VON JULIA ZETZ | 18.05.2012 10:40

Klassifizierung als soziales Brandmal

Irgendwie führen wir alle ein zweigeteiltes Leben. „Wollen Sie erste oder zweite Klasse fliegen?“, „Sind Sie privat oder gesetzlich versichert?“. Mit solchen Fragen müssen wir uns im täglichen Leben stets auseinander setzen. Eigentlich gar nicht so schlimm. Eigentlich. Aber was ist, wenn wir Menschen in zwei Klassen einteilen? Arm gegen reich, jung gegen alt, gebildet gegen ungebildet? Wo ist die Grenze zur Diskriminierung?

Mara ist 16 Jahre alt. Ihre Eltern kommen aus Polen. Seit sie fünf Jahre ist, lebt sie in Deutschland. In der Schule ist sie gut, sie ist sogar auf dem Gymnasium. Ihre Eltern arbeiten beide. Sie führen ein kleines Obst- und Gemüsegeschäft. Stammkunden haben sie viele. Darunter auch viele Deutsche. Maras Freundeskreis ist groß. Jeden Donnerstag geht sie mit ihren Freundinnen zum Tanzen. Ihr Bruder ist bei der freiwilligen Feuerwehr. Eigentlich eine ganz normale Familie. Eigentlich.

„Ne, also immer diese Ausländer!“

Es ist Donnerstag, Mara ist auf dem Weg von der Tanzschule nach Hause. Ausgepowert fühlt sie sich, aber glücklich. Tanzen macht Mara immer fröhlich. Die S-Bahn ist schon recht voll, aber Mara konnte noch einen Sitzplatz ergattern. Müde wie sie ist schließt sie die Augen und schlummert ein bisschen, schließlich muss sie eine ganze Weile S-Bahn fahren. Viele Stationen vergehen, Mara nickt ein. Wach wird sie erst, als ihr Handy läutet. Ihre Mama ruft an, sie macht sich Sorgen, weil Mara noch nicht zu Hause ist. Und weil ihre Mama immer polnisch redet, wenn sie aufgeregt ist, spricht sie auch polnisch. Eigentlich mag sie das nicht, aber ihrer Mama zu liebe macht sie es gern.

Ein bisschen plagt sie jetzt das schlechte Gewissen, immerhin wollte sie schon vor einer Stunde zu Hause sein. „Immer diese Ausländer! Erst kommen die, dann nehmen sie uns die Arbeitsplätze weg und dann stehen sie noch nicht mal auf in der S-Bahn!“. Mara hört erst gar nicht so recht hin. „Ja, ganz genau Du!“. Mara wird aufmerksam. Ein älterer Mann zeigt mit dem Finger auf sie. Mara weiß gar nicht wie ihr geschieht. Sie hat doch telefoniert!

Wie viele Klassen gibt es denn?

Identitäten

Maras Geschichte ist eine von vielen. Sie passieren täglich. Aber wann fängt eine Zwei-Klassen-Gesellschaft an? Wenn wir zum Arzt gehen und länger warten müssen als der Privatpatient? Oder wenn wir nicht so viel Geld haben und uns im Flieger nicht die First-Class leisten können? Degradiert Geld Menschen in Klassen?

Oder ist es nicht einfach nur so, dass der Geschäftsmann in der ersten Klasse einfach etwas Platz zum Arbeiten braucht, während der durchschnittliche Mallorca-Urlauber einfach nur seinen Flug absitzen möchte?

Die Grenze zwischen Klassifizierung und Diskriminierung ist fließend. Wie unterscheiden wir zwischen jung und alt und dem Recht auf einen Sitzplatz in der S-Bahn und wann beginnt die Diskriminierung wegen der Herkunft?

Die menschliche Psyche – ein Lenkrad der Klassifizierung

Aber können wir überhaupt ohne Klassifizierung leben? Den Grundbaustein für das Einschätzen von anderen Menschen und deren Klassifizierung erhalten wir in unserer Kindheit. Je nach unserem eigenen sozialen Status belegen wir auch andere Menschen damit.

Meistens haben wir Freunde, die aus ähnlichen familiären Verhältnissen stammen wie wir, deren Väter und Mütter ungefähr das Gleiche verdienen und deren Häuser in etwa gleich groß sind. Wir werden also geprägt mit einem Brandmal, das später nur ganz selten unsichtbar wird und das wir unser ganzes Leben mit uns herum tragen werden.

Ob wir dieses Klassifizierungs-Brandmal verdecken und über den Tellerrand hinaus schauen, oder ob wir es offen herum tragen bleibt allein uns überlassen. Aber eines bleibt dennoch Fakt: im täglichen Leben befinden wir uns ständig in Situationen in denen wir aufgeteilt werden zwischen arm und reich, klug und dumm oder jung und alt. Wie wir damit umgehen, obliegt uns ganz allein.