VON MAXIMILIAN REICHLIN | 14.08.2015 15:43

Aussteiger und Ökodörfer – Leben zwischen Unabhängigkeit und persönlicher Freiheit

Aussteiger. So werden Menschen genannt, die irgendwann beschließen, ihr altes Leben aufzugeben und nach einer Alternative zu suchen. Sie begegnen in vielen verschiedenen Facetten: Manche haben spirituelle Gründe, andere flüchten vor dem Konsumwahn unserer kapitalistischen Welt, wieder andere wollen der Natur näher kommen. Manche von ihnen gehen alleine, andere nehmen ihre Familien mit, einige leben in Kommunen zusammen. Ein paar haben Internetanschluss und Smartphones, andere verzichten auf jegliche Technik. Nur eines haben sie alle gemeinsam: Sie wollen unabhängig sein. UNI.DE berichtet.


Immer wieder hört und liest man in unserer Zeit von den sogenannten Aussteigern. Das sind Menschen aller Altersgruppen, die ihr bürgerliches Leben aufgegeben haben, die aus den Großstädten in die Wälder geflüchtet sind, um Ruhe zu haben, unabhängig von Geld und Jobs zu sein. Ihre Motive sind oft einfach, ihre Konsequenz allerdings nur schwer nachzuvollziehen: Junge Studenten, die ihre Wohnung aufgeben um in einer selbst gezimmerten Hütte im Wald zu leben. Banker, die ihre Jobs kündigen und stattdessen lieber als unbezahlte Sozialarbeiter tätig sind. Immer populärer werden Aussteiger die sich in kleinen Kommunen zusammenfinden und abseits der „Zivilisation“ ihre eigenen alternativen Vorstellungen vom Leben verwirklichen wollen.

Das Leben in Kommunen

Letzteres nennt sich auf neudeutsch Cohousing und ist in Deutschland beinahe schon zu einem Trend geworden. So ist die Bundesrepublik das Land mit den zweitmeisten Kommunen pro Einwohner; noch mehr hat nur Dänemark. Die wohl bekannteste deutsche Gemeinschaft ist das Ökodorf Sieben Linden im Norden von Sachsen-Anhalt. Hier leben mittlerweile an die 140 Menschen in neun Häusern, die zusammen arbeiten und das Land bestellen – und das mit einer eigenen Energieversorgung und einer geradezu revolutionären Bauweise mit einfachsten Rohstoffen. Ihr Ziel: Sie wollen unabhängig und nachhaltig leben.

Solche Projekte gibt es überall. Die politisch links-liberal geprägte Kommune Niederkaufungen in Hessen etwa will ohne Privatbesitz und nur mit minimalen Einflüssen aus der „äußeren Welt“ auskommen. Die Aussteiger auf Schloss Tonndorf im Thüringer Wald wiederum haben sich in einem mittelalterlichen Baudenkmal eingerichtet und, neben der unabhängigen Lebensweise, auch die gemeinschaftliche Sanierung und Instandhaltung des Schlosses auf die Fahne geschrieben. Wieder andere Kommunen praktizieren die freie Liebe oder haben religiöse oder spirituelle Gründe.

Ohne Geld leben?

Unabhängigkeit vs. Freiheit

Manche Aussteiger verzichten selbst auf die Gesellschaft einer Kommune. Sie gehen alleine oder nur mit ihren Familien, wie der promovierte Ethnologe und Botaniker Wolf-Dieter Storl. Seit 26 Jahren lebt er bereits als Selbstversorger in den Adelegger Bergen im Allgäu, bestellt seinen Garten, lebt unabhängig – aber auch mühsam. Landwirtschaft betreiben, Häuser bauen und instand halten, eine funktionierende Infrastruktur schaffen: Das ist ein Knochenjob. Unabhängigkeit und Freiheit sind in diesem Leben keine Synonyme. Unabhängig sind die Aussteiger, denn sie benötigen nichts zum Leben, was sie nicht selbst herstellen können. Aber frei?

Immerhin, viel Zeit für Selbstverwirklichung bleibt den Aussteigern nicht, nicht einmal in den Kommunen, wo alle mit anpacken. Das weiß auch Michael Würfel. Der Autor und Filmemacher ist vor einigen Jahren nach Sieben Linden gezogen und berichtet in einem Interview für den SPIEGEL von seinen Erfahrungen und den Problemen, denen man sich in einer unabhängigen Kommune stellen muss. Er habe „ein großes Stück Freiheit“ aufgegeben, um der Gemeinschaft beitreten zu können. Freie Abende? Eigene Projekte? Urlaub? Fehlanzeige. „Hier gibt es immer was zu tun.“