VON MAXIMILIAN REICHLIN | 03.06.2016 16:22

„Mehr Punkrock für das Finanzsystem!“ - UNI.DE im Gespräch mit dem Ökonomen und Buchautoren Marc Friedrich

Die Krise in der internationalen Finanzwirtschaft ist noch nicht vorbei. Noch immer sind die Auswirkungen des letzten großen Crashs von 2008 spür- und erlebbar. Darf man Marc Friedrich und Matthias Weik glauben, werden die Zustände in Zukunft sogar noch um einiges brisanter. Um Normalsterbliche mit den nötigen Fakten zu versorgen, um die Welt der Finanzmärkte zumindest im Ansatz zu verstehen, hat das Unternehmer-Duo nun sein drittes Buch herausgebracht: „Kapitalfehler – Wie unser Wohlstand vernichtet wird und warum wir ein neues Wirtschaftsdenken brauchen“. Wir wollten von Autor Marc Friedrich wissen, was man aus dem „Kapitalfehler“ lernen kann und ob es noch Hoffnung auf Besserung gibt.


UNI.DE: Herr Friedrich, nach „Der größte Raubzug der Geschichte“ und „Der Crash ist die Lösung“ erscheint nun mit „Kapitalfehler“ bereits Ihr drittes Buch zur internationalen Finanzwirtschaft. Was gibt es zu dem Thema nach zwei Büchern noch zu sagen?

Friedrich: Im dritten Buch gehen wir tiefer in die Materie und zeigen dem Leser, warum die Krisen in Zyklen kommen, warum der Neoliberalismus und der Finanzkapitalismus schlechter Kapitalismus sind und warum wir von einer Krise zur nächsten schlittern. Vor allem aber, dass diese Krisen sogar gewollt sind. Das ganze machen wir anhand von Beispielen, und zeigen auch Lösungen auf damit der Leser auch einen Mehrwert hat. Im ersten und zweiten Buch haben wir ebenfalls Analyse betrieben, aber nicht so tiefgreifend wie in diesem Buch. Wir machen jetzt sozusagen eine große „Umarmung“, wie wir als Gesellschaft etwas ändern können, die „Kuh vom Eis holen“. Und das an drei großen Baustellen: Die Finanzmärkte, Europa und der Euro und das Geldsystem im Allgemeinen. Das sind nämlich die drei großen Übel und die Wurzeln der Krisen.

UNI.DE: Hat sich seit „Der Crash ist die Lösung“ etwas an der Situation verändert? Hat sie sich sogar verschlimmert?

Friedrich: Ja, massiv. Nicht nur, dass viele unserer früheren Prognosen mit einer erschreckenden Schnelligkeit eingetroffen sind. Auch die finanzielle Repression auf den Bürger wird immer krasser, gerade unter jungen Menschen: Für Schüler, Studenten, Auszubildende wird es in der Nullzinsphase immer schwieriger, adäquat Geld fürs Alter anzulegen. Das ist schon enorm, was da alles passiert. Unabhängig von der Flüchtlingskrise und den neu auflodernden Krisen in Griechenland sind die Banken und das Finanzsystem nach wie vor marode.

UNI.DE: Worauf stützt sich Ihre Einschätzung der Lage? Wie lassen sich solche Prognosen aufstellen?

Friedrich: Wir lesen unglaublich viel. Das sieht man im Buch auch an den vielen Quellen, das heißt wir hinterlegen zu jeder Behauptung nachweisbare Daten und Fakten. Aber wir sind natürlich auch in die Länder gereist, beispielsweise nach Spanien und Island, um uns mal anzuschauen, was man alles richtig machen kann. Wir haben mit den Menschen gesprochen, mit Unternehmen gesprochen, haben offizielle Zahlen angeschaut und die auch mal hinterfragt. Das waren eineinhalb Jahre Recherche, um schlussendlich auf dieses Resultat und diese Analyse zu kommen. Darauf sind wir auch sehr stolz, denn so ist das Buch sehr fundiert und wir sind in der Lage, ganz klare konstruktive Lösungsvorschläge zu liefern.

Rezension: „Kapitalfehler“ von Marc Friedrich und Matthias Weik

UNI.DE: Und die grundsätzliche Analyse ist, dass alles im Argen liegt?

Friedrich: Wir sind auf jedem Fall auf dem falschen Weg. Normalerweise wurde ja nach jeder großen finanziellen Krise ein Paradigmenwechsel durchgeführt. Wenn wir uns erinnern an die große Depression der 30er-Jahre: Damals wurden die richtigen Schlüsse gezogen und konsequent umgesetzt. Nach 2008, was in jedem Fall die krassere Krise war, hat man uns allerdings nur leere Versprechungen gemacht. Uns wurde versichert: „Wir werden die Märkte regulieren“. Aber das ist nicht geschehen! Im Gegenteil: Viele der großen Banken sind sogar noch größer geworden, noch mächtiger und vor allem noch systemrelevanter. Die Finanztransaktionssteuer wurde nach wie vor nicht umgesetzt und die Aktienmärkte stehen höher, als zuvor. Das ganze billige Geld der Notenbanken fließt in die Aktienmärkte und vor allem in die Immobilienmärkte und dadurch entsteht eine Finanzmarktblase nach der anderen, um das Geld-Karussell am Laufen zu halten. Schuld daran ist der Neoliberalismus. Verstehen Sie mich nicht falsch: Deregulierte Märkte finde ich super, freie Marktwirtschaft auch. Aber wir müssen nun endlich einsehen: Das funktioniert überall, nur eben nicht in der Finanzwirtschaft. Wir waren 2008 nur einen Wimpernschlag davon entfernt, dass unser globales Finanzsystem kollabiert wäre. Schuld daran war die deregulierte Finanzwelt

UNI.DE: Aber diverse Experten, darunter unser amtierender Finanzminister Wolfgang Schäuble, geben doch ständig Entwarnung. Wem soll ein Laie denn nun glauben, wenn es ums Geld geht?

Friedrich: Fakt ist: Die Politik hat natürlich immer andere Hintergedanken. Die wollen wiedergewählt werden, die wollen ihre Ruhe haben, die wollen Sicherheit ausstrahlen. Man muss sich aber immer die Qualität der Daten anschauen. Wenn also Herr Schäuble jetzt sagt: „Uns geht’s so gut wie nie! Wir haben eine Rekordbeschäftigungsquote, wir haben Rekordsteuereinnahmen, wir sind Export-Weltmeister!“, dann muss man sagen: Ja, das stimmt alles. Aber dann muss man auch weitergehen. Wenn es selbst der Export-Weltmeister in Rekordjahren gerade mal schafft, einen ausgeglichenen Haushalt zustande zu bringen und eine schwarze Null zu schreiben, wohingegen wir Sparer quasi enteignet werden, weil wir keine Zinsen mehr auf unsere Ersparnisse bekommen, wenn wir also selbst in Rekordjahren nicht einen Cent unserer Staatsschulden zurückzahlen können – wie sollen dann Länder wie Griechenland das schaffen? Das sollte doch eigentlich deutlich machen, dass sich unser gesamtes Geld- und Wirtschaftssystem im Endstadium befindet.

UNI.DE: Werden Bürger und Sparer also von „denen da oben“ belogen?

Friedrich: Ja, natürlich! Ein uninformierter Bürger ist einfacher zu regieren, als ein informierter Bürger. Wir sehen es doch! Das beste Beispiel: Riester. Das ist jetzt de facto offiziell gescheitert und muss nachgebessert werden. Damals wurde uns das mit großem Medien-Tam-Tam verkauft als „Zweites Standbein“, „Anlage für die Zukunft“, und so weiter. Wir haben deswegen auch in unserem Buch 2012 bereits geschrieben: Finger weg von Riester, das ist nur ein Subventionsprogramm für Banken und Versicherungen. 80 Prozent aller Sparer laufen im Schnitt mit einer Negativrente aus der Sache raus. Man muss sich vor Augen halten: Banken und Versicherungen kreieren in erster Linie Produkte, um Geld zu verdienen. Auch das ist ein Resultat dieses unregulierten Finanzwesens. Banken dienen nicht dem Gemeinwohl, sondern nur sich selbst. Und der Leidtragende ist immer der Bürger. Nicht die Politik, nicht der Staat, nicht die Banken.

UNI.DE: Wer sind denn nun eigentlich die „Bösen“? Oder sind wir das am Ende gar selbst?

Friedrich: Wir alle sind natürlich Teil des Systems und wir alle unterstützen das System. Aber die Profiteure des Systems, die wir in unserem Buch auch ganz klar aufzeigen, sind die Superreichen, die Konzerne und die Politiker. Die Umverteilung des Geldes ist heutzutage so krass, wie noch nie zuvor. Momentan gibt es nach diversen bestätigten Studien 62 Menschen, die weltweit soviel Vermögen haben, wie 3,5 Milliarden! Und keiner von denen hat ein Interesse daran, irgendetwas am bestehenden System zu ändern, weil sie ja eben davon profitieren. Keiner sägt den Ast an, auf dem er sitzt! Und deswegen werden Nebelkerzen geworfen, deswegen werden Brot und Spiele serviert und eben auch Krisen geschürt.

UNI.DE: Steht uns nun also ein Zusammenbruch des gesamten Systems ins Haus?

Friedrich: Unser Finanzsystem hat auf jeden Fall eine mathematische Lebensdauer. Dieses Haltbarkeitsdatum ist 2008 abgelaufen. Und seitdem liegt der Patient im Grunde auf der Intensivstation und ist präfinal. Aber keiner der Protagonisten aus Politik und Wirtschaft traut sich, den Stecker zu ziehen. Stattdessen kriegt der Patient ständig lebensverlängernde und reanimierende Geldspritzen. Das heißt, wir haben die Krise auf keinen Fall gelöst! Wir haben die Krise nur mit Geldbergen zugedeckt und in die Zukunft verschoben. Mit jedem Tag, den wir an diesem maroden Finanzsystem festhalten, werden die potentiellen Kollateralschäden größer. Nicht nur monetär, sondern auch gesellschaftlich – wir beobachten es ja: Extremistische Parteien bekommen immer mehr Zulauf, der Mittelstand erodiert. Das ist eine brandgefährliche Entwicklung, die es zu verhindern gilt.

UNI.DE: Wie könnten denn die nächsten Schritte aussehen, um das System zu retten oder zu verändern?

Friedrich: Wir bringen im Buch ganz klare konstruktive Lösungsvorschläge. Kurz zusammengefasst: Wir müssen die Finanzwirtschaft an die Leine nehmen und regulieren. Wir brauchen ein neues Geldsystem, ein Vollgeldsystem. Wir müssen den Banken die Möglichkeit zur Giralgeldschöpfung wegnehmen. Wenn möglich müssen wir eine gedeckte Währung installieren. Der Euro muss abgeschafft werden. Es wird einen massiven Schuldenerlass geben müssen – Stichwort Griechenland. Und wir werden in Kauf nehmen müssen, dass wir auf jeden Fall an Wohlstand verlieren. Keine Genesung findet ohne Schmerzen statt, das ist nun einmal so. Wenn wir jetzt diesen Weg gehen, dann haben wir vielleicht fünf harte Jahre vor uns. Aber wenn wir weiterhin an diesem falschen System festhalten, werden es irgendwann zehn Jahre. Mit sehr viel schlimmeren Konsequenzen.

UNI.DE: Was raten Sie Ihrem Leser? Was kann der „kleine Sparer“ tun, um etwas zur Veränderung beizutragen?

Friedrich: Als allererstes: Dass er sich und sein Vermögen in Frage stellt. Bin ich richtig aufgestellt? Was sagt mir mein Bauchgefühl, was wird die Zukunft wohl bringen? Und dahingehend sein Vermögen neu strukturiert. Dass er alles hinterfragt, sich informiert, sich sensibilisiert für das Thema. Und dass er sein Vermögen schützt. In aller erster Linie jedoch: Aktiv zu werden! Denn von oben wird kein Wandel kommen, der kommt von unten, von den Menschen. Wir haben es ja gesehen, bei den Panama-Papers. Wie können wir von Menschen wie Juncker und Cameron, die da bei den Steueroasen selbst ihre Finger im Spiel haben, irgendeine Änderung erwarten? No chance, das ist unrealistisch.

UNI.DE: Um es also mit den Worten aus Ihrem Buch zu beschreiben: „Mehr Punkrock bitte!“?

Friedrich: Ja, mehr Punkrock! Mehr Eigeninitiative, mehr mündige Bürger, mehr mündige Investoren! Ansonsten werden wir den Karren direkt an die Wand fahren, und zwar mit einem riesigen Knall. Noch ist Zeit, etwas zu ändern. Aber das Zeitfenster wird immer enger.