VON JASCHA SCHULZ | 13.05.2015 12:59

Felicia Langer, die jüdische Anwältin Palästinas

Felicia Langer führt ein bewegtes Leben. Als Kind jüdischer Eltern entgeht sie nach der Geburt nur knapp dem Holocaust. Ihr Mann überlebte als einziger seiner Familie die nationalsozialistische Judenverfolgung. Umso überraschender ist es für viele, dass sie ihr Leben der Unterstützung der palästinensischen Bevölkerung in israelischen Besatzungsgebieten gewidmet hat. Mit Vehemenz kritisiert sie dabei die israelische Politik, die sie als Apartheidpolitik ansieht. Die Kontroversen um ihre strikte politische Ideologie begleiten ihren Weg in der Öffentlichkeit.


Felicia Langer verteidigte 23 Jahre lang Palästinenser vor israelischen Gerichten. Als Jüdin. Sie war damit die erste israelische Anwältin, die sich für die Rechte der arabischen Bevölkerung im Westjordanland einsetzte. 1990 wurde sie für ihr Engagement mit dem Right Livelihood Award ausgezeichnet. Für „ihren vorbildlich couragierten Kampf für die Grundrechte der Palästinenser“, so lautet die offizielle Begründung des Preiskomitees. Im selben Jahr jedoch beendet sie ihre Laufbahn als Anwältin aus Enttäuschung über die Wirkungslosigkeit ihres Kampfes. Langer sah sich von israelischen Behörden als politische Oppositionelle diskreditiert und zweifelte an der Rechtsstaatlichkeit der israelischen Militärgerichte. Sie zog mit ihrem Mann nach Deutschland.

Hier konzentriert sie sich ganz auf ihr öffentliches Auftreten als Sprachrohr der palästinensischen Bevölkerung unter israelischer Besatzung. Und vor allem als Kritikerin der israelischen Regierung. In schriftlichen Publikationen, Vorträgen und Interviews kritisiert sie vor allem deren Siedlungspolitik. Diese könne in ihrem Ausmaß als Annexion betrachtet werden. Ohne einen Kurswechsel Israels sei eine zwei Staaten Lösung kaum möglich. Langer fordert einen Rückzug Israels aus den Gebieten, die 1967 im Zuge des Sechstagekrieges besetzt wurden. Zu diesen gehörten unter anderem der Gazastreifen, das Westjordanland und Ostjerusalem. Die Eroberung der besagten Gebiete sei ein Verstoß gegen das Völkerrecht gewesen, da Israel die ‚Grüne Linie‘ überschritten hätte. Diese bezeichnet eine 1949 nach dem israelischen Unabhängigkeitskrieg vereinbarte Grenzziehung zwischen Israel und seinen arabischen Nachbarstaaten.

Die Eiserne Mauer

Der Sechstagekrieg war für Langer allgemein ein Schlüsselerlebnis. Der Umgang mit der palästinensischen Bevölkerung in den besetzten Gebieten bestürzte sie. Die Zerstörungen von Häusern, Zwangsdeportationen und Verhaftungen bezeichnet sie als Wendepunkt in ihrem Leben, der sie den Anwaltsberuf ergreifen ließ. „Ich habe Hunderte von Folterspuren an den palästinensischen Mandanten gesehen“, sagt sie. „Diese Eindrücke kann man nicht auslöschen.“ Die Palästinenser seien gezwungen in einer verkehrten Welt zu leben, in der nicht die Besatzer, sondern die Besetzten bestraft würden. Langer setzt sich außerdem für ein bedingungsloses Rückkehrrecht für die Nachkommen der palästinensischen Kriegsflüchtlinge ein. Um ihre Ziele zu erreichen forderte sie wiederholt die Weltgemeinschaft auf, politischen Druck auf Israel auszuüben.

Langers politische Haltung ist umstritten. Häufig wird ihre Sichtweise als einseitig angesehen. Viele werfen ihr eine mangelnde Übersicht über die Komplexität der Ereignisse in Nahost vor. Immer wieder wird sie gar als Israel-Feindin bezeichnet. Problematisch sehen auch viele Langers Meinung, die Israelische Politik habe die starke Entwicklung antiisraelischer Strukturen und Bündnisse erst ermöglicht. Auch terroristische Gewaltakte an Israel sieht Langer als Folge israelischer Gewalt an der palästinensischen Bevölkerung an. Diese Haltung habe die Tendenz, so die Einschätzung ihrer Kritiker, terroristische Akte zu entschuldigen.

Langers deutliche Sprache trägt zur Kontroverse um ihre politische Position bei. Unter anderem bezeichnete sie Israel mehrfach als „Apartheitsstaat“ und friedensresistent. Oft wurde ihr vorgeworfen, die Politik der israelischen Regierung mehr oder minder implizit mit den Gräueln des Naziregimes zu vergleichen.

Ihren Höhepunkt erreichten die Kontroversen um Langer durch ihre Auszeichnung mit dem Bundesverdienstkreuz 2009. Der Vizepräsident des Zentralrats der Juden, Dietrich Graumann, entrüstete sich über die Ehrung. "Deutschland hat damit jemanden ausgezeichnet, der professionell, chronisch und obsessiv die Dämonisierung Israels betreibt", sagte er in einem Interview. "Sie trägt ihr Jüdischsein als Fahne vor sich her – doch ihre jahrelange Israel-Hetze macht das nicht besser." Jüdische Preisträger, wie der Schriftsteller Ralph Giordano drohten ihr eigenes Bundesverdienstkreuz zurückzugeben, sollte Langer der Preis nicht aberkannt werden.

Felicia Langer selbst erklärte, ihren Preis nie zurückgeben zu wollen. Es bräuchte jemanden, der unbequeme Wahrheiten ausspreche. Auf den Vorwurf der Einseitigkeit reagierte sie mit den Worten: „Als Menschenrechtler ist man immer einseitig, wenn es um Menschenrechte geht“. Außerdem ist sie der Meinung, dass ihre Kritik dem Staat Israel nur zugutekomme. Sollte dieser seine Politik ändern, sei ihm die Anerkennung durch arabische Staaten gewiss. Somit versteht sie sich als Brückenbauer zwischen Israel und der arabischen Welt.

Eine vermittelnde Position vertritt Antisemitismus-Forscher Brumlik. Seiner Einschätzung nach hat Langer das Bundesverdienstkreuz verdient, da sie auf einen Missstand aufmerksam mache, den auch Amnesty International und andere Menschenrechtsorganisationen Jahr für Jahr feststellten: die kontinuierliche Verletzung von Menschenrechten der unter israelischer Besatzung stehenden arabischen Bevölkerung des Westjordanlandes. Allerdings bezeichnet er Langers politischen Ton als „abstoßend“ und weist ebenfalls auf eine fehlende differenzierte Betrachtungsweise hin.

Die Verdienste Langers sind kaum zu leugnen. Der Right Livelihood Award und das Bundesverdienstkreuz sind nur zwei der Auszeichnungen, die ihr Engagement würdigen. Es bleibt zu hoffen, dass Langers undiplomatischer Stil und die ihr vorgeworfene Einseitigkeit nicht die Brücken einreißen werden, die sie zu bauen hofft.