VON MAXIMILIAN REICHLIN | 18.05.2015 12:05

Der Whistleblower und der Chefredakteur – Edward Snowden und Alan Rusbridger

Seit Bekanntwerden der NSA-Abhörmaßnahmen im Jahre 2013 sind ihre Namen in aller Munde – Edward Snowden, der amerikanische Whistleblower, der in noch nie dagewesenem Maße Geheimdokumente des amerikanischen Geheimdienstes der Öffentlichkeit preisgegeben hatte, und Alan Rusbridger, der Chefredakteur der britischen Tageszeitung The Guardian, der diese Dokumente veröffentlichte. Für ihr gemeinsames Engagement wurden diese beiden Männer im vergangenen Jahr mit dem „Alternativen Nobelpreis“, dem Right Livelihood Award ausgezeichnet. UNI.DE erzählt die Geschichte der beiden Preisträger.

Als der damals 26-jährige IT-Spezialist Edward Snowden 2009 begann, als externer Mitarbeiter für den amerikanischen Geheimdienst NSA zu arbeiten, wusste noch niemand, welche Wellen er noch schlagen würde. Plötzlich lief eine Flut von Dateien und Dokumenten durch die Hände des jungen „Hackers“, die meisten davon Top Secret und nicht für die Öffentlichkeit bestimmt. Viele Dokumente bezogen sich auf Programme zur Überwachung der weltweiten Internetkommunikation wie PRISM und das britische Pendant Tempora. Mit diesen spähte die NSA schon damals weltweit Daten aus, selbst auf höchster politischer Ebene. Späteren Berichten zufolge soll selbst das Handy der deutschen Kanzlerin Angela Merkel von Mitarbeitern der NSA abgehört worden sein, nebst weiteren hochrangigen europäischen Politikern.

We the People

Die Enthüllung

Was Snowden mit den Daten anstellte, die er gefunden hatte, mag den meisten Menschen verrückt erscheinen: Er sammelte sie auf einem USB-Stick und meldete sich, unter Vorwand einer zu behandelnden Krankheit, vom Dienst bei der NSA ab um mit den Dokumenten im Jahr 2013 nach Hongkong zu reisen. Von dort aus schickte er unter dem Pseudonym „citizenfour“ die Daten an die Washington Post, sowie an den britischen Guardian, wo die Geschichte schließlich von dem Journalisten Glenn Greenwald sowie von Chefredakteur Alan Rusbridger veröffentlicht wurde. Plötzlich gelangte die gesamte Abhöraffäre der NSA an die weltweite Öffentlichkeit – und citizenfour, alias Edward Snowden, war einer der meistgesuchten Männer der Welt. Seine Motivation zu diesen extremen Schritten schilderte er später in einem Interview mit dem Guardian: „Ich möchte nicht in einer Welt leben, in der alles, was ich tue und sage, aufgezeichnet wird. Solche Bedingungen bin ich weder bereit zu unterstützen, noch will ich unter solchen leben.“

Nachdem Snowden sich persönlich in einem Guardian-Interview als Informant zu erkennen gegeben und das amerikanische FBI bereits Strafanzeige gegen Snowden eingereicht hatte, reiste der Whistleblower von Hongkong aus weiter nach Russland, wo ihm von Staatschef Wladimir Putin Asyl angeboten worden war. Diverse andere Nationen, darunter auch europäische Staaten wie Deutschland, Italien, Frankreich und Spanien, hatten im Vorfeld von Snowden gestellte Asylanträge abgelehnt. In Russland lebt Snowden noch heute, sein Asylstatus wurde von russischen Behörden noch bis August 2017 verlängert. Noch Jahre nach seiner erfolgreichen „Flucht“ haben sich die Wogen der heute sogenannten NSA-Affäre noch nicht geglättet. Die Empörung über die Ausmaße der amerikanischen Überwachung ist ungebrochen groß, in Deutschland vor allem seit Bekanntwerden einer langjährigen Zusammenarbeit des NSA mit dem Bundesnachrichtendienst (BND) – viel getan hat sich seit Snowdens Enthüllungen allerdings nicht.

Die Folgen

Zwar gab es nach Snowdens Asyl in Russland diverse Petitionen, so etwa auch in Deutschland, die Snowdens „Freilassung“, beziehungsweise eine Erlaubnis für eine Weiterreise erwirken wollten und einige Privatbürger und Organisationen, darunter der in Deutschland bekannte Chaos Computer Club, haben bereits offizielle Strafanzeigen gegen die NSA und den BND gestellt, auf einer politischen Ebene sind die Konsequenzen der Affäre allerdings weiterhin unklar. Ein geplantes No-Spy-Abkommen der deutschen Regierung mit den Vereinigten Staaten wurde niemals realisiert, weitreichende Sanktionen gegen die USA oder die NSA bisher nicht durchgesetzt. Nur eine Ermittlung wurde wegen des Abhörens des Mobiltelefons der Kanzlerin eingeleitet. Die Beweise für eine Ermittlung wegen der massiven Überwachung der deutschen Bundesbürgerinnen und Bundesbürger seien jedoch nicht ausreichend. Ein kleiner Lichtblick: Das Repräsentantenhaus der USA will nun eine umfassende Geheimdienstreform erlassen, die der sogenannten „Datensammelwut“ der NSA in den Vereinigten Staaten Einhalt gebieten könnte. Noch muss der Entwurf allerdings den Senat passieren. An der Überwachung anderer Staaten würde sich dadurch ebenfalls nichts ändern.

In Amerika gilt Snowden mittlerweile als „traitor“ (dt. Verräter), seine amerikanische Staatsbürgerschaft wurde aufgehoben. Würde Snowden in die USA zurückkehren, wäre eine Verhaftung und eine jahrzehntelange Haftstrafe die Folge, mutmaßen Experten. Ähnlich erginge es ihm wohl auch auf deutschem Boden. Und noch immer sammelt die NSA mit Hilfe von PRISM Daten auf der ganzen Welt. Pro Sekunde erhöht sich die Zahl der gesammelten Informationen um eine Datenmenge, die etwa 100 zweistündigen Spielfilmen in HD-Qualität entspricht. So ermittelt eine Art „Rechner“, den der Guardian online auf einer interaktiven Website zur Verfügung stellt, die noch immer über die NSA-Affäre und deren Folgen informiert.

Snowden und Rusbridger

Unter Alan Rusbridger brachte der Guardian in den Jahren nach Snowdens Enthüllungen immer neue Details der Abhöraffäre ans Licht. Rusbridger machte das Blatt damit von einer nationalen Tageszeitung zu einer international relevanten Medienorganisation. Neben der Dokumentarfilmerin Laura Poitras waren Guardian-Journalist Glenn Greenwald und dessen Chefredakteur die ersten Menschen, die von Snowden zwecks einer Veröffentlichung der NSA-Dokumente kontaktiert worden waren. Nun will der 60-jährige Rusbridger von seinem Amt als Chefredakteur zurücktreten, um künftig eine Stiftung zu leiten, die sich der journalistischen Unabhängigkeit verschrieben hat. Für sein Engagement während der Enthüllung der Geheimdokumente erhielt er zusammen mit Spiegel-Chefredakteur Wolfgang Büchner die Sonderauszeichnung des Europäischen Pressepreises 2013.

Im Dezember 2014 wurde Rusbridger dann, zusammen mit Edward Snowden, zum Preisträger des „Alternativen Nobelpreises“, des Right Livelihood Awards. Während Snowden „mit Mut und Kompetenz das beispiellose Ausmaß staatlicher Überwachung enthüllt hat, die grundlegende demokratische Prozesse und verfassungsmäßige Rechte verletzt“, wie es in der Begründung der RLA-Foundation heißt, erhielt Rusbridger den Preis „für den Aufbau einer globalen Medienorganisation, die sich verantwortlichem Journalismus im öffentlichen Interesse verschrieben hat und gegen große Widerstände illegales Handeln von Unternehmen und Staaten enthüllt.“ Snowden selbst konnte, aufgrund seines Asyls in Russland, den Preis nicht persönlich entgegennehmen, wurde der Preisverleihung in Stockholm allerdings per Video-Übertragung zugeschalten und bedankte sich auf diesem Wege für die Ehrung.