VON NORA GRAF
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26.04.2016 14:43
Multitasking: Funktioniert nicht und kann sogar schädlich sein
Man sitzt im Büro, telefoniert mit einem Kunden, beantwortet noch schnell die E-Mail eines Kollegen und schaut dabei schon immer mal wieder in den Kalender, was als nächstes noch so ansteht. So hat man sich lange die guten Angestellten vorgestellt, Leute, die viele Sachen gleichzeitig und damit effizient erledigen können und daher das lange viel gerühmte Multitasking beherrschen. Mittlerweile lassen Studien jedoch den Schluss zu, dass das mit der Effizienz beim Multitasking nicht besonders gut aussieht und dass diese Fähigkeit sogar schlecht für den jeweiligen Menschen sein kann.
Grundsätzlich lässt sich Multitasking als die Fähigkeit eines Menschen beschreiben, mehrere Tätigkeiten zur gleichen Zeit oder abwechselnd in kurzen Zeitabschnitten durchzuführen. Jedoch muss man diese Fähigkeiten etwas näher definieren, denn in unserem Gehirn laufen ständig viele verschieden Prozesse gleichzeitig ab, meistens unbewusst. Bei Multitasking handelt es sich speziell um Aufgaben, die unabhängige Ziele haben. Diese Definition grenzt den Begriff daher von komplexen Handlungen ab: Autofahren erfordert zum Beispiel viele verschiedene „Tasks“, jedoch haben alle das gleiche Ziel, nämlich am Ende dort anzukommen, wo man hin wollte.
Zudem gibt es auch Prozesse, die peripher ablaufen. Man kann zum Beispiel unterschiedliche Sinne gleichzeitig benutzen, also telefonieren und sich gleichzeitig die Umgebung anschauen. Auch sogenannte Output-Prozesse lassen sich gleichzeitig ausführen: Man kann sich mit jemandem unterhalten und die Wäsche aufhängen, ohne dass sich die Prozesse gegenseitig negativ beeinflussen.
Zeit, ein moderner Sklaventreiber
Die Uhr tickt, der Wecker läutet, die Zeit ist vorbei. Zeit gehört zum Leben wie Atmen, Essen und Schlafen. Sind wir alle Sklaven der Zeit? Ticken wir nur mit der Uhr? Ein Leben ohne Uhrzeit, ist das vorstellbar?
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Wenn nun aber in der Arbeit ein Kollege über Telefon nach einem passenden Termin fragt und die Sekretärin per E-Mail um die Bestätigung eines Termins bittet, dann können diese beiden Prozesse nur nacheinander ablaufen. Und genau da kommt Multitasking an seine Grenzen. Denn bei einer Entscheidung muss man sich der einen Sache zuwenden und die andere unterbrechen, wodurch Studien zufolge die Wahrscheinlichkeit von Fehlern zunimmt. Wenn sich nämlich Entscheidungsprozesse überlappen, verlängert sich die Bearbeitungszeit und die Fehlerquote steigt.
Diese Ergebnisse sind neuronal ziemlich schlüssig, wenn man bedenkt, dass verschiedene Prozesse unterschiedliche Gehirnareale beanspruchen. Sobald zwei Aufgaben verschiedene Areale benötigen, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass sie sich nicht stören. Jedoch muss der Input, also die Informationsaufnahme, und der Output, die Reaktion darauf, miteinander verknüpft werden. Dieses „Binding“ wird in der Wissenschaft stark mit dem präfrontalen Cortex assoziiert. Dieser ist für höhere geistige Funktionen zuständig. Neuere Ergebnisse der Hirnforschung legen den Schluss nahe, dass zwei Aufgaben, die jeweils ein solches Binding, also zweimal eine Input-Output-Verknüpfung, benötigen, sich gegenseitig stören.
Doch nicht nur für die jeweilige Arbeit scheint Multitasking nachteilig zu sein, sondern auch für den jeweiligen Menschen. Der
MIT-Neurowissenschaftler Earl Miller etwa behauptet, dass echtes Multitasking überhaupt nicht funktioniert. Es werden lediglich mehrere Aufgaben schnell hintereinander ausgeführt, und das zu Lasten der Qualität. Gleichzeitig regt das ständige Erledigen vieler kleiner Aufgaben auch das Belohnungszentrums an und das wiederum bewirkt die vermehrte Ausschüttung des Hormons Dopamin. Durch dieses „gefährliche Dauerfeedback“ denkt man, es wurde sehr viel geschafft, jedoch hat man tatsächlich nicht wirklich viel erreicht. Auch scheint das Stresshormon Cortisol, mit seiner das Immunsystem dämpfenden Wirkung, mit Multitasking in Verbindung zu stehen. Man fühlt sich schnell erschöpft, da eine ständige Anspannung präsent ist. Und das mindert wiederum die Arbeitsleistung. Man behält bei den vielen „Tasks“ auch die noch nicht erledigten Aufgaben immer im Hinterkopf, was die Konzentration auf die neue Aufgabe senkt.
Eine Studie der Universität Tokio hat gezeigt, dass Multitasking sogar schädlich sein kann. Bei Gerhirnscans fand man heraus, dass bei Multitaskern die Gehirnareale, die mit Empathie und Emotionen in Zusammenhang gebracht werden, stark verringert waren. Eine weitere Untersuchung der University of London bei Männern hat ergeben, dass das gleichzeitige Erledigen Auswirkungen auf den IQ hat. Dieser sinkt auf das Niveau eines achtjährigen Kindes, wenn man in einer Konferenz etwa E-Mails beantwortet oder Nachrichten liest.
Es sind wohl noch mehr Studien nötig, um heraus zu finden, ob Multitasking für den Menschen tatsächlich körperlich schädlich ist oder
ob ein bestehender Hirnschaden die betroffenen Menschen zum Multitasking prädisponiert. Und sicherlich hängt es auch immer von der jeweiligen Situation ab, der persönlichen Konstitution und der Routine, mit der bestimmte Tätigkeiten ausgeführt werden, dass sie quasi automatisch ablaufen, ob jemand gut auf gleichzeitige Anforderungen eingehen kann. In jedem Fall aber sollte man es vermeiden, während dem Autofahren oder anderer Tätigkeiten, bei denen man sich und andere gefährden kann, nebenbei noch das Handy zu benutzen.