VON JASCHA SCHULZ | 14.08.2015 16:08

Digitales Fasten - Ein UNI.DE Selbstversuch

Digitale Medien spielen eine immer größere Rolle in unserem Leben. Eine zu große, behaupten mittlerweile sogar viele „digital natives“, also Menschen, die mit digitalen Medien aufgewachsen sind. Das Digitale Fasten wird deshalb zum Trend. Wie realistisch ist es allerdings heutzutage, völlig auf digitale Medien zu verzichten? Und hat unser digitales Leben tatsächlich Suchtpotenzial? Um diesen Fragen auf den Grund zu gehen, hat sich der Autor einem Selbstversuch unterzogen. Für sieben Tage hieß es: Goodbye Digitale Welt. Nun ja, fast…


Was ist eine der häufigsten gestellten Fragen, wenn Personen sich an einen öffentlichen Ort begeben?

Richtig: Gibt es da frei zugängliches W-LAN?

In der heutigen Zeit ist es ein Albtraum, nicht vernetzt zu sein. Offline-Sein, bedeutet Abgeschnitten-Sein. Aber ist das wirklich der Fall? Immer mehr Menschen wehren sich gegen diese Behauptung. Das ständige Online-Sein stellt für sie keine Notwendigkeit dar, sondern eine Sucht. Sie schlagen deshalb eine Diät vor. Eine Digital-Diät. Ihrer Meinung nach würden sich die Menschen dann wieder auf die wirklich wichtigen Dinge im Leben konzentrieren. Die Leute sollen wieder unvermittelt erleben. Sie sollen digitale Medien als Mittel zum Zweck nutzen und sich nicht zu deren Sklaven machen. Mittlerweile werden aus diesem Grund sogar Seminare zur digitalen Entschlackung angeboten.

Die Diskussion verkommt dabei häufig leider zum Kulturkampf: Das böse Internet gegen die gute alte, wirkliche Welt. Es wurden viele intelligente Artikel zu diesem Thema geschrieben, die aufzeigen, dass die Opposition von einer künstlichen, digitalen Welt und einer echten, analogen Welt nicht aufgeht. Das Digitale gehört mittlerweile zum Leben der „digital natives“ und auch zu dem anderer Gesellschaftsgruppen dazu. Es ist genauso real wie alles andere. Wichtig ist, dass man nicht süchtig wird und nicht auch bei allen anderen Aktivitäten nur an seine virtuelle Präsenz denkt. Es geht darum, digitale Medien sinnvoll zu nutzen und nicht am Smartphone ‚abzudriften‘ und später die verlorene Zeit beklagen zu müssen. Digitales Fasten könnte eventuell dazu beitragen, einen bewussteren Umgang mit digitalen Medien zu ermöglichen.

Es gibt allerdings einen weiteren Punkt, wegen dem einige vor einer allzu exzessiven Nutzung digitaler Medien warnen. Dieser betrifft die Sicherheit persönlicher Daten. Denn wer online agiert, der hinterlässt Spuren. Diese im Nachhinein wieder löschen zu lassen, ist nicht immer einfach. Dies zeigt zum Beispiel die Diskussion über ein Recht auf Vergessen bei Google.

Der Mensch in der „Filter Bubble“ – Wie das Internet uns sagt, was wir wollen

Hans-Magnus Enzensberger stellte über die FAZ zehn Regeln auf, um der Überwachung und Datensammlung durch Geheimdienste und Industriekonzerne zu entgehen. Diese zeigen allerdings, wie unzeitgemäß und höchstwahrscheinlich unmöglich ein vollständig analoges Leben heutzutage ist. So forderte Enzensberger etwa den völligen Verzicht auf Mobiltelefone, soziale Netzwerke, Online-Banking und werbefinanzierte Medieninhalte. Viele Punkte machen allerdings zumindest nachdenklich. Zum Beispiel kann man sich durchaus fragen, inwiefern man dem Trend folgen sollte, sogar einfache Gebrauchsgegenstände mit dem World Wide Web zu vernetzen. Denn die Frage, wie viel man der virtuellen Welt von sich selbst und seinen Gewohnheiten preisgibt, wird immer bedeutender. Um diese Frage und weitere zu beantworten habe ich mich zu einem Selbstversuch entschlossen. Also sagte ich meinen Freunden, postete und status-updatete: Digitales Fasten? Challenge Accepted.

Bevor man mit dem digitalen Fasten beginnt, ist allerdings eine Sache wichtig. Die Regeln müssen klar festgelegt werden. Natürlich kann man sagen: Ich lasse von allem die Finger, was in irgendeiner Weise digital ist. Allerdings ist das für viele Menschen nicht möglich, mich eingeschlossen. Sie benötigen das Internet für ihren Beruf oder ihre Ausbildung, sei es für die Kommunikation mit Kollegen oder zur Recherche.

Ich entschließe mich zu einer eher härteren Form des digitalen Fastens, da ich das Ganze nur eine Woche lang durchziehe. Meine Regeln: Am Tag dürfen drei Mal zu bestimmten Zeiten Whats App-Nachrichten und E-Mails gecheckt werden. Der PC wird nur zur Hausarbeits-Recherche verwendet. Facebook und andere soziale Netzwerke sind absolut tabu. Der Fernseher bleibt ausgeschaltet.

Selbstversuch Digitales Fasten

Vor dem ersten Tag gehe ich leicht nervös schlafen. Dann klingelt mich mein Analog-Wecker aus dem Schlaf. Beim automatisierten morgendlichen Griff ans Handy zucke ich zurück. Beinahe hätte ich mein digitales Fasten in der ersten Sekunde seines Beginnens schon gebrochen. Ansonsten verläuft der Tag eher ruhig. Es gibt trotzdem gelegentlich Momente, in denen ich gerne auf mein Smartphone schauen möchte. Einfach so. Um zu wissen, was gerade so passiert. Allerdings weiß ich: Dieses kurz-mal-aufs-Handy-Gucken führt häufig zu gefühlt stundenlangen Facebook, Whats App oder anderen App-Sessions. Also widerstehe ich. Dann geht ein Anruf ein. Dafür hatte ich die Regeln nicht festgelegt. Ich entschließe mich ranzugehen. Zum Glück ist es etwas Wichtiges. Allerdings sehe ich jetzt das Chat-Symbol am oberen Bildrand leuchten. Mist. Jetzt weiß ich, dass mir jemand geschrieben hat. Aber bis ich nachgucken darf, dauert es noch fast zwei Stunden. Ein weiteres Problem ist, dass ich für den heutigen Tag mein Handy von Vibration auf Laut umstellen muss, da der Anrufer mir einen weiteren wichtigen Anruf angekündigt hat. Jetzt wird mir jede einzelne eingehende Nachricht mitgeteilt. Und wie fast jeder heutzutage habe ich diese seltsame Angst, irgendetwas zu verpassen. Diese wird geradezu zur Folter, wenn man weiß, dass man tatsächlich etwas verpasst. Aber ich widerstehe. Am nächsten Tag habe ich zum ersten Mal das Bedürfnis, auf Facebook zu gehen. Ich wiederstehe auch hier. Am dritten Tag spricht mich ein Kumpel auf ein Thema an, das anscheinend am Tag davor durch die Nachrichten geisterte. Ich habe keine Ahnung, wovon er redet. Meine einzige analoge Informationsquelle ist ein bekanntes deutsches Nachrichtenmagazin. Und das ist eben, gemessen an heutigen Maßstäben, nicht besonders aktuell. Ich entschließe mich, mir abends eine halbe Stunde das Surfen auf Online-Nachrichtendiensten zu erlauben. Dabei wird mir etwas (leicht Erschreckendes) klar. Meine Information über gesellschaftliche, politische und andere Themen läuft zu großen Teilen über soziale Netzwerke ab. Diese zeigen mir Artikel an, die von geliketen Nachrichtenseiten geteilt werden. Auf diese Weise scheint es zu einem großen Teil Zufall zu sein, mit welchen Themen ich mich ausführlicher auseinandersetze und mit welchem nicht. Natürlich informiert man sich auch über Nachrichtensendungen oder Nachrichten-Apps. Allerdings ist das doch eher eine oberflächliche Form der Information. Deshalb nehme ich mir vor, die halbe Stunde gezielte Information auch nach meinem Online-Fasten beizubehalten.

Die weitere Zeit meines digitalen Fastens verläuft weitgehend ereignislos. Ich muss mich des Öfteren über mich selbst amüsieren, vor allem darüber, dass es mir in den ersten Tagen tatsächlich schwer gefallen ist, nicht auf mein Handy zu schauen. Lediglich Tag 5 meines Fastens wird mir wohl gut im Gedächtnis bleiben. Als ich gerade meine E-Mails checken will, zeigt mir mein Provider eine Schlagzeile an: Messi rastet aus. Ich möchte draufklicken, kann mich aber gerade noch beherrschen. Aber es ist schon seltsam. Die Schlagzeile Messi rastet aus bringt mich tatsächlich in Versuchung? Ehrlich gesagt schon. Ich würde gerne wissen, warum und wen Messi da gewürgt hat. Das passt doch nicht zu Messi, oder? Aber ich darf nicht. Warum? Keine Ahnung. Jedenfalls kann das Checken der E-Mails zum Spießrutenlauf werden, wenn man gerade digitales Fasten betreibt. Tag 7 geht dann irgendwie auch vorbei. Und danach: Meine Freunde ärgern sich nicht mehr darüber, dass ich so lange nicht zurückschreibe. Ich bin ab und an wieder auf sozialen Netzwerken unterwegs und lese mir interessante Artikel durch. Ich verliere mich tatsächlich seltener im World Wide Web.

Mein Fazit: Digitales Fasten kann durchaus nützlich sein. Es zeigt Automatismen auf, die einem vorher nicht bewusst waren und die man danach gegebenenfalls einstellen kann. Ein vollständig analoges Leben zu führen ist jedoch wahrscheinlich unmöglich heutzutage. Ob es erstrebenswert wäre? Höchstens aus Datenschutzgründen.