen. Der Leiter der Delegation aus den USA, Dr. David Yarlott, ein Angehöriger der Crow Nation und Präsident des Little Big Horn College in Montana, meint dazu, dass viele indigene Völker ihre Werkzeuge und Waffen als heilige Objekte ansehen und abgeneigt sind, diese mit anderen zu teilen. Als Lösung wird Teilnehmenden so etwa angeboten, zwischen drei unterschiedlichen Speeren zu wählen, die ihnen bei Ankunft in Brasilien ausgehändigt werden.

Völker, die ums Überleben kämpfen

Feier der Diversität indigener Völker

Für den Organisator der Spiele und Leiter der Nichtregierungsorganisation Inter-Tribal Committee (ITC), Marcos Terena, sind die Spiele ein großer Erfolg. Terena setzt sich seit vielen Jahren für die indigene Bevölkerung Brasiliens ein und hat mit dem ITC zunächst die nationalen Indianerspiele und nun die Welt-Indianerspiele ins Leben gerufen. Die Spiele sind ein Traum, der sich nach jahrzehntelanger Arbeit für Terena realisiert hat. Unterstützt werden sie nicht nur vom ITC, sondern auch vom brasilianischen Sportministerium und vom UN-Entwicklungsprogramm. Bei der 14. Sitzung des permanenten Forums zu indigenen Angelegenheiten der UN sprach der brasilianische Sportminister George Hilton vor über 100 indigenen Männern und Frauen, UN-Offiziellen, Journalisten und Regierungsvertretern über die Spiele. Feierlich verkündete er so im UN-Hauptquartier in New York, dass die Spiele den Lebensstil, die Harmonie mit der Natur und die Diversität indigener Völker feiern sollen. Die Intention der Spiele ist also von nicht-kommerzieller Natur und stellt die indigenen Völker der Welt in den Mittelpunkt. Möchte man meinen. Denn tatsächlich sehen nicht alle Indigenen Brasiliens die Spiele in einem so positiven Licht.

Kraho und Apinaje: Streichung aus offiziellen Materialien

Vor allem von den Kraho- und den Apinaje-Stämmen kommt Kritik. Sie verweigern eine Teilnahme an den Spielen mit dem Verweis auf Landnahme und Gewalt gegen Indigene von Seiten der brasilianischen Regierung. Sie wollen und können nicht an einem Sensationsevent teilnehmen, das das Bild von indigenen Völkern benutzt, um Tatsachen zu verzerren und die Wahrheit über das Leiden von Indianern in Brasilien zu verstecken. Sie kritisieren außerdem die institutionalisierte Gewalt gegen Indianer durch den brasilianischen Staat, die sich in Kriminalisierung von Stammesführern, Verhaftungen und gar Morden äußert. Zuletzt hatten 2012 die Guarani-Kaiowá mit Massenselbstmord gedroht, nachdem sie einen Räumungsbefehl für Land erhalten hatten, das ihnen als heilig galt. Die Kraho forderten so von den Organisatoren, dass diese alle die mit ihnen verknüpften Bilder und ihren Namen aus offiziellen Materialien herausnehmen sollen.

Auch protestierten kurz vor Eröffnung der Spiele einige wenige gegen die hohen Kosten, die sie eher in die Verbesserung der Lebensbedingungen von Indigenen in Brasilien investiert gesehen hätten. Das Anliegen der Kraho und Apinaje wurde in einer jährlich stattfindenden Versammlung von 70 Stammesführern diskutiert, in der es auch um die hohen Kosten der Spiele ging. Die 160 Millionen brasilianische Real (rund 37 Millionen Euro) für die Spiele sahen viele nicht gerechtfertigt angesichts der ökonomischen Krise Brasiliens und der politischen Instabilität von indigenen Völkern. Mittlerweile machen diese nur noch 0,5 Prozent der 200 Millionen Einwohner Brasiliens aus.

Spiele Segen für den brasilianischen Tourismus

Für den brasilianischen Staat sind die Spiele indes nicht nur ein Fest der indigenen Völker, sondern auch ein Mittel, um Touristen anzulocken. Im Februar dieses Jahres kamen der Präsident des brasilianischen Tourismusrats, Vicente Neto, und der Bürgermeister von Palmas, Carlos Amastha, zusammen, um die Werbung für die Spiele zu diskutieren. Die Idee dabei war, durch die Aufmerksamkeit der Spiele auch auf die kulturelle Vielfalt Brasiliens hinzuweisen und den Tourismus in Brasilien auf dem internationalen Markt zu fördern. Durch die Demonstration indigener Sportarten bei den Spielen soll auf den kulturellen Reichtum von indigenen Völkern hingewiesen und Tourismusarten wie Öko- und Abenteuertourismus besser etabliert werden. Die Kooperation zwischen dem Tourismusrat und den Spielen begann 2014 mit der Präsentation des Events auf dem World Travel Market in London und der EIBTM (Exhibition for the Incentive Business Travel and Meetings) in Barcelona. Auch auf der Internationalen Tourismusbörse im März in Berlin waren die Spiele vertreten. Hier war vor allem das Ziel, mit Reiseveranstaltern und Reiseagenturen zusammenzuarbeiten und Presse- und Meinungsmacher anzulocken. Wie man sieht, geht es also nicht nur um die spirituellen Feierlichkeiten.