VON MAXIMILIAN REICHLIN
|
18.06.2014 17:12
Emotionsarbeit – Welche Faktoren unsere Gefühle beeinflussen und wie wir sie steuern
Wenn wir über unsere Gefühle sprechen, so geben wir uns gern der Vorstellung hin, dass unsere Emotionen keinem Einfluss von außen unterliegen, sondern einzig aus uns selbst entspringen. Neuere Erkenntnisse auf dem Gebiet der Soziologie entlarven diesen Gedanken jedoch als Illusion. Meist sind nicht wir es, die etwas fühlen, vielmehr werden verschiedene Emotionen uns durch die Gesellschaft und die Erziehung quasi „eingetrichtert“. Selbst die moderne Marktwirtschaft trägt ihren Teil dazu bei. Welchen Einfluss all diese Faktoren auf unsere Gefühlswelt haben, und wie wir selbst uns immer tiefer in ein gesellschaftliches „Regelwerk der Gefühle“ begeben, hat sich UNI.DE angesehen.
Der Begriff „Emotionsarbeit“ wurde von der amerikanischen Soziologin Arlie R. Hochschild geprägt. Er bezeichnet die Anpassung der eigenen Gefühlswelt, wenn die aktuelle Emotion nicht mit der Normvorstellung der Gesellschaft übereinstimmt. Laut Hochschild existiert innerhalb einer Gesellschaft nicht nur ein ungeschriebener Regelkatalog über Benehmen und Sprechweise, sondern auch über die emotionalen Reaktionen auf eine bestimmte Situation. Dazu gehört etwa, Glück und Dankbarkeit zu empfinden, wenn man beschenkt wird, oder auch traurig zu werden, weil der Gesprächspartner eine traurige Geschichte zu erzählen hat. Der Mensch weiß in diesem Regelsystem, welche Gefühle er in welcher Situation an den Tag legen muss und welche Gefühle er selbst von seiner Umwelt erwarten darf.
Empathie durch Phantasie?
Warum sollte ich mir überhaupt Gedanken darum machen, was in anderen Menschen vorgeht? Ganz einfach, weil ich kein Stein auf zwei Beinen werden möchte.
[...]»
Immer dann, wenn wir selbst bemerken, dass die aktuelle Emotion eben nicht diesem gesellschaftlichen Regelwerk entspricht, wird Emotionsarbeit nötig. Wir passen unsere Emotionen also an die Norm an. Angewendet wird die Emotionsarbeit dabei in zwei großen Gebieten. Im privaten und zwischenmenschlichen Bereich spricht man, nach Hochschild, von „emotion work“. Diese beginnt schon im frühen Kindesalter, wo von Eltern und Erziehern die gesellschaftlichen Regeln des Fühlens abgesteckt und Sanktionen für „richtiges“ und „falsches Fühlen“ verteilt werden. Bedankt sich ein Kind etwa brav für ein entgegengebrachtes Geschenk wird es gelobt, bleibt die Dankbarkeitsbekundung aus wird es getadelt. Diese Art der Emotionsarbeit begleitet den Menschen bis ins Erwachsenenalter.
Unter „emotional labor“ schließlich versteht man die Emotionsarbeit in einem eher wirtschaftlichen Bereich. Die Regeln dafür werden nicht unbedingt von der Gesellschaft, sondern von der Firmenpolitik des Arbeitgebers vorgegeben. „Emotional labor“ kommt damit vor allem in Berufen zum Einsatz, in denen der zwischenmenschliche Kontakt besonders hoch ist, beispielsweise in der Kundenbetreuung, der Gastronomie
oder im Pflegesektor. Wird ein Gast etwa schlecht bedient, so werden sowohl Gast als auch Geschäftsführer vom Kellner eine entschuldigende und unterwürfige Geste erwarten. „Der Kunde ist König“ heißt das Zauberwort für diese Art der Emotionsarbeit, die, laut den Soziologen Norbert Elias und Jürgen Gerhards, symptomatisch für unsere postmoderne Gesellschaft geworden ist. Gefühle werden hier kommerzialisiert und instrumentalisiert, müssen möglichst schnell generiert und an die Bedürfnisse von Kunde und Wirtschaft angepasst werden.
Der Einfluss, den Gesellschaft, Erziehung und marktwirtschaftliche Faktoren damit auf unsere Gefühlswelt nehmen, ist enorm. Es gibt kaum eine Situation, in denen keine gesellschaftlichen Vorgaben über die zu fühlenden Emotionen vorliegen: Eine Braut hat an ihrem Hochzeitstag Freude und Aufregung zu empfinden, Liebende müssen sich während einer langen Trennung nacheinander sehnen, Eltern müssen bei jeder noch so kleinen Leistung ihres Kindes Stolz an den Tag legen. Ist das nicht der Fall sind eine gesprengte Erwartungshaltung, Depression und Streit oft die Folge. Im Falle des „emotional labor“ können die Auswirkungen der Emotionsarbeit sogar
zu Symptomen eines „Burn-Outs“ führen. Viele Universitäten in Deutschland beschäftigen sich bereits mit der Emotionsarbeit und ihren Auswirkungen, etwa die
Goethe-Universität in Frankfurt oder die
Universität Marburg.